Samstag, 13. August 2016

Das esse ich am liebsten


Das tägliche Brot

Das Heft NATÜRLICH, 13. Jahrgang, Mai 1993 ruhte gut geschützt im Werkstatt-Archiv meines Mannes. Dieser Tage hat er es entdeckt, aus dem Dornröschenschlaf geweckt und nach Hause gebracht.


Die NATÜRLICH-Redaktion hatte damals von mir wissen wollen, was ich am liebsten esse. Und schrieb dann im Vorwort zu meiner Antwort: Sie isst am liebsten Butterbrot. Aber da gibt es noch anderes. Der liebenswürdige Text vermittelt viele Anregungen für eine ehrliche Alltagsküche. Ja, so war es von mir gemeint.

Die Grundhaltung ist immer noch dieselbe. Ich pflege eine saisonale, marktfrische Küche. Freude macht mir ein Essen, das naturbelassen ist, also ohne die sogenannt bewilligten Hilfsstoffe auskommt.

Bei den Vorbereitungen dieses Textes habe ich die Essgewohnheiten der vergangenen 50 Jahre vorbeiziehen sehen. Ich habe bemerkt, wie sich das liebste Essen immer wieder in etwas anderes verwandelt hat. Und doch: Das Butterbrot ist noch immer ein Liebling von mir. Kein Wunder. Man sprach vom täglichen Brot und meinte die tägliche Nahrung. So bin ich aufgewachsen. Meine ersten Lebensjahre waren vom 2. Weltkrieg belastet. Überfluss kannten wir nicht. Die Rationierung war in jener Zeit eine harte Zäsur für das ganze Volk.

Ich vermute, dass die erste Situation, die ein Kind auf Erden vorfindet, prägend ist. Das Beschränken auf das Wesentliche fällt mir leicht. Und Nahrung ist für mich Bedingung zum Leben, nicht Gegenstand von Spielerei.

In den mageren Jahren sprach meine Mutter mit dem Milchmann, dass es ihr weh tue, dem eigenen Kind nicht täglich etwas Butter auf die Brotschnitte streichen zu können. Es fehlten ihr, wie auch anderen Müttern, die dafür vorgeschriebenen Rationierungsmarken. Der Milchmann zeigte Mitgefühl. Er lud mich ein, am Neujahrsmorgen in die Milchhütte zu kommen. Ich erhielt von ihm gratis und ohne Rationierungsmarken abgeben zu müssen, ein 100-Gramm-Mödeli Ankä (Butter).

Vater pflegte einen grossen Garten. Er sorgte für eine abwechslungsreiche und vor allem gesunde Kost. Gemüse, Früchte, Salate, Beeren und auch Blumen mussten wir nie kaufen. Ich beobachtete in diesen ersten Jahren, wie liebevoll und fürsorglich er das Gewachsene heimbrachte und der Mutter übergab. Solche Momente prägten mich.


Als ich mich, 23jährig, mit der Küche beschäftigen musste, waren die kargen Zeiten vorbei. Die Hochkonjunktur hatte das Leben verändert. Die materiellen Sorgen verkleinerten sich. Plötzlich konnten wir uns allerlei Wünsche erfüllen. Wenn ich mich recht erinnere, waren es Restaurantsbetriebe, die zuerst profitierten. Man freute sich auf bisher unbekannte Gerichte, auf Toast Hawaii, Riz colonial, Poulets im Chörbli und Fondue. Beleibte Männer wurden gefoppt, sie würden einen Poulet-Friedhof mit sich führen. Eine Form von humoristischem Kompliment, das den Wohlstand sichtbar machte.

Meine Geschichten ums Essen, die im NATÜRLICH 1993
veröffentlicht wurden


Ich bin als Unerfahrene an den Kochherd gekommen. Die italienische Familie meines Mannes, alles mehrheitlich sinnesfreudige Menschen, predigten mir öfters, dass es sinnlos sei, aus Rezeptbüchern nachzukochen. Eine rechte Köchin koche aus sich selbst. So habe ich begonnen, Rezepte auswendig zu lernen. Ich wollte mich nicht blamieren. Hilfe bekam ich von Hanns U. Christen in seinem Buch Füttere den Liebsten. Untertitel Winke für kluge Frauen, die Männer fesseln wollen. Männern ist die Lektüre strengstens untersagt. Das war 1964. Ja, liebe junge Frauen, die Zeiten haben sich verändert. Bei Christen lernte ich viel. Zum Beispiel das erste Renommierstück, wie er es nannte: die Tomatensauce. Bei uns zu Hause wurden Spaghettis mit Tomatenpüree gefärbt und mit Knoblauch abgeschmeckt. Christen kochte eine Sauce aus frischen Tomaten. Das faszinierte mich. Damit hat er mich, also (damals) vor 29 Jahren, für das Echte sensibilisiert. Ich zitiere eine Stelle, die ich angestrichen habe: Wenn das Olivenöl warm geworden ist, was man daran erkennt, dass es herrlich nach Süden zu duften beginnt, geben Sie die Zwiebeln hinein. Gut umrühren und dann die Flamme ganz klein stellen. Die Zwiebeln sollen im Öl weich werden, aber nicht etwa braun braten. Nach einigen Minuten werden sie glasartig durchsichtig. Geben Sie nun den Knoblauch hinzu. Es riecht jetzt bereits sehr intensiv nach Süden.

Mit solch präzisen Hinweisen gelang es mir tatsächlich nach und nach, mit den Sinnen zu kochen, mich nicht nur auf die Erfahrung von andern und auf Worte abzustützen. Und heute öffne ich ein Kochbuch nur noch in sehr seltenen Fällen.

Der Schweizer-Käse-Mais, ein Brei, schmeckte mir nicht mehr, als ich lernte, eine Polenta zu kochen. Auch heute noch ist es ein Erfolgserlebnis, wenn ich sie schön kompakt aufs Holzbrett stürzen kann. Mit der Polenta verbinden wir — wieder in der italienischen Sippe — eine romantische Liebesgeschichte, die das Gericht aufwertet. Erst eine dampfende Polenta und das Zusammentreffen mit einer Grossfamilie haben das Herz einer einsamen und stolzen Mutter weichgemacht. Als sie erlebte, wie Meistersleute, Angestellte und Familienmitglieder alle vom selben Maisfladen ihr Stück abstachen, war sie plötzlich bereit, ja zu sagen zur Verbindung ihrer Tochter mit dem Sohn dieses Hauses.

Ist das Brot einmal knapp oder soll ein Frühstück erweitert werden, backe ich das Maisbrot. Dieses wird noch heiss in Würfel geschnitten und wie Brot zu Käse, Trockenfleisch oder zu Salat gereicht.

Nach einer grässlichen Erkältungskrankheit verlor ich einmal den Appetit. Auch die Lebensgeister machten schlapp. Aus dieser Elendssituation heraus holte mich der rohe Fenchel. Mein Mann löste die Blätter vom Knollen und rieb sie mit kaltgepresstem Olivenöl ein. Er bestreute sie mit wenig Salz und trug diese lebendige Köstlichkeit mit einem frischen, über den Arm gehängten Küchentuch auf. Sein Schalk in den Mundwinkeln und die Gewissheit, dass ich bald wieder gesund sein werde, wirkten zusätzlich als Heilmittel. Der Fenchel in dieser Form ist uns geblieben. Wir essen ihn von Hand, was sehr gemütlich wirkt.

Riz de l’enfer ist ein Rezept, das mit meiner Stagiairezeit in Paris verbunden ist. Von zu Hause nur an Pfeffer und Muskat gewöhnt, überraschte mich die Weltstadt mit breitem Spektrum an Gewürzen. Für diesen Fegfeuer-Reis habe ich auch meine Familie begeistern können. Wir schätzen das Eintopfgericht noch heute.

Von Grossmutter Elvira habe ich die Puschlaver Küche kennengelernt. Sie gab mir die eigenwilligen Rezepte ihrer Heimat weiter und achtete darauf, dass sie nicht verändert werden. Es soll alles währschaft und echt bleiben, wie es immer war. Darum habe ich ihr noch nie erzählt, dass mich das Capunet-Rezept zu einer Spinatwähe inspiriert hat. Capunet sind Spinatpflutzen, die ihr unvergleichliches Aroma dem gerösteten Paniermehl, dem Reibkäse und Knoblauch verdanken.

Als ich zur zweiten Tochter schwanger war, las ich viele Kochbücher. Dieses Kind hat offensichtlich mitgelesen; denn Kochen und Essen sind Hauptthemen seines Denkens. Inzwischen zur jungen Frau herangewachsen, übernimmt sie automatisch die Führung, wenn wir zusammen kochen. Sonst gesprächsfreudig, blockt sie jedes Plaudern am Herd ab. Sie konzentriert sich beim Kochen nur auf die Speise, die entstehen soll und gestattet sich keine anderen Gedanken. Ich glaube, darum gelingt ihr vieles. Ihre unvergleichliche Rösti entspricht ihrem italienisch-schweizerischen Naturell; denn sie bäckt sie mit Olivenöl und streicht ausgepressten Knoblauch unter die dicke Kruste. Wenn sie mit ihrer Version von Mah-Meh beschäftigt ist, sehe ich sie als Hexe, die einen Zaubertrank braut.

Uneinig sind wir in der Familie, wie stark Tofu gebacken werden soll. Die einen mögens weich, die andern knusprig. Wir wechseln ab. Einig sind wir aber, dass die gelben Würfel gut zum Risotto passen.

Zu meinen Sommerfreuden gehört die rote Grütze. Sie versüsst mir laue Sommerabende. Das Wort Grütze hat für mich einen altertümlichen Klang, lässt mich glauben, meine Vorfahren hätten sie schon gekocht.

Liisa, die finnische Schwägerin war anfänglich sehr scheu. Wenn in der Grossfamilie lebhaft diskutiert wurde, fragte sie ängstlich: Habt Ihr Streit? Es war so ganz anders hier in der Schweiz. In Finnland seien die Menschen ruhiger, verschlossener und würden eine Anwärmungszeit brauchen, bevor sie aus sich herausgingen, erklärte sie. Heute aber ist das anders. Von der Schweiz beeinflusst, redet auch sie offen und gern. Wenn wir uns gelegentlich treffen, ist keine Scheu mehr auszumachen. Und doch wärmt sie das Zusammensein auf. Sie tut es mit ihrem finnischen Apfeltee, in dem die Apfelstückli schwimmen. (Leicht gezuckerter Schwarztee mit kleinen, frisch geschnittenen Apfelstückli). Auch ihre Kuchen sind Spezialitäten. Z.B. der Marmorkuchen, allein schon wegen seines finnischen Namens Tiikerikakku. Für ihn sei der Tiger mit seinem geflammten Fell Pate gestanden.

Und das Fleisch? Auch in meiner Küche gab und gibt es Fleisch. Es spielt keine aussergewöhnliche Rolle, aber es ist da. Voraussetzung: Es soll aus tiergerechter Haltung stammen. Dieser Ansicht war ich schon vor 23 Jahren.

Meine damals veröffentlichten Rezepte sind verlinkt, bzw. folgen in einem separaten Blogpost.

Rezepte meiner umtriebigen Tochter mit gluschtigen Bildern sind in ihrem Blog www.machetwas.blogspot.com nachzulesen. Sie liess sich im Jahre 2009 ebenfalls von diesem Artikel inspirieren. Lesen Sie hier.