Das Areal der Engros-Papierhandlung Feldmann, Dutli & Co, zwischen Hardturmstrasse und Limmatufer in Zürich, ist in meinem Visier. Es wird abgebrochen. Seit gut 2 Wochen verfolgen Primo und ich, wie die Gebäude abgetragen und Baugrund-Sondierungen vorgenommen werden.
2 Nebengebäude sind bereits vom Erdboden verschwunden. Jetzt ist
das Hauptgebäude ausgekernt und bekommt demnächst den Todesstoss. Ich
beobachtete die wackeren Männer, wie sie die hölzernen Innenausbauteile
zielsicher aus oberen Stockwerken in die Mulde warfen. Da hätte ich ganz
gern mitgemacht.
Auf einem Vordach über dem hinteren Eingang hat sich eine Pappel
eingenistet. Sie mag 2 oder 3 Jahre alt sein. Trotz kargem Boden hat sie
sich entwickeln können. Nun sind auch ihre Tage gezählt.
Hier sah ich letzte Woche 2 junge Mütter mit Kindern im
Vorschulalter. Diese schauten durch das Bauabschrankungsgitter den
Arbeitern zu. Doch als eine kleine Mauer einstürzte, weinte ein Knabe
herzzerbrechend und war fast nicht mehr zu beruhigen. Ich weiss nicht,
hatte er Angst oder war es für ihn einfach traurig, dass etwas kaputt
gemacht wurde.
Feldmann, Dutli & Co. ist für mich von klein auf an ein
Begriff. Hier durften Kinder nach Papierresten fragen. Obwohl ich eher
scheu war und nicht gerne bettelte, zog es auch mich an den
Ausgabeschalter. Papier löste immer Glücksgefühle in mir aus. Wir
bekamen breite Abschnitte in verschiedensten Farben und Qualitäten. So
etwas gab es zu Hause nicht. Wer gerne zeichnete oder schrieb, holte
sich von Zeit zu Zeit das Material in diesem grossen Haus. Wenn wir in
sehr kurzen Abständen wiederkehrten, hiess es manchmal, jetzt gerade sei
nichts vorrätig für uns. Das zu erfahren, war auch wichtig. Es
verhinderte, dass wir anmassend oder verschwenderisch wurden.
Die Firma Feldmann, Dutli & Co. gibt es schon lange nicht mehr,
obwohl der Firmenname immer noch an der Westseite des Haupthauses
prangte. Die Gebäude erfuhren eine Umnutzung, aber die äussere
Erscheinung blieb erhalten. Mindestens einmal im Frühjahr, wenn der Baum
aus der Akazienfamilie beim Treppenaufgang blühte oder im Herbst, wenn
die roten Laternchen ausgewachsen waren, schaute ich genauer hin und
erinnerte mich an das Kinderglück von einst.
Bereits mit dem Abbruch-Beginn ist im „Tages-Anzeiger“ ein Inserat
und eine Modellansicht eines Neubaus für Eigentumswohnungen auf diesem
frei werdenden Gelände erschienen. Es wird den Ort radikal verändern.
Nun sind beinahe alle Fabrikgebäude, die zu meinem Schulweg durch die
Hardturmstrasse Richtung Escher Wyss Platz führten, abgebrochen. Das
einstige Industriequartier ist kein Industriequartier mehr.
Von solchem Wandel zeugt vielleicht die neue Erscheinungsform
unseres Quartierwappens. Ursprünglich als Zahnrad gestaltet, wurde es
auf weissem Stoff schwarz gedruckt. Nun erschien es am Züri-Fest 2007
auf der Quaibrücke und innerhalb aller Quartierfahnen als zürich-blaues
Zahnrad auf weissem Grund. Wir wissen nicht, ob wir da die Première
eines modernisierten Quartierwappens gesehen haben. Weder vorher noch
nachher wurde darüber berichtet.
So geschehen Veränderungen. Schleichend. Plötzlich ist eine lange
nicht bemerkte Neuerung fest verwurzelt, und niemand stösst sich daran.
So ergeht es dem Begriff „Zürich-West“. Obwohl ziemlich sicher noch
nicht offiziell verankert, hat er sich durchgesetzt und wertet das
ehemalige Fabrikgelände auf. Es gilt heute als chic, hier zu leben oder
zu arbeiten.
Und jetzt noch das Finale meines Beitrages, das mir unerwartet
zugekommen ist. Auf meinem oben erwähnten Auslauf traf ich auf 2
Bauarbeiter, die ihr Tagwerk beendet hatten und sich ein tolles
Vergnügen leisteten. Sie hatten eine grosse Mulde mit Plastikfolien
ausgekleidet, liessen Wasser einlaufen, zogen die Badehose an und
hechteten mit akrobatischer Lebensfreude hinein. Sie lachten übermütig.
Kinder hätten solche Freude kaum ausgelassener zeigen können. Und auch
ich war zufrieden, denn diese Männer hatten mir gerade den Schlusspunkt
unter diesen Aufsatz gesetzt.
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