Sonntag, 8. Mai 2005

Wege und Übergänge. Um Freunde zu finden

Oh je, die Foto ist unscharf. Ich kann die Inschrift am Brückeneingang über den Aabach nicht lesen und vergessen habe ich sie auch. Hiess sie „Alles ist Übergang“?

Passend für meinen Sonntag. Nach nur halbstündiger S-Bahn-Fahrt war ich in einer fremden Kultur gelandet. In der Unterführung von Pfäffikon im Kanton Schwyz wurde ich auf eine Tibeterin aufmerksam. Diese spielte auf einem mir unbekannten Instrument und versetzte mich augenblicklich in eine fremde Kultur. Mit einer Art Geigenbogen entlockte sie dem metallenen Teil des Instruments Töne, die mich an Steppenvölker denken liessen. Vor meinen inneren Augen sah ich Pferde davonrennen und Staub aufwirbeln. Die Töne ähnelten einem giftigen Wind. Die Frau sang auch. Genau gesagt, tönte sie. Worte fehlten. Ich versuchte, mit ihr zu reden, doch mangelte es uns an einer gemeinsamen Sprache. Ob sie hier zu Hause sei? Nein. Ob sie immer weiter ziehe? Mit Handbewegungen versuchte ich, mich verständlich zu machen. Ja! Ja, unterwegs. Vielleicht als Aufgabe, das Leben nach ihrer Religion zu meistern? Ich weiss es nicht.

Dann traf ein weiterer Zug ein. Menschen strömten über die Treppen in den Untergrund und an uns vorbei. Ein Mann war ebenso elektrisiert wie ich es war, als ich die fremden Töne wahrnahm und stellte abrupt seinen Koffer ab. Auch er hörte eine Weile zu. Ging weiter. Und kam wieder. Genau, wie ich mich verhalten hatte. Doch brachte er der Frau eine Schrift und erklärte dazu: „Um Freunde zu finden.“ Vielleicht in einer internationalen Friedensorganisation? Die Fremde war sofort interessiert und suchte aus dem Faltprospekt die ihr adäquate Sprache. Weil sie einen grauen Arbeitskittel trug, wie wir ihn noch aus der Mao-Zeit kennen, mag er sie als Chinesin eingestuft haben. Auf diese Frage schüttelte sie aber den Kopf. Mir hatte sie vorher auf die Frage, ob sie aus dem Tibet stamme, mit Ja geantwortet.

Danach erhob sie sich, streckte sich, stöhnte etwas und gab Signale, sie möchte jetzt stille sein. Wir gingen weiter, in gegensätzliche Richtungen. Bevor mein Zug weiterfuhr, stieg ich aber nochmals hinunter und winkte ihr. Sie sang wieder. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Dann kam ich in meine eigene Kultur zurück.

Im Laufe unserer Wanderung kam ich dann über die gedeckte Aabach-Brücke bei Schmerikon, einem Lieblingsort von mir. Hier kann ich immer verweilen, denn die Brücke offeriert in ihren Seitennischen Bänke und Ausblicke in alle Richtungen. Lichtdurchflutet ist sie. Ihre grossen Fensterluken binden die Landschaft in ihre Gestaltung ein. Hier heisst Übergang Übersicht und Aussicht.

Im übertragenen Sinn mag auch die dunkle Nische in der Bahnhofunterführung ein Übergang für die Tibeterin sein. Wenn sie Freunde finden kann, führt ihr Weg sicher bald wieder oberhalb der Erde weiter.

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