Mittwoch, 31. Januar 2018

Ulm war den Besuch wert

Die Foto, die gleich nach der Ankunft im Hotel entstanden ist, befindet sich immer noch auf meinem Bildschirm. Der heitere Himmel und die in ihn ragenden Kirchtürme ergaben dieses schöne Bild.
Es war die Zeit der Vorweihnacht. Kalte Tage, die man mit Glühwein etwas erwärmen konnte. Mehr noch erwärmte uns eine kunstvoll komponierte Tagessuppe im Café StielBar, in einem künstlerisch geprägten Ambiente. Der Wirt zeigte sich gesprächig, erkannte den Klang unserer Sprache, erzählte, dass er gern in die Schweiz komme. Dann stellte sich noch heraus, als er einen bekannten Musiker aus Zürich nannte, dass es sich um einen Mitschüler von Primo handelte. Die Welt ist oft klein.
Anderntags lockten uns die Türme auf der Foto ins Zentrum der Stadt. Wir suchten und fanden einige Kirchen, die uns interessierten. In der Pauluskirche angekommen, trafen wir mit jugendlichen Sängerinnen und Sängern zusammen. Sie übten Lieder für das Weihnachtsfest. Wir liessen uns gern auf ihre Klänge ein, durften uns setzen und zuhören.

Wir besuchten auch die Kirche St Georg. Ursprünglich als Garnisonkirche gebaut, ist sie heute aber Stadtkirche mit bedeutendsten Kunstwerken. Sichtbar gepflegt. Starke Farben geben dem Raum eine Art Wucht. Sehr schön. An den Seitenwänden viele religiöse Figuren mit ihren Symbolen und Geschichten.
Auf dem Weg dorthin wurden wir auf den Seelengraben aufmerksam. Die niedrigen Häuser ähnelten unserem ehemaligen Zuhause in Zürich im Bernoulli. Es meldete sich ein gewisses Heimatgefühl.

Wir suchten auch jene Kirche, deren Turm sich vom Hotelzimmer aus sehr feingliedrig präsentiert und mich an Russland denken liess. Wir trafen dann keine Kirche an, sondern das aus ihr hervorgegangene Haus der Begegnung Ulm. Und erfuhren dort, dass die Kirche, die zum Kloster der Dominikaner gehörte, im 2. Weltkrieg bombardiert worden sei.

Der Kirchenraum wurde später wieder aufgebaut, jedoch mit Zwischenböden unterteilt und mit einem Haupttreppengang erschlossen.

Dieses Haus der Begegnung, das heute offensichtlich für verschiedene soziale Bereiche eingerichtet ist, konnten wir ganz selbstverständlich betreten und unseren Gwunder (Neugier) stillen. Zum ersten Mal habe ich eine solch umverwandelte Kirche gesehen, die mit Zwischenböden eine vielfältigere Nutzung erreichen konnte. Die hohen Glasfenster von einst sind nur noch als Stückwerke zu sehen.

Wir schauten Männern zu, die sich für einen Musikvortrag vorbereiteten. Und in kleinen Räumen sahen wir junge Frauen beim Mittagsbrot. Wir sahen auch in Räume für Gespräche. Überall empfing uns Ruhe und friedliche Stimmung.

Im Vorwort der Broschüre Haus der Begegnung Ulm die ich hier kaufen konnte, lese ich zeitgemässe, sehr positive Worte, die mir gefallen:
Das Haus der Begegnung möchte ein Ort des Diskurses sein, der Auseinandersetzung verschiedener Ansichten. Christen und Muslime erklären sich, wie sie den Glauben an den einen Gott verstehen, ein deutscher General und ein afghanischer Mudschaheddin können sich bei uns angstfrei treffen. Oder: Wir sorgen auch für den Austausch und die gegenseitige Bereicherung der Fachbereiche untereinander. Bildende Kunst, Theologie, Musik, Politik kommen ins Gespräch. Wir kennen keine Tabuthemen, noch bieten wir rassistischen und ausgrenzenden Grundeinstellungen ein Podium.

Wieder zurück auf der Strasse, entdeckte ich den Briefträger der Deutschen Post und dachte, auch sie sei eine Institution, die Menschen miteinander verbinde, Kontakte und Freundschaften ermögliche und Informationen weiterleite.
Als ich selbst Briefpost austrug, fragte ich mich öfters: Was bringe ich ihnen? Gutes oder schwer Verdauliches? Ich vermute, dass auch ich hin und wieder Schicksalsträgerin war, ohne dass ich es wusste.

Ein weiterer Blog aus Ulm vom 21. Dezember 2017: Ein ungewöhnliches Weihnachtsbild

Donnerstag, 4. Januar 2018

Gedanken zum Faden und Lebensfaden

Die Festtage sind verklungen. Da und dort grüsst man sich auch heute noch mit dem Glückwunsch «Ä guets Nöis» (ein gutes neues Jahr). Aber Tag um Tag zeigt sich jetzt auch wieder vermehrt der Alltag.
In diese Zeit gehören für mich auch bildhafte Gedanken. Ich sehe Freunde und Verwandte vor mir, die im vergangenen Jahr gestorben sind. Und ich sinniere über mein eigenes Leben und über Gedanken, die mich zeitlebens begleitet haben. Und jetzt erinnerte ich mich gerade, dass ich vor ungefähr 20 Jahren für die Zeitschrift Natürlich einen Text geschrieben habe, der für diese erwähnte Anfangszeit eines Jahres immer noch gültig ist.

Der Titel heisst: Lebensfaden
«Warum empfinde ich mit zunehmendem Alter, dass die Jahreskreise sich schneller folgen? Auch meine Mutter sprach es kurz vor ihrem Tod einmal aus, dass sie diese Zeit wie auf einem Karussell drehend erlebe.

Keine Zeit mehr zu haben, Zeit, die so schnell verrinnt, darüber sprechen viele. Wir müssen heute nicht mehr warten. Es gibt nicht nur die grossen Feste im Jahr. Ereignisse reihen sich an Ereignisse wie Perlen auf einer Schnur.

Und doch könnte es sein, dass die letzten Lebensjahre wirklich kürzer und schneller laufend sind. Wieder einmal hilft mir beim Philosophieren meine Alltagserfahrung. Ich denke an einen Wollfaden, der langsam zu einem Knäuel gewunden wird. Der Faden als Lebenszeit. Wir winden ihn auf, indem wir aufwachsen, lernen und das Leben erproben. Eines schönen Tages ist aus dem eigenen Faden ein ansehnlicher Knäuel geworden. Unser Potenzial. Wann diese Mitte erreicht wird, bleibt ein Geheimnis. Doch sobald der Knäuel fertig geworden ist, wickelt er sich schon wieder ab. Er zieht seine Kreise, verschenkt seine Fülle und Kraft. Je länger er dreht und von seinem Umfang verliert, desto kleiner werden seine Umdrehungen. Wir täuschen uns also nicht, wenn wir die letzten Lebensjahre als wirblig und schnell verlaufend erleben.»


Den Faden als Symbol habe ich wohl von meinen Eltern in die Wiege bekommen. Beide arbeiteten damals in Webereien. Faden und Stoff sind Bilder, die sie mir offensichtlich unbewusst vermittelt haben. Mutter nähte und strickte auch viele Kleidungsstücke für ihre 5 Kinder und der Vater verstand es, uns die Qualität eines Stoffes beizubringen. Und mein Mann Primo beschäftigte sich mit dem Faden als Lebensfaden, indem er jene Bildtafel schuf, die ich auch schon gezeigt habe.
Blog vom 24.2.16. Lebensweg oder Lebensfaden, auch roter Faden genannt

Heute habe ich aus meinem sehr bescheiden gewordenen Posten Strickwolle ein Reststück geholt, um den Faden-Knäuel zu zeigen.
Und ich dachte dabei auch an Felicitas, unsere 1. Tochter, ausgebildet als Textil-Designerin, die beruflich in verschiedenen Branchen immer auch mit dem Faden arbeiten durfte.
Edles Material. Design Felicitas Lorenzetti

Als sie im Sommer bei uns zu Besuch war, benützte sie meine Nähmaschine und entdeckte gleich die Unordnung meiner verschiedenfarbigen Fäden. Ob sie mir Ordnung schaffen dürfe? Ja gern. Das Resultat: Siehe Foto.
Sie freute sich ungemein, mir alle Fäden einzuordnen.
Ich bewundere immer wieder ihre Detailtreue, weil ich dieses Talent nicht besitze.