Oh je, die Foto ist unscharf. Ich kann die Inschrift am
Brückeneingang über den Aabach nicht lesen und vergessen habe ich sie
auch. Hiess sie „Alles ist Übergang“?
Passend für meinen Sonntag. Nach nur halbstündiger S-Bahn-Fahrt war
ich in einer fremden Kultur gelandet. In der Unterführung von Pfäffikon
im Kanton Schwyz wurde ich auf eine Tibeterin aufmerksam. Diese spielte
auf einem mir unbekannten Instrument und versetzte mich augenblicklich
in eine fremde Kultur. Mit einer Art Geigenbogen entlockte sie dem
metallenen Teil des Instruments Töne, die mich an Steppenvölker denken
liessen. Vor meinen inneren Augen sah ich Pferde davonrennen und Staub
aufwirbeln. Die Töne ähnelten einem giftigen Wind. Die Frau sang auch.
Genau gesagt, tönte sie. Worte fehlten. Ich versuchte, mit ihr zu reden,
doch mangelte es uns an einer gemeinsamen Sprache. Ob sie hier zu Hause
sei? Nein. Ob sie immer weiter ziehe? Mit Handbewegungen versuchte ich,
mich verständlich zu machen. Ja! Ja, unterwegs. Vielleicht als Aufgabe,
das Leben nach ihrer Religion zu meistern? Ich weiss es nicht.
Dann traf ein weiterer Zug ein. Menschen strömten über die Treppen in
den Untergrund und an uns vorbei. Ein Mann war ebenso elektrisiert wie
ich es war, als ich die fremden Töne wahrnahm und stellte abrupt seinen
Koffer ab. Auch er hörte eine Weile zu. Ging weiter. Und kam wieder.
Genau, wie ich mich verhalten hatte. Doch brachte er der Frau eine
Schrift und erklärte dazu: „Um Freunde zu finden.“ Vielleicht in
einer internationalen Friedensorganisation? Die Fremde war sofort
interessiert und suchte aus dem Faltprospekt die ihr adäquate Sprache.
Weil sie einen grauen Arbeitskittel trug, wie wir ihn noch aus der
Mao-Zeit kennen, mag er sie als Chinesin eingestuft haben. Auf diese
Frage schüttelte sie aber den Kopf. Mir hatte sie vorher auf die Frage,
ob sie aus dem Tibet stamme, mit Ja geantwortet.
Danach erhob sie sich, streckte sich, stöhnte etwas und gab Signale,
sie möchte jetzt stille sein. Wir gingen weiter, in gegensätzliche
Richtungen. Bevor mein Zug weiterfuhr, stieg ich aber nochmals hinunter
und winkte ihr. Sie sang wieder. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
Dann kam ich in meine eigene Kultur zurück.
Im Laufe unserer Wanderung kam ich dann über die gedeckte
Aabach-Brücke bei Schmerikon, einem Lieblingsort von mir. Hier kann ich
immer verweilen, denn die Brücke offeriert in ihren Seitennischen Bänke
und Ausblicke in alle Richtungen. Lichtdurchflutet ist sie. Ihre grossen
Fensterluken binden die Landschaft in ihre Gestaltung ein. Hier heisst Übergang Übersicht und Aussicht.
Im übertragenen Sinn mag auch die dunkle Nische in der
Bahnhofunterführung ein Übergang für die Tibeterin sein. Wenn sie
Freunde finden kann, führt ihr Weg sicher bald wieder oberhalb der Erde
weiter.
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