Sonntag, 24. Mai 2015

Den Wallisern zuhören, wenn sie von der Seele reden

Der Film WINNA, Weg der Seelen wurde auch in Zürich gezeigt. Seine Geschichte spielt im Kanton Wallis. Dort leben immer noch Menschen, die alte Geschichten und altes Wissen respektvoll hüten. Die geografische Lage ihrer Heimat grenzte sie noch vor 100 Jahren im Winter von der Deutschschweiz ab. Darum sprechen echte Walliser immer noch von der Üsserschwyz (der Ausserschweiz), wenn sie uns, jenseits der Berge, meinen.
Diese Gegebenheiten brachten Menschen hervor, die eigenständig und sich selbst treu sein wollen. Beziehungen mit Wallisern verdanke ich viel. Sie nahmen mich mit in ihre Welt, ganz speziell in ihre Bergwelt. Sie erschlossen mir und meiner Familie viel vom Reichtum ihrer Mentalität und auch von ihrer warmherzigen, bodenständigen und klangvollen Sprache, ihrem Dialekt. Und seit jeher haben mich ihre Sagen angesprochen. Vor Jahrzehnten sendete das Schweizer Radio viele Walliser Sagen in unsere Stuben.
 
Als ich eine erste Filmbesprechung über den eingangs erwähnten Film las, war sofort klar, dass ich ihn sehen wollte. Es hiess, er sei eine Verbindung von Totensagen, übersinnlichen Erlebnissen und grandioser Walliser Bergwelt.
 
Im Film wurde einer Schulklasse aufgetragen, in ihrem Umfeld nach Geschichten rund um die wandernden Seelen zu fragen. Antworten von verschiedenen Personen und Persönlichkeiten bilden das Gerüst des Films. Eine junge Seherin und Therapeutin kann die Seelen sehen. Sie berichtet, dass sie von dieser Gabe anfänglich sehr belastet worden sei. Nach einer besonderen therapeutischen Schulung kann sie heute ihre Begabung als Aufgabe verstehen.
 
Im Film sahen wir den Gratzug dargestellt. Die auf einem Bergkamm wandernde Prozession von unerlösten Seelen. Lichttragende Gestalten in weissen Umhängen. Altvordere sollen solche gesehen haben. Nachfahren sprechen im Film davon.
 
Mit dem Wort Seele wollen heute viele nichts mehr zu tun haben, weil es ein Leben nach dem Tod voraussetzt. Aber der Begriff der guten Seele – eines Menschen, der vorurteilslos auf andere zugehen und hilfsbereit handeln kann – ist immer noch geläufig.
 
Aus meinen ersten Lebensjahren in der Grossfamilie hüte ich immer noch Geschichten, die mit dem Tod und einem Leben danach verbunden sind. Als kleines Kind erlebte ich, wie Todesfälle die Verwandten veränderten. Sie wurden milder. Vor allem die sonst allwissenden Männer. Sie erzählten sich Geschichten, die ins Jenseits verwiesen. Ich hörte auch, wie sie von verwandten Toten träumten. Und später kamen ähnliche Geschichten aus der Familie meines Ehemannes hinzu. Immer gab es die Schwelle und das Leben danach. Manchmal wurden auch Zeichen erkannt, die einen Tod meldeten. Z. B. wenn ein Bild von der Wand fiel. Von solchen Zeichen wird auch im Film gesprochen.
 
Auch im erwähnten Gespräch mit der Seherin erfahren die Kinogäste, dass viele Seelen noch nicht heimgekehrt seien, die Schwelle einfach nicht übertreten wollen. Da befand sie sich im Film im Stockalperpalast in Brig VS und zeigte mit einer Geste, hier wimmle es von herumgeisternden Seelen.
 
In jungen Jahren, als ich in Paris arbeitete und mit einer Nonne aus dem Kloster der Helferinnen der armen Seelen (Les auxiliatrices des âmes du purgatoire) befreundet war, muss ich mich dort in Gesellschaft mit noch nicht heimgekehrten Seelen befunden haben. Gespürt habe ich sie nicht. Rückblickend denke ich daran. Dieser Orden war den sogenannt armen, also noch nicht erlösten Seelen gewidmet. Hier wurde für deren Erlösung gebetet.
 
Das Diesseits und das Jenseits waren in meiner Familie unangefochtene Dimensionen.
 
Allerlei Erfahrungen in meinem Leben deuten für mich darauf hin, dass unsere Seelen, nachdem sie ihren Körper auf der Erde zurückgelassen haben, zum Ursprung zurückkehren. Wir bringen das Leben, das wir gelebt haben, mit verschiedensten Leerblätzen (ein Dialektausdruck) zurück. Leerblätze sind Lehrstücke oder Lappen, an denen man flicken gelernt hat. Eigentlich Lehrblätze, doch mit ee steht's im Zürichdeutschen Wörterbuch (NZZ-Verlag).
 
Vielleicht? Wahrscheinlich? Oder möglich, dass unsere Diesseitserfahrungen im Jenseits wertvoll sind und in ferner Ferne nachgeborenen Menschen als geläutertes Wissen, Weisheit, Liebe und auch als spezielle Talente zur Verfügung stehen.
 
Ein Zitat von Raketeningenieur Wernher von Braun sitzt schon Jahre lang in meinen Gedanken und unterstützt sie:
 
Die Unsterblichkeit der Seele muss existieren. Als Wissenschafter weiss ich, dass nichts je verloren geht, sondern sich einfach verändert. Nach dem Tod muss ,die Seele‘ – oder wie man es nennen will – irgendwo sein, muss sich in etwas anderes umformen. Nichts löst sich je in nichts auf.