Donnerstag, 23. Juni 2005

Stimmfilmcabaret in Zürich: „Doppellaut zu dritt“

Obwohl ich es mir nicht vorstellen konnte, was ein Stimmfilmcabaret sei, wirkte die Einladung auf mich magnetisch. Passend auch zum Tag der Première in Zürich: Es war der längste Tag. Das cabarettistische Programm entsprach ihm. Einem Höhepunkt wurde noch ein weiterer aufgesetzt.

Clara Buntin und Eva Enderlin, die beiden Sängerinnen und Komödiantinnen dieses Programms, waren seinerzeit Gründungsmitglieder der A-Cappella-Gruppe „The Sophisticrats“, die von 1985−1991 in der Schweiz, Deutschland, Italien, Frankreich, Namibia und Zimbabwe auf Tournee waren. In Cannes gewannen sie den „Prix de Coup de Coeur“, in Hamburg die Herzen der Seemänner. Sie spielten in der Berliner Bundeskriminalanstalt (BKA) und landeten in Paris auf dem Olymp. Sie produzierten 2 CDs und gingen dann getrennte Wege. Für das Programm „Doppellaut zu dritt“ haben sie sich zum ersten Mal wieder zusammengetan.

An diesem Abend nehmen sie uns im Kulturmarkt in Zürich auf Reisen mit, entführen uns mit ihren Liedern von der italienischen Serenata bis zum finnischen Volksrap in immer wieder andere Kulturen. In einer live vertonten Filmvorführung reisen wir mit ihnen nach Finnland, Berlin, Hamburg, Bayern, Zürich und schliesslich noch an einen italienischen Strand. Mit einer alten, an die ersten Stummfilme erinnernden Film-Technik erzeugen sie jene komische Hektik, die Menschen zu Marionetten macht. Mit Methoden aus alter Zeit, als das Leben gemächlicher gelebt wurde, wird uns grotesker Stress vorgeführt.

Munter wird mit Sprachen und Wortspielen jongliert. Keine Sekunde Langeweile. Es hiess in der Pressemitteilung, es handle sich um eine leichtfüssig unterhaltsame Angelegenheit. Das kann ich bestätigen. Wir lassen uns entführen. Wir lachen. Viele pfeifen zustimmend. Von meiner Platznachbarin in diesem Saal erfahre ich später, dass sie die im Film persiflierte Hafenrundfahrt in Hamburg auf ihrer vorgesehenen Reise unbedingt nacherleben will.

Nach einem solchen Abend fällt es leichter, die eigene Welt etwas schräg, also nicht mehr so streng, anzusehen. Die Mundwinkel sind entspannt, weisen wieder nach oben. Danke Clara, die an diesem Abend Oktavia hiess und danke Eva, die als Henriette aufgetreten ist. Danke auch der Stimme aus der Tonband-„Kommode“, der Dritten im „Doppellaut zu dritt“. Es sei wirklich die italienische Mutter von Clara gewesen, die uns in die typisch südländische Familien-Atmosphäre mitgenommen habe, konnte ich noch erfahren.

Und jetzt weiss ich endlich, was Stimmfilmcabaret ist: Ein wunderbarer Mix aus Sprache, Witz, Gesang, Film und Cabaret.

Samstag, 18. Juni 2005

Jutzen und Beten in der Cabane: Expo-02-Souvenirs

Obwohl ich die Windjacke, die ich an der Expo 2002 gekauft habe und sie öfters trage, schaue ich das rote Logo nicht mehr speziell an. Es ist eine gute Jacke. Sie dient mir. Sie entspricht mir. Ich weiss, woher sie kommt. Das genügt. Gestern schien mir aber, als leuchtete das rot aufgestickte Expo-Zeichen strahlender als sonst, wie wenn es mich an die verschiedenen Ausstellungsbesuche erinnern wollte. „Weisst Du noch?“, schien es zu fragen.

Dann tauchten Bilder auf. Murten z. B. und seine „Cabanes“. Die von Jean Nouvel entworfenen Häuschen, in denen die Beiträge zur Religion einquartiert waren. Unvergesslich ist mir jenes, das sich mit dem Tod befasste. Wir Besuchenden schritten auf einen grossen Hohlspiegel zu, sahen uns auf dem Kopf gehen und sobald wir in seine unmittelbare Nähe – der hier den Tod markierte – zuschritten, kippte das Bild, und wir sahen uns dem eigenen Antlitz gegenüber. Aug in Auge mit sich selbst. Sehr eindrücklich. So kann ich mir den Tod vorstellen. Als einen Augenblick von grosser Klarheit, wo ich alles über mich weiss. Ich war so fasziniert darüber, dass ich mich nochmals in die Schlange einstellte und ein zweites Mal dem Spiegel entgegenschritt. In meiner Begeisterung kam ich ihm dann zu nahe und eine Sirene heulte los. (Es war noch nicht Zeit zum Sterben!)

Anderswo stand die Frage im Raum: „Wer bist du für Gott?“ Unsere Antworten, die in einen Computer eingegeben werden konnten, schritten kurze Zeit später als Leuchtschrift auf der gegenüberliegenden Wand an uns vorüber. Auf das damals versprochene Buch mit diesen ganz persönlichen Aussagen und Vorstellungen warte ich noch immer.

Und jetzt stosse ich doch wahrhaftig noch auf ein Foto mit einem dieser Jean-Nouvel-Häuschen. Es stehe in Aarau, diene als Kapellen-Provisorium und werde zusätzlich am Eidgenössischen Jodlerfest mit den rund 10 000 Beteiligten, das jetzt bereits im Gang ist, für die Sänger offen gehalten. Zum Jauchzen und Beten. „Jutzen und Beten in der Cabane“ hiess der Titel zu diesem Hinweis. Ich freue mich über dieses Zeichen, dass aus den Expo-Impulsen etwas weiterlebt und uns unverhofft wieder anspricht.

Freitag, 17. Juni 2005

Kinder, Eltern, Schule: Den Nachwuchs outsourcen

1980 hielt ich in meinem Tagebuch einen kurzen Radiobericht zum Thema „Tagesschul-Versuch in Zürich“ fest. Darin war das idyllische Bild vom Mittagstisch skizziert worden: „ Der Vater ist gerade nach Hause gekommen. Die Mutter tischt ein dampfendes Essen auf. Marili steckt die Finger in den Kartoffelstock und Hans, noch aufgeregt von der Schule, leert seinen Most aus.“ – „Dieses Bild gibt es nicht mehr,“ hiess es dazu.

Das war nicht ganz richtig, denn meine Familie lebte noch so. Ich musste zweimal leer geschluckt haben, denn ich fragte mich, ob wir die einzigen seien, die solche Idyllen noch weitertragen. Würden wir uns bald als Wunder oder als Abartige betrachten lassen müssen? Ich wusste natürlich schon damals, dass viele Väter nicht mehr an den Mittagstisch kommen konnten, dass viele Zwänge da waren, welche die bis dahin gültigen Alltagsformen veränderten.

Nun, 25 Jahre später: Am 5. Juni 2005 wurde in einer Abstimmung die ausserfamiliäre Kinderbetreuung der Stadt Zürich als Aufgabe übertragen. Mit 67,4 % Ja-Stimmen. Im Stadtkreis 5, wo ich lebe, waren es sogar 83,3 %. Das klare Resultat wird von den Stadträtinnen Monika Weber und Monika Stocker als ein „Meilenstein auf dem Weg zu einer modernen familien- und schulergänzenden Betreuung in Zürich“ gewertet.

Kinder auf die Welt stellen und sie dann abgeben, das konnte ich mir nie vorstellen. Für mich und meinen Mann waren unsere Kinder Aufgaben, denen wir uns gerne stellten. An einem Elternabend sagte damals ein Lehrer, es sei nicht die Aufgabe der Eltern, den Kindern Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen. Wir seien dort zuständig, wo es um unsere eigenen Talente und die eigenen Erfahrungen und Werte gehe. Diese hätten wir zu vermitteln. Das entsprach vollkommen meinen Vorstellungen. Eine Betreuerperson kann das nicht.

Ich weiss: Leben ist Wandel. Unaufhörlich suchen wir nach neuen Modellen, finden sie, erproben sie, stellen Mängel fest, verändern sie, und eines Tages haben sie wieder ausgedient.
Darum möchte ich gerne nach weiteren 25 Jahren, dann aus dem Jenseits, in eine junge Familie hineinschauen und ihre Motive und Werte zu diesem Thema sehen.

Mittwoch, 15. Juni 2005

Alles in Unordnung: Littering auf Strassen und Plätzen

Zuerst ein Erlebnis aus der S-Bahn in Zürich: Der Zug fährt ab Stadelhofen Richtung Hauptbahnhof. Ich stehe auf, gehe langsam dem Ausgang zu. Im Vorraum treffe ich auf einen jungen Mann, aus dem ein Gewitter hervorbricht. Mit einem Fusstritt wirft er den Abfallbehälter aus der Verankerung und schaut mich herausfordernd an. Verschiedenste Abfälle liegen jetzt am Boden. Ich runzle die Stirn, sage aber kein Wort.

Er fragt: „Ist etwas nicht in Ordnung?“

„Das wissen Sie selbst.“ 

„Weiss ich nicht. Was haben Sie jetzt gerade gedacht?“ 

„Welche Ordnung hat dieser Mann zu Hause?“ 

„Dieselbe wie hier!“ 

Glücklicherweise hält jetzt der Zug an, und ich kann aussteigen. Es ist sehr ungemütlich geworden.
Jetzt hoffe ich, dass die Werber gegen Littering Menschen ansprechen können, denen ein kultiviertes Zuhause wichtig ist. Ihre Plakate zeigen ja Zimmer, die einer Mülldeponie gleichen und texten dazu: „Was im Wohnzimmer (Kinderzimmer, Restaurant) stört, stört auch auf dem Trottoir.“

Der Ausdruck Littering steht für die zunehmende Unsitte, Abfälle im öffentlichen Raum achtlos wegzuwerfen oder liegen zu lassen, ohne die dafür vorgesehenen Abfalleimer oder Papierkörbe zu benützen (englisch heisst litter = Abfall, herumliegendes Papier, Durcheinander, Unordnung).

In diesem Zusammenhang veröffentlichte das „Tagblatt der Stadt Zürich“ im Laufe der letzten Woche Zahlen zu den immer noch zunehmenden Abfallbergen. Es heisst in diesem Bericht, diese hätten in den letzten Jahren kontinuierlich um 10 % zugenommen. Im Jahr 2003 waren es z. B. 7929 Tonnen gewesen. 70 % davon wurden in Eimern deponiert, 30 % auf den Boden geworfen. Und im Sommer seien generell 50 % mehr Abfälle zu entsorgen als in der übrigen Jahreszeit. Manche sind offenbar der Meinung, für die Entsorgung sei gesorgt und jene, die den Dreck aufwischen müssen, seien ja bezahlt dafür.

Ein neues Verhalten wird jetzt aber eingeübt. Lehrer von der Pusch (Stiftung Praktischer Umweltschutz) unterrichten Kinder in den städtischen Schulen, wie sie mit den Ressourcen unserer Erde rücksichtsvoller umgehen sollen. Sie zeigen auch auf, wie der Abfall fachgerecht entsorgt werden kann.

Und die aktuelle Plakatkampagne erreicht hoffentlich auch noch ältere Semester.

Montag, 13. Juni 2005

„Limmatsprützer“ auf der Zürcher Werdinsel

Das Windrad mit dem Namen „Limmatsprützer“ gefällt mir noch immer. In den 80er-Jahren wurde das Wehr bei der Werdinsel in Höngg modernisiert, und im selben Zeitraum entstand auch dieses fröhlich-farbige Windrad. Mit hellem Rot am Rad und heiterem Grün an der Flügelschraube. Die Farben scheinen einander foppen oder verdrängen zu wollen, und doch sind sie auf ihre Plätze fixiert. Sie tanzen zusammen, wenn sie der Wind antreibt. Auch das Schattenspiel am Boden ist lustig, wie es sich aus dem Rund in die Ellipse und schliesslich nur noch in einen breiten Strich verwandelt.

Dieses Windrad ist Kunst- und Anschauungsobjekt in einem. An ihm geht eigentlich niemand unberührt vorbei. Es stimmt heiter, will aber auch veranschaulichen, wie Windenergie zum Wasserpumpen genützt werden kann. Das Windrad-Getriebe pumpt Wasser aus der Limmat und spritzt es danach in weiten Bogen wieder in den Fluss zurück.

In den letzten Jahren stand es still. Verschleisserscheinungen, hiess es. Gefährlicher Zustand. Dank einigen Idealisten ist die Sanierung nun gelungen. Das Windrad erfreut nun wieder alle, die auf die Insel kommen. Wer weiss übrigens noch, dass hier einmal der Autofriedhof angesiedelt war? Sind es 15 oder schon 20 Jahre her, seitdem er abgetragen worden ist? Heute ist die Insel ein romantischer Ort und Anziehungspunkt für alle Sommerfreuden. Sie hat viele Namen: Werdinsel, Inseli, Hönggi, Bad Au-Höngg.

Beim Wehr sind neuerdings geschichtliche und technische Daten abzulesen und zu meiner Freude auch Gedichte zum Thema Fluss und Wasser angebracht. Z.B.

Blick in den Strom
sahst du ein Glück vorübergehn,
das nie sich wiederfindet,
ist‘s gut in einen
Strom zu sehn,
wo alles wogt und schwindet.

O starre nur hinein, hinein,
du wirst es leichter missen,
was dir und sollt’s dein liebstes sein,
vom Herzen war gerissen.
Niklaus Lenau

Dank diesen verschiedenen Hinweisen weiss ich jetzt auch noch, dass das ewz (Elektrizitätswerk der Stadt Zürich) im Wehr schon damals eine Fischtreppe eingebaut hat, auf der Barben, Trüschen, Forellen, Schwalen und Hechte das Gefälle überwinden können. Ich lebe nun schon über 40 Jahre in diesem Umfeld, und immer wieder gibt es etwas zu entdecken.

Mittwoch, 8. Juni 2005

Geheimtipp geheimnisvoller Üetliberg (Zürichs Hausberg)

Einst war der Felsengarten („Felsegärtli“) auf dem Üetliberg ein offener Raum. Der Waldboden von Buchenlaub bedeckt, die Krone der Bäume zu einem Dach vereint. Die von der Natur wild hingeworfenen Felsbrocken gut sichtbar. Hier spielten wir als Kinder.

Heute ist dieser Ort vor allem grün, verwachsen, verwunschen, geheimnisvoll versteckt. Kurt Derungs, der kürzlich in Zürich im Zentrum „Karl der Grosse“ über diese natürliche Steinstätte sprach, weckte in uns den Wunsch zum Wiedersehen. In einer Kartenreproduktion der Gelände- und Flurnamen am Üetliberg entdeckte ich danach die Einträge „im Felsegärtli“ und „Chindlistein“. Es handelt sich hier also um eine anerkannte Stätte.

Derungs stellte sein Buch „Geheimnisvolles Zürich“ vor und erzählte von seinen Forschungen und Entdeckungen. Wir hörten von ihm, dass in diesem Felsengarten in vorkeltischer Zeit ein so genannter „Kindlistein“ als Sitz der Ahnenseelen verehrt worden sei. Ein Ort der spirituellen Empfängnis also, wo die Frauen den Kontakt zu einer Seele suchten, um sie wieder ins Erdenleben einzuladen.

Darum sind wir für ein Wiedersehen hierher gekommen. Weil wir den Platz kannten, haben wir ihn rasch wieder gefunden. Wer nichts von ihm weiss, geht vielleicht achtlos an ihm vorüber. Grosse ehrfürchtige Stille ist um ihn. Achtsam gehen wir um die Felsen, erklettern einige und fühlen uns leicht und wohl. Später sitzen wir auf einer Bank am Weg unterhalb des Kulms Richtung Staffel neben einem Brunnen mit der Jahrzahl 1929. Sein Wasser wird aus einem ebenfalls grossen Steinbrocken herausgeleitet. Die Steinstätte liegt in diesem Umfeld. Nach Derungs ist es heute nicht schlüssig, welcher der Brocken der Kindlistein sei. Das macht es spannend, alle Steine besonders genau zu betrachten.

Wir gehen weiter, verköstigen uns auf der Terrasse des Restaurants „Uto Staffel“, geniessen die weite Sicht auf Alpen und den Jura. Dann steigen wir auf zum Kulm, dem heutigen „Top of Zurich“, wo die Touristen sind, wo ihnen die Sicht auf den See und über das Häusermeer Zürich geboten wird. Der erst in letzter Zeit sanierte Aussichtsplatz auf dem Kulm erscheint mir von unten her gesehen immer wie ein Serviertablett. Da wird traumhafte Sicht angeboten. Neu können Besuchende auf Holzliegen entspannen und sich der Sonne aussetzen.

Den Turm besteigen wir heute nicht. Unser Weg führt zum Teehaus „Jurablick“, einer alten, liebevoll gepflegten Hütte, die nur am Freitag, Samstag und Sonntag ab 9 Uhr geöffnet ist.

Auf dem Weg nach Ringlikon finden sich Hinweise auf sie. Hier gibt es Brennnessel-Reissuppe und Waldmeister-Bowle. Draussen sind alle Gartensitzplätze für den Blick ins Säuliamt besetzt. Primo und ich gehen ins Haus, atmen die alte und die neue Zeit dieser ehrlichen Atmosphäre ein. Sie liegt auf derselben Wellenlänge wie der Felsengarten.

Wir sind da und gleichzeitig weit fort. Wir erholen uns. Solche Ausflüge machen nicht müde.

Diverse Links zum Blog
http://surf.agri.ch/tschumi/kindlistein_uetliberg.htm

Freitag, 3. Juni 2005

Indianische Pflanzen, die sich mir in Zürich offenbaren

„Botanica Indiana im Botanischen Garten von Zürich“: Für diese Ausstellung wirbt ein geschmackvolles Plakat. Mit Hinweisen auf indianische Pflanzenwelten. Die getrockneten Pflanzenäste, die in der kultischen Tischplatte stecken, wirken auf mich wie Antennen. Ich meine sogar, Räucherdüfte wahrzunehmen. Die Werbung funktioniert. Ich fühle mich angesprochen.

Als Stadtbewohnerin mache ich eine wichtige Erfahrung. Ich besuche eine Ausstellung und erwarte indianische Heilpflanzen, die blühen – und finde sie nicht. Wegen der bis anhin eher kühlen Witterung könnten südamerikanische Pflanzen erst jetzt ins Freie versetzt werden, sagt mir eine Gärtnerin. Darum sehe ich jetzt hauptsächlich Grün. Ich bin keine Botanikerin, erkenne Pflanzen nicht an ihren Blättern oder Stängeln.

Wenn ich in der Stadt eine Ausstellung besuche, kann ich meist alles vorfinden, worauf in einer Einladung oder in einem Prospekt hingewiesen wird. Beschämt stelle ich nun fest, dass Pflanzen doch ihren eigenen Gesetzmässigkeiten folgen müssen und sich nicht nach Kalendern von Menschen richten. Ich bin zu früh gekommen, aber nicht zu früh für einen Rundgang in diesem schönen Gelände mit seinen Beeten, Wegen, Sümpfen, Steinplätzen und bestandenen Bäumen. Ich kann viele herausragende Informationen zu indianischen Heilpflanzen lesen, doch bleibt wenig haften. Ich spüre, die Pflanzen müssen sich mir selber offenbaren. Worte sind zwar wichtige Hinweise, aber nicht die Hauptsache. Das heisst, dass ich mehrmals zurückkommen soll.

Es ist still. Ich bin allein da. Es ist noch früh, erst halb 8 Uhr. So lasse ich jetzt einfach den Morgen auf mich wirken. Und ich werde aufmerksam auf die aus Ostafrika stammenden Kapkörbchen. Sie stehen in Gruppen, einige aber auch verstreut und allein auf weiter Flur. Und alle bieten der Sonne Richtung Osten ihre offenen Kelche dar. Wie Parabolantennen sind sie auf eine ferne Welt ausgerichtet und offenbar mit ihr im Austausch. Was vermitteln sie und was empfangen sie? Teilen sie dem Universum vielleicht etwas über uns Menschen mit? Das wüsste ich gern. Als ich einige Tage später wieder hierher komme, ist es Nachmittag und die Kapkörbchen schauen nach Süd-Westen. Sie folgen der Sonne.

Beim Garten-Ausgang Richtung Hegibachplatz ist eine Auflistung vieler Krankheiten und, zu ihnen gehörend, die Namen indianischer Heilpflanzen zu sehen. Ich staune über die Fülle. Ich wunderte mich schon vorher über einen Hinweis beim Stachelmohn. Mit ihm linderten oder heilten die Mayas die Migräne. Ist sie demzufolge keine Zivilisationskrankheit der gehetzten europäischen Moderne?

Die Auflistung zeigt mir, dass Krankheiten in allen Erdteilen auftauchen, dass Menschen Lebewesen mit Stärken und Schwächen sind. Ihre Gesundheit ist nichts Statisches, sondern labil. Sie braucht unsere Sorge und das Bemühen um Balance. Heilpflanzen wollen uns dabei unterstützen. Erfreulich der Hinweis aus dem Leseheft dieser Ausstellung: „Viele überlieferte Äusserungen von Indianern wurden früher von Ärzten und Botanikern als Aberglaube und Zauberei abgewertet. Je tiefer die Forscher jedoch in die verborgenen Zusammenhänge auf allen Wissensgebieten Einblick erhielten, desto mehr Sinn bekamen zu ihrer Verblüffung die indianischen Erkenntnisse.“ Endlich!

Diese Ausstellung mit den Themen Heilpflanzen, Färbepflanzen, Kultpflanzen, Nahrungspflanzen, dauert bis Ende Oktober 2005. Es gibt viel zu entdecken. Siehe auch Themenprogramme unter „Agenda“ und weitere Teile des Gemeinschaftsprojektes in der „Sukkulenten-Sammlung“ und im „Nordamerika Native Museum“.

Ergänzend ist ein schönes, so genanntes Leseheft erschienen. Zu beziehen im Café des Botanischen Gartens. Dieses und auch die Gewächshäuser sind jeweils ab 9 Uhr offen.