Sonntag, 30. Dezember 2018

Jahres-Ausklang 2018

Ich denke über das auslaufende Jahr nach. Wie würde es meine Leistungen bewerten, wenn wir miteinander sprechen könnten? Was war das Schönste an ihm? Warum erlebte ich in den vergangenen Monaten oft schwierige Momente? Offenbar weil ich alt geworden bin.

Zufällig entdeckte ich in meiner Textsammlung «Das Gebet des älter werdenden Menschen». Ich weiss nicht mehr, wer mir dieses einmal zugespielt hat. Sehr alt dürfte dieser Text nicht sein. Er passt zum heutigen Denken und Leben.
Gebet des älter werdenden Menschen
O Herr, du weisst besser als ich,
dass ich von Tag zu Tag älter
und eines Tages alt sein werde.
Bewahre mich vor der Einbildung,
bei jeder Gelegenheit und zu jedem Thema
etwas sagen zu müssen.

Erlöse mich von der grossen Leidenschaft,
die Angelegenheiten anderer ordnen zu wollen.
Lehre mich, nachdenklich –
aber nicht grüblerisch –,
hilfreich – aber nicht diktatorisch – zu sein.
Bei meiner ungeheuren Ansammlung
von Weisheit erscheint es mir ja schade,
sie nicht weiterzugeben – aber du verstehst, o Herr,
dass ich mir ein paar Freunde erhalten möchte.

Bewahre mich
vor der Aufzählung endloser Einzelheiten
und verleihe mir schwingen,
zur Pointe zu gelangen.

Lehre mich schweigen
über meine Krankheiten und Beschwerden:
Sie nehmen zu – und die Lust, sie zu beschreiben,
wächst von Jahr zu Jahr.

Ich wage nicht, die Gabe zu erflehen,
mir Krankheitsschilderungen anderer
mit Freude anzuhören, aber lehre mich,
sie geduldig zu ertragen.

Lehre mich die wunderbare Weisheit,
dass ich mich irren kann.

Erhalte mich so liebenswert wie möglich.
Ich möchte kein Heiliger sein –
Mit ihnen lebt es sich so schwer -,
aber ein alter Griesgram
ist das Krönungswerk des Teufels.

Lehre mich, an anderen Menschen
unerwartete Talente zu entdecken,
und verleihe mir, oh Herr, die schöne Gabe,
sie auch zu erwähnen.

Autorin: Teresa von Avila, 1515–1582
Wer glaubt das?
Nach dem Text müsste es sich um einen Mann handeln.
Siehe zweitletzter Abschnitt.
Trotzdem: originell, mit viel Wahrheit.

Montag, 17. Dezember 2018

Freude am Glockenklang von Zürich

Dass alle Kirchen der Stadt Zürich jeden Samstagabend um 19 Uhr gemeinsam den Sonntag einläuten, wusste ich lange nicht. Am Rande des Industriequartiers, wo ich aufgewachsen bin, hörten wir die gemeinsamen Klänge der katholischen und der protestantischen Kirche erst später, als die Katholiken die Samstags-Abendmesse einführten. Diese schenkte uns danach freie Zeit am Sonntag. Sie war sofort beliebt. Wie andere Kirchgänger aus unserem Umfeld ging auch meine Familie den halbstündigen Weg zu Fuss zur Kirche. Man traf sich zufällig unterwegs.

Auf dem Weg zur Messe am erwähnten Samstagabend machte uns der Vater eines Tages auf die gemeinsamen Glockenklänge aufmerksam. Wir seien jetzt zur rechten Zeit unterwegs, um das Zusammenspiel der katholischen und der reformierten Glocken von Zürich im gemeinsamen Spiel zu erleben. Hört gut hin, hiess es.

Kurz vor dem Escher Wyss Platz empfing uns dann das Geläute von St. Josef und einige Minuten später konnten wir auch die Klänge von der reformierten Johanneskirche erahnen. Die feierliche Stimmung, die Glocken auslösen können, bewegte mich damals und auch heute noch.

Als ich in Paris eine Französin kennen lernte, die kurz zuvor Zürich besucht hatte, sprach sie begeistert vom erlebten Samstagabendläuten in Zürich. Sie schilderte mir ihre Freude und wünschte sich, diese Klänge nochmals zu erleben. Und ich fühlte mich in diesem Moment unwissend, kulturlos. Ich war da schon 20 Jahre alt und noch nie zur rechten Zeit in der Innenstadt oder auf dem Lindenhof eingetroffen, um das Zusammenspiel aller Glocken zu hören.
Am vergangenen Samstag erlebten Primo und ich wieder einmal dieses Zusammenspiel verschiedenster Glockenklänge. Berührend heiter spielten die Töne. Anfänglich hell bis hinunter zu dumpfen, dominanten Klängen z.B. von der Peterskirche. Dieses Spiel dauerte nur 10 Minuten. Wir haben es voll ausgekostet. Es lag ein Zauber über uns. Die Nacht spielte mit, versteckte scheinbar ganze Orte, zeigte ihre Gassen nicht.
Und dann erwachten plötzlich weit zurückliegende Erinnerungen. Es meldete sich die Frage: Habe ich nicht vor Jahren einmal einen Beitrag zum Thema der Zürcher Glockenklänge geschrieben? — Ja! Stimmt! Nun füge ich den damaligen ausführlichen Bericht hier an. Er ist detailreicher als meine Worte von gestern.
23.7.2005: Ins Samstagabend-Läuten in Zürich eingetaucht