Sonntag, 17. November 2013

Nicht nur Geschäfte, auch Sternschnuppen erwartet

Aus der goldenen Pracht der Bäume, die uns bis vor kurzem umgaben, sind Skelette geworden. Die Blätter sind abgefallen. Der Herbst hat seine Zeichen wieder gesetzt. Die Sonne durchdringt jetzt nur noch selten die Wolkendecke. Da ist es zu Hause wieder am schönsten. Ich fühle mich in einem Zwischenreich. Die Farben sind am Verblassen. Grau dominiert.
 
Auch die Räbenlichter-Umzüge haben wieder stattgefunden. Einmal fuhr ich im Bus nach Hause, als an einer Station viele Kinder einstiegen, auch Eltern und Mütter mit Kinderwagen. Eine bunte Schar. Sie trugen Räbenlichter bei sich. Als diese an der Station eines Schulhauses alle ausstiegen, sprach mich eine Frau an, die ihrer Sprache nach keine Schweizerin war. Sie sagte, das sei ein christliches Fest, und diese Kinder da seien doch alle Muslime. Das passte in ihrem Denken nicht zusammen. Ich beschwichtigte sie, es sei ein Lichterfest. Es gehe hier um Dunkelheit und Licht und dass die Kinder die Nacht erfahren dürfen und ebenso, was Licht sei. Da bekam ich dann ein versöhnliches Lächeln geschenkt.
 
Auch diesmal standen Primo und ich mit Letizia auf ihrem Balkon und schauten auf den Umzug. Die Strasse dort ist abfallend und wenn hier Kinder mit ihren wackligen Lichtern vorbeiziehen, sieht es aus, wie wenn diese auf einem Bach daherkämen.
 
In der Zeit zwischen Herbst und Advent entdecken wir manchmal schon ersten Anzeichen der bevorstehenden Weihnachtszeit. Aber erst, wenn die Beleuchtung der Bahnhofstrasse ausstrahlt, erfahren wir den Zauber des Advents. In diesem Dezember 2013 wird die Beleuchtung Lucy erstmals am 21. Dezember um 18 Uhr eingeschaltet. Wer dann dort unterwegs ist, wird augenblicklich auf Weihnachten eingestimmt oder sogar programmiert. Es gibt immer Leute, die für diesen Augenblick extra in die Innenstadt kommen.
 
Materielle Dinge werden immer wichtiger und bestimmen das Weihnachtsgeschäft. Auch wenn sie golden verpackt sind, beantworten sie den Sinn dieses Festes nicht. Darüber werden vermutlich die Referenten der Sternschnuppen über Mittag sprechen.

Als ich dieser Tage in die Innenstadt kam, zog es mich wieder einmal in die Christkatholische Kirche, die wir Augustinerkirche nennen. Es ist nicht meine Kirche, aber ich gehe gern dorthin. Mir gefällt der Raum und die Atmosphäre. Auf einem Lettner, der den Altarraum vom Kirchenschiff trennt, stehen 3 Skulpturen. Christus in der Mitte, Maria links und vermutlich Johannes rechts von ihm. Die Beleuchtung dieser 3 Gestalten ist so geschickt eingerichtet, dass die Figuren ihre Schatten auf die gebogene Wand im Altarraums werfen und den Schein erwecken, die erwähnten Personen seien anwesend, mitten unter uns.
 
Im Advent bietet diese Kirche Sternschnuppen über Mittag an. Eine Veranstaltungsreihe mit Gastreferenten zur Weihnachtszeit. Sie ist beliebt und diesmal wir im Einladungsprospekt sogar von der 100. Sternschnuppe gesprochen.
 
Ab 21. November 2013, immer am Donnerstag, von 12.15 Uhr bis 12.45 Uhr, findet eine von 5 Sternschnuppen über Mittag statt. Es sprechen bekannte Persönlichkeiten zur Weihnachtszeit. Diesmal eröffnet Hildegard Schwaninger den Sternschnuppenreigen. Sie ist in Zürich als bestinformierte Gesellschaftsjournalistin bekannt. Es folgen weitere zu Zürich gehörende Menschen, die etwas zu sagen haben. Und alle Sternschnuppen-Zwischenhatle werden auf feinsinnige Art musikalisch untermalt.
 
Erwartet werden auch
Lorenz Marti, Journalist und Schriftsteller, bis vor kurzem Radiojournalist, Bereich Religion
Tony Styger, Seelsorger, Leiter der "Dargebotenen Hand"
Catriona Bühler, Sopran, Severine Schmid, Harfe
Franz Hohler, Kabarettist und Schriftsteller.
 
Es sind Angebote für Menschen, die sich über Mittag dem Beruf entziehen und in andere Sphären abgeholt werden möchten.
 
Am 1. Adventssonntag wird übrigens der Gottesdienst aus dieser Kirche um 10 Uhr bis 10 45 auf SRF 1 (im Schweizer Fernsehen) übertragen.
 
Weiter auf meinem Rundgang durch die Altstadt habe ich im Grossmünster Hinweise auf das offene Singen am ersten Advent (1. Dezember 2013) gefunden. Dieses gemeinsame, offene Singen traditioneller sowie neuer Advents- und Weihnachtslieder sei auch für Familien mit Kindern geeignet. Es findet um 17 Uhr im Zürcher Grossmünster statt.
 
Zürich ist nicht nur Bank- und Geschäftswelt. Es gibt hier auch ein religiöses Leben und Sinnfragen werden hier auch gestellt. Auch wenn darüber nur wenig Schlagzeilen zu lesen sind.

Montag, 4. November 2013

Gedanken zu Schrei, Schrei der Natur und zum Geschrei

In der Ausstellung mit Lithografien und Holzschnitten des Norwegers Edvard Munch (1863‒1944), hat mich das Thema Der Schrei besonders angesprochen. Es ist weltbekannt. Primo entdeckte gleich, dass Munch der Lithografie aber den Titel Der Schrei der Natur gegeben hat. Handschriftlich, gut lesbar. Allgemein wird immer nur vom Schrei (Der Schrei) gesprochen.

Das Bild dazu kann ich hier nicht zeigen. Aber aus einer kleinen Schrift, die das Kunsthaus zur Verfügung stellt, Munchs eigene Worte zum Bildinhalt wiedergeben:
Ich ging die Strasse entlang mit zwei Freunden – Die Sonne ging unter. Der Himmel wurde blutig rot – Und ich fühlte einen Hauch von Wehmut – Ich stand still erschöpft bis zum Tod – über dem blau-schwarzen Fjord und der Stadt lagen Blut und Feuerzungen. Meine Freunde gingen weiter – ich blieb zurück – zitternd vor Angst – Ich fühlte den grossen Schrei der Natur.
 
Hier wird vom Schrei der Natur gesprochen. Mir erschien diese Bezeichnung sofort umfassender. Wir alle sind Natur, eingebettet in Natur. Wir erfahren sie innerhalb und ausserhalb von uns.
 
Ein 3. Titel, den ich etwas später entdeckte, liess mich das Bild dann noch besser verstehen. Dem erwähnten Text gegenüber ist die dazugehörige Lithografie abgebildet. Und sie trägt den Titel Das Geschrei.
 
Das Bild zeigt Munch oder den personifizierten Schrei, an ein Geländer angelehnt. Die Freunde sind weggegangen, schauen nicht mehr zurück. Das Wasser im Fjord ist ruhig. Der Himmel bewegt, ängstigt aber nicht. Munch schrieb von Blut und Feuerzungen. Das reproduzierte Bild, das ich vor mir habe, zeigt nur eine schwarz-weisse Version.
 
Da steht einer und schreit. Mit weit aufgerissenen Augen. Mit den Händen die Ohren verschliessend und gleichzeitig den Kopf stützend. Schreit er nach innen, um das Geschrei in seiner Seele zu übertönen, es zu ängstigen, dass es verstumme?
 
Die Freunde, die weitergegangen sind, können ihn nicht hören. Und die ruhige Natur um ihn nicht trösten. Es wird verständlich, dass alle Bilder von Munch, die als Der Schrei bekannt geworden sind, auch Der Schrei der Natur und Das Geschrei darstellen. Wir begegnen ihnen öfters auch als Illustration, wenn Ausweglosigkeit dargestellt werden soll.
 
Obwohl die Bilder dieser Ausstellung Abgründe aufzeichnen und davon erzählen, wie einsam und verlassen sich dieser Mann immer wieder gefühlt haben muss, drückten uns die Werke nicht nieder. Der künstlerische Ausdruck und die grossartige handwerkliche Technik stellen das Gegengewicht dar.
 
Und sie wecken Mitgefühl und lösen Gespräche aus. Munch wird vermehrt verstanden. Man beschäftigt sich mit ihm. Für manch leidende Persönlichkeiten mögen seine Bilder Trost sein. Jetzt hat er Freunde, die bei ihm bleiben und ihn verstehen.
 
In dieser Ausstellung werden 150 grafische Meisterwerke gezeigt, die in solcher Gesamtheit noch nie ausgestellt worden sind.
 
Die Ausstellung im Kunsthaus Zürich dauert noch bis 12. Januar 2014.
 
Im Internet sind Abbildungen von Munchs Schrei zu finden. Es existieren verschiedene Repliken und auch Gemälde zu diesem Thema. Auch farblich gibt es Variationen.
 
Die Ausstellung zeigt noch weitere Aspekte aus den Grunderfahrungen unserer menschlichen Existenz: Liebe, Leidenschaft, Einsamkeit und Trauer. Der Schrei ragt nur für mich so dominant heraus.
 
Gepackt hat mich aber auch die Darstellung einer Frau, die sich vom Mann abgewendet hat. Sie schaut aufs Meer. Der Wind lässt ihre langen Haare waagrecht flattern. Und weil sie sehr lang gewachsen sind, können sie den hinter sich stehen gelassenen Mann berühren. Wenn ich mich recht erinnere, setzten sich die Haarspitzen auf seiner Schulter ab. Ist er berührt und hofft er, dass er noch nicht ganz verlassen worden ist?