Erstaunlich, wie das Mittelalterfest in Zürich auch diesmal wieder
wie ein Magnet wirkte. Wir verdanken es den Frauen, genau gesagt der Gesellschaft Fraumünster*, die mit diesem Spectaculum der Stadt Zürich alle 3 Jahre ein Stück kultureller Vergangenheit vorführt.
Als ich Primo am Tag danach fragte, was ihm an diesem Fest
wieder besonders gefallen habe, nannte er gleich alle Handwerker, vorab
den Schmied, dessen Mitarbeiter Kinder anleiteten, Nägel zu schmieden.
Ausgestattet mit Schutzbrille und Lederschürze, wurde gehämmert „wie die
Grossen“.
Pong-pong! Pong-pong! Gli-gli-gli-gling! So tönte es, als
der Meister schmiedete. Dumpf, wenn auf glühendes Eisenstück geschlagen
wurde, hell dazwischen die Leerschläge auf den Ambos. Eine Art Tanz mit
dem Hammer: Sehr konzentriert, gespannt, auch gehetzt, um den glühenden
Zustand des Eisens auszunützen. Kein Schlag zu wenig, keiner zu viel.
Wir verfolgten auch, wie ein Hufeisen geformt wurde. Gearbeitet wurde an
diesem Tag in einem offenen Zelt im Freien. Hier entwichen Rauch und
Hitze, anders als in der Schmiede, wo sie als Werkstattatmosphäre
festsitzen. An einem Stand nebenan wurde uns noch gezeigt, wie Blech mit
einem Schaleneisen zu einem Helm getrieben wird.
Das bunte Programm historischer Marktfahrer umfasste verschiedene
Berufe und Produkte: Ledergerber/Lederverarbeiter,
Buchdrucker/Buchbinder, Drechsler, Pfeilbogenhersteller, Kalligraph,
Strohflechterinnen mit Hutangebot, Kräuter und Salben nach Rezepten aus
der Fraumünsterabtei. Ich kaufte Ringelblumensalbe und wie letztes Mal
„Fraumünster-Wundertee“. Die Kräutermischung behagt mir. Ich verwende
sie aber nicht als Tee. In offenen Schalen aufgestellt, bestimmt sie
unser Raumklima mit.
An den Stand der Seifensiederin Irene Lienemann haben mich
die starken Lavendeldüfte hingezogen. Hier gefiel mir das ganze Angebot.
Ich kaufte handgefertigte Seifen, Lavendelblüten und Lavendelhydrolat,
das Nebenprodukt aus der Wasserdampf-Destillation. Davon bin ich jetzt
ganz angetan. Als beruhigender Badezusatz, als Gesichtswasser und zum
Ausreiben der Küchenkästen geeignet, weil der Lavendelduft Insekten
abwehre, erklärte sie mir. Ihre Homepage ist vermutlich nicht nur für
mich sehr lehrreich** .
Wir erfreuten uns an mittelalterlichen Tänzen, an Musik, an den
schlichten Kleidern aus natürlichen Materialien, an den Spielen, den
Gauklern und an den vielen Besuchenden dieses Markts, die sich ebenfalls
begeistern liessen. Wir schauten Kindern zu, die Stahlkugeln warfen, um
Eier zu treffen. Ein Vorläufer des Riesenrads von heute faszinierte
auch. In der Art des hölzernen Brückenbaus geschaffen. Für Kinder. Von
Hand angetrieben. Allerliebst.
Als wir den Münsterhof verlassen hatten, bemerkten wir, dass im
Kreuzgang des Fraumünsters mittelalterlich gekleidete Menschen
herumstanden. Hier verstärkte sich noch der Eindruck von vorher, dass
wir in eine sehr weit zurückliegende Zeit eingetaucht waren. Nicht in
Form eines Theaterbesuches, sondern genau so, wie wenn wir zu dem, was
hier gezeigt werden wollte, dazu gehörten. Als Einwohner von Zürich, die
sich ebenfalls in die Stadt begeben hatten und auf diese Leute
stiessen. Sie trugen vornehme Kleider aus alter Zeit, bewegten sich aber
nicht als Figuren. Sie hielten keine Monologe, zeigten kein Theater.
Einzelne unterhielten sich locker. Wie ich später feststellte, war aber
doch ein Spiel gerade beendet worden. Ein Schachspiel, in dem Menschen
als Figuren eingesetzt worden sind. Am Rücken waren sie bezeichnet,
welche Schachfigur sie darstellten. Primo zeigte sofort auf den Boden
mit den Einteilungen des Schachbretts. Wir bemerkten auch den Hochsitz,
von dem aus befohlen werden kann, wohin sich eine Figur begeben muss.
Aber jetzt wurde nicht gespielt. Wir störten nicht, betraten auch das
Schachfeld nicht.
Wir gingen seitlich vorwärts. Wohl hatte ich vorher ein paar
vorwurfsvolle Blicke einer leitenden Person aufgefangen. Sie schickte
uns aber nicht zurück, liess uns gnädig passieren.
Wir wurden zu einer abgemachten Zeit in der Altstadt auf der
anderen Limmatseite erwartet. Darum benützten wir diesen üblicherweise
zweiseitig zugänglichen Kreuzgang als kürzesten Weg. Doch am Gittertor
wurden wir noch angehalten. Dort stand ein mittelalterlicher Bettler. Er
hielt seinen Filzhut hin und jammerte erbarmungswürdig. Primo stülpte
sofort seine beiden Hosentaschen um und hielt sie je mit einer Hand
fest, damit er sehen könne, dass auch er sehr arm sei, nichts auf sich
trage. Es folgte ein gegenseitig humorvolles Lamento, so lange, bis ich
mein Portemonnaie ausgegraben und dem armen Mann einen Batzen in den Hut
geworfen hatte. Er bedankte sich artig, und wir konnten weitergehen.
Dann bemerkte ich, dass wir einen Augenblick zum Spiel gehört
hatten. Ich schaute in schmunzelnde Gesichter. Man schaute uns nach.
Unsere Rollen, die sich am Tor ergeben haben, stimmen mit uns überein.
Primo ist derjenige, der die Mitmenschen mit seinem Wesen und seiner
künstlerischen Leistungen unterhält, und ich sorge dafür, dass alle, die
für uns arbeiten, ihren Lohn bekommen.
Das Spiel mit dem Bettler hat Spass gemacht. Und wirkt noch nach, wie ein Blick in den Spiegel.
Hinweise
* Fraumünstergesellschaft Zürich. www.fraumuenstergesellschaft.ch
** Seifensieden. www.kraeuterseife.ch