Nach einem Abendessen tuschelte Mena mit ihrer Mama und wies uns Grosseltern an, die Hände zu waschen. Vor dem Essen hätten wir sie gewaschen, weil wir vorher im Garten gespielt hätten. Jetzt müssten wir es erneut tun, um Fettflecken zu verhindern. Dann gebe es eine Überraschung für uns.
Folgsam fügten wir uns und setzten uns erneut an den Tisch. Dann
holte Mena einen roten Ordner, Format für A-4-Einlagen, aus der Tasche
und zeigte uns, was im vergangenen Schuljahr in der Ecole Maternelle entstanden ist. Sie ist Schülerin im Schulhaus Orsel und
hat eben das 2. von 3 Vorschuljahren abgeschlossen. Sie ist 5 Jahre
alt. Jede Seite dieses prall gefüllten „classeurs“ mussten wir genau
betrachten. Die dazu gehörigen Geschichten haben uns gefallen.
Ich möchte ohne den berüchtigten Grossmutter-Stolz davon erzählen.
Eine gewisse Freude über die Entwicklung soll aber spürbar sein. Menas
Schule, die genau übersetzt „mütterliche Schule“ heisst, hat so viele
farbige und spielerische Elemente, die ich gerne erwähne. Da meine
Enkelkinder nicht in der Schweiz aufwachsen, sehe ich nur das
französische Modell. Auf diese Weise erübrigen sich Vergleiche.
Das Programm der Ecole Maternelle ist in 5 grosse Bereiche eingeteilt.
1. Reden, die Sprache als Herzstück dieser ersten Lehrjahre
2. Gemeinschaft, das gemeinsame Leben
3. Handeln, sich mit seinem Körper ausdrücken
4. Sensibilität, Vorstellungskraft und Kreativität
5. Die Welt entdecken. In Klammer heisst es sogar noch (wissenschaftliche Aktivitäten)
Ganz besonders gefallen haben mir die zitierten Sätze von Jules Ferry.
Nach ihm soll die Schule liebenswert, die Arbeit attraktiv und spannend
sein und die Lust an der Anstrengung wecken. Ebenso wird davon
gesprochen, dass Lehrpersonen und ihre Regeln zu respektieren seien.
Beim Durchblättern des roten Ordners wird gut sichtbar, dass Mena
von dieser angesprochenen Freude an der Schule erfasst worden ist. Ihre
Zeichnungen zeigen, wie Fortschritte gewachsen und das Selbstwertgefühl
erstarkt sind. Die „autoportraits“ (Selbstbildnisse) zeigen das. Gut
gefallen mir auch die Wortspiele, Sprüche, Lieder. Da gibt es einen
Text, der die Wochentage zum Inhalt hat. Übersetzt ins Deutsche heisst
es da: „Guten Tag Madame Montag, wie geht es Madame Dienstag? Sehr
gut Madame Mittwoch. Sagen Sie Madame Donnerstag, sie solle am Freitag
kommen, am Samstag tanzen, im Sonntags-Saal.“ Auf Französisch tönt das selbstverständlich viel schöner.
Versuche, den Weg im aufgezeichneten Labyrinth zu finden oder
Zeichnungen aus der Mitte heraus stärken den Orientierungssinn. Ganz
ihrem Wesen nach hat Mena den Buchstaben M gestaltet. Er steht für den
Anfang ihres Vornamens. Aus den beiden vertikalen Strichen zeichnete sie
2 Kinder, die sich zuwinken.
Umfangreich wurde die Hexe behandelt und dargestellt. Ihre Hände
reichen über das Blatt hinaus. Ebenso der spitze Hut. Der Mund ist als
Gitter dargestellt, die Augen mit Strahlen versehen. Das Ganze zwar
ungewöhnlich, aber nicht Angst machend. Das Haus der Hexe trägt 2
Aufsätze, den Hüten gleich. Die Phantasie lebt.
Die Geburtstage der Kinder werden gefeiert. Es werden Kuchen
gebacken. Das Rezept ist im roten Ordner bildlich dargestellt. Es wird
da von einem Joghurt-Kuchen gesprochen. Einerseits gehört Joghurt zu den Zutaten, andererseits sind die Joghurt-Becher Masseinheiten.
Das Rezept, als Zeichnung dargestellt, umfasst1 Becher Joghurt3 Eier1 Joghurt-Becher voll Zucker1/2 Joghurt-Becher voll Öl3 Joghurt-Becher voll Mehl1 Prise Salz1 Säcklein Hefe.
Alles gut vermischen und verquirlen, in Backform einfüllen. Bei mittlerer Hitze 25 Minuten backen.
Eine andere Aufgabe zeigt einen angeschnittenen Kuchen. Aus 3
Grössen-Varianten muss das fehlende Stück erkannt werden. Da wird gute
Beobachtung gefördert. Weil es sich um einen Kuchen handelt, schauen die
Kinder sicher sehr interessiert hin. Den einen wird das Wasser im Mund
zusammenlaufen.
So tauche ich ab in die Welt der Kinder mit diesen vielen spielerischen Möglichkeiten des Lernens, die wir noch nicht kannten.
Das Zusammensein im gemeinsamen Haushalt bereichert uns. Schon mit
den eigenen Kindern stellte ich fest, dass wir gegenseitig voneinander
lernten.