Meine Enkelkinder aus Paris sind wieder da. Da wir meist nur einmal
pro Jahr beisammen sind, lassen sich ihre Wachstumsschritte besonders
gut erkennen.
Wie ich hörte, haben sich die Mädchen bei der Anreise in der Bahn
kurz vor Zürich plötzlich an vieles erinnert, was sie letztes und
vorletzes Jahr mit den Grosseltern erlebt haben. Auch eine Landschaft
birgt Erinnerungen und bringt sie ans Tageslicht, wenn wir zu ihr
zurückkehren.
Als ich bei ihrer Ankunft durch den gläsernen Vorbau unseres Hauses
schaute, erkannten mich die Kinder sofort, und ein Lächeln huschte
ihnen übers Gesicht. Da war ihr Ziel erreicht, und sie wussten es. Für
uns alle wieder ein Moment grosser Freude und ein Zeichen, dass wir
unserer Familiengeschichte ab sofort neue Kapitel zufügen werden.
Nun ist viel Betrieb im Haus. Vorsorglich habe ich die Mieterin, die über uns wohnt, auf Kinderlärm vorbereitet. Diesmal dürfen Mena und Nora
ohne unsere Begleitung ein- und ausgehen und in einem definierten
Umfeld spielen und frei herumspringen. Wenn ich sie kontrolliere, will
die knapp 4-jährige Nora wissen warum. „Pourquoi?“ fragt sie dann. Und wenn ich antworte, ich wolle wissen, ob unsere Abmachungen eingehalten werden, ruft sie spontan: „D'accord!“ (Einverstanden!)
Die gleiche noch so junge Person fragte mich, ob ich auch eine Mama sei und Kinder habe und wie sie heissen. Felicitas und Letizia und ihre Mutter sei mein Kind. Da lachte sie verschmitzt. Das wusste sie doch schon, wollte es aber auch bestätigt haben.
Ich wundere mich über manche Fragen und Gedanken dieser noch so
jungen Menschen und würde gern wissen, womit ich meine Eltern oder die
Grossmutter damals verblüfft habe. Allgemein hörte man uns Kindern
früher wenig zu. Wir mussten hauptsächlich auf die Erwachsenen hören.
Das ist die Erfahrung meiner Generation.
Aber jetzt geniesse ich als Grossmutter diesen bevorzugten Stand.
Das Leben ist weitergegeben. Die Hauptaufgabe als Eltern erfüllt. Jetzt
dürfen wir den Enkelkindern noch Zeit schenken, ihre Fragen beantworten,
mit ihnen spielen und lachen und ihre Fortschritte dankbar wahrnehmen.
In den letzten Wochen bin ich in unserer Tageszeitung auf
Leserinnenbriefe gestossen, die sich mit diesem Thema beschäftigten. Es
gab da Stimmen von berufstätigen Frauen, die sich über glückliche
Familienfrauen ärgerten. Ihre Freude, dass sie dem Leben ganz nahe sind,
weckte Neid. Und in solchen Momenten ist der Mensch ungerecht.
Ich wurde sehr nachdenklich, habe mich aber auch über
verständnisvolle Reaktionen gefreut. Wichtig wäre in meinen Augen nur
eines: Sich der eigenen Art und der eigenen Werte bewusst zu sein und
nicht mehr zu wollen als möglich ist. Denn jede Entscheidung für etwas ist gleichzeitig immer auch gegen etwas. Niemandem ist es möglich, alle Talente und alle Chancen, die das Leben verteilen kann, auf sich zu vereinigen.
Sich mit andern zu vergleichen, ist unnötig. Es schafft nur
Unzufriedenheit. Wichtig ist einzig, dass wir wissen, wer wir sind und
wo wir unsere Talente einsetzen können. Das ist sinnvoll. Ob für die
persönliche Familie oder die menschliche Gemeinschaft, ist einerlei.