Montag, 4. November 2013

Gedanken zu Schrei, Schrei der Natur und zum Geschrei

In der Ausstellung mit Lithografien und Holzschnitten des Norwegers Edvard Munch (1863‒1944), hat mich das Thema Der Schrei besonders angesprochen. Es ist weltbekannt. Primo entdeckte gleich, dass Munch der Lithografie aber den Titel Der Schrei der Natur gegeben hat. Handschriftlich, gut lesbar. Allgemein wird immer nur vom Schrei (Der Schrei) gesprochen.

Das Bild dazu kann ich hier nicht zeigen. Aber aus einer kleinen Schrift, die das Kunsthaus zur Verfügung stellt, Munchs eigene Worte zum Bildinhalt wiedergeben:
Ich ging die Strasse entlang mit zwei Freunden – Die Sonne ging unter. Der Himmel wurde blutig rot – Und ich fühlte einen Hauch von Wehmut – Ich stand still erschöpft bis zum Tod – über dem blau-schwarzen Fjord und der Stadt lagen Blut und Feuerzungen. Meine Freunde gingen weiter – ich blieb zurück – zitternd vor Angst – Ich fühlte den grossen Schrei der Natur.
 
Hier wird vom Schrei der Natur gesprochen. Mir erschien diese Bezeichnung sofort umfassender. Wir alle sind Natur, eingebettet in Natur. Wir erfahren sie innerhalb und ausserhalb von uns.
 
Ein 3. Titel, den ich etwas später entdeckte, liess mich das Bild dann noch besser verstehen. Dem erwähnten Text gegenüber ist die dazugehörige Lithografie abgebildet. Und sie trägt den Titel Das Geschrei.
 
Das Bild zeigt Munch oder den personifizierten Schrei, an ein Geländer angelehnt. Die Freunde sind weggegangen, schauen nicht mehr zurück. Das Wasser im Fjord ist ruhig. Der Himmel bewegt, ängstigt aber nicht. Munch schrieb von Blut und Feuerzungen. Das reproduzierte Bild, das ich vor mir habe, zeigt nur eine schwarz-weisse Version.
 
Da steht einer und schreit. Mit weit aufgerissenen Augen. Mit den Händen die Ohren verschliessend und gleichzeitig den Kopf stützend. Schreit er nach innen, um das Geschrei in seiner Seele zu übertönen, es zu ängstigen, dass es verstumme?
 
Die Freunde, die weitergegangen sind, können ihn nicht hören. Und die ruhige Natur um ihn nicht trösten. Es wird verständlich, dass alle Bilder von Munch, die als Der Schrei bekannt geworden sind, auch Der Schrei der Natur und Das Geschrei darstellen. Wir begegnen ihnen öfters auch als Illustration, wenn Ausweglosigkeit dargestellt werden soll.
 
Obwohl die Bilder dieser Ausstellung Abgründe aufzeichnen und davon erzählen, wie einsam und verlassen sich dieser Mann immer wieder gefühlt haben muss, drückten uns die Werke nicht nieder. Der künstlerische Ausdruck und die grossartige handwerkliche Technik stellen das Gegengewicht dar.
 
Und sie wecken Mitgefühl und lösen Gespräche aus. Munch wird vermehrt verstanden. Man beschäftigt sich mit ihm. Für manch leidende Persönlichkeiten mögen seine Bilder Trost sein. Jetzt hat er Freunde, die bei ihm bleiben und ihn verstehen.
 
In dieser Ausstellung werden 150 grafische Meisterwerke gezeigt, die in solcher Gesamtheit noch nie ausgestellt worden sind.
 
Die Ausstellung im Kunsthaus Zürich dauert noch bis 12. Januar 2014.
 
Im Internet sind Abbildungen von Munchs Schrei zu finden. Es existieren verschiedene Repliken und auch Gemälde zu diesem Thema. Auch farblich gibt es Variationen.
 
Die Ausstellung zeigt noch weitere Aspekte aus den Grunderfahrungen unserer menschlichen Existenz: Liebe, Leidenschaft, Einsamkeit und Trauer. Der Schrei ragt nur für mich so dominant heraus.
 
Gepackt hat mich aber auch die Darstellung einer Frau, die sich vom Mann abgewendet hat. Sie schaut aufs Meer. Der Wind lässt ihre langen Haare waagrecht flattern. Und weil sie sehr lang gewachsen sind, können sie den hinter sich stehen gelassenen Mann berühren. Wenn ich mich recht erinnere, setzten sich die Haarspitzen auf seiner Schulter ab. Ist er berührt und hofft er, dass er noch nicht ganz verlassen worden ist?

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