Dienstag, 29. November 2005

Zürichs neue Weihnachtsbeleuchtung gibt zu reden

Immer, wenn wir uns von etwas verabschieden müssen, werden wir unsicher und unzufrieden. Und was vordem eine Selbstverständlichkeit war, bekommt einen überdimensionierten Stellenwert. So erfahren wir das jetzt in Zürich, seitdem die neue Lichtinstallation für die Vorweihnachtszeit eingeschaltet ist. Ich zitiere Titel und Leserbriefe aus Zeitungen von Zürich:

Nordlicht über Bahnhofstrasse (TA = Tages-Anzeiger), Polarlichter statt Glühwein–Romantik (TA), Kalt, lieblos – aber ehrlich (Leserbrief TA), Badezimmer-Atmosphäre, die nichts Weihnachtliches verspüren lässt (Leserbrief TA).

Jedenfalls ist sie eine starke Intervention, die mit Erwartungen an romantischen Weihnachtszauber wie auch dem Fussgängerzonenkitsch radikal bricht. (Barbara Basting im TA). „Wir mussten radikal neu starten“ (Matthias Kohler, einer der Väter der neuen Installation).

Es handelt sich bei dieser neuen Beleuchtung um ein Lichtband aus 7 m hohen Stäben, das sich vom Bahnhof bis zum See erstreckt und dort am schönsten zu betrachten ist, wo sich die Strasse schlängelt. Dort können wir das Spiel am besten beobachten und den Verlauf der ganzen Anlage überblicken. Licht und Schatten huschen einander nach. Von Zeit zu Zeit gestalten Licht und Schatten fleckige Bilder, die sich auf grösseren Abschnitten zeigen und dann wieder erlöschen.

Mir gefällt diese neue Auffassung von Advents-Licht. Sie ist ruhig und dezent und sie erinnert mich an Ada aus der Expo 02, die mit den Besuchern kommunizieren wollte. „Ada“ wurde uns damals als „der intelligente Raum“ vorgestellt, und wir wurden eingeladen, mit ihren Funktionen, die einem Gehirn nachempfunden sind, in Kontakt zu treten. Ada reagierte auf uns, weil sie uns wahrnehmen konnte (sehen, hören, tasten). Sie spielte mit allen, die sich auf sie einliessen (www.ada-ausstellung.ch).

Offensichtlich von Erkenntnissen dieser Forschung beeinflusst, haben die Gestalter dieser neuen Bahnhofstrassen-Beleuchtung (Fabio Gramazio und Matthias Kohler) ein Computerprogramm geschaffen, das auf das Leben in der Bahnhofstrasse reagiert. Es wird uns erklärt, dass auch die Besucherströme einen Einfluss auf die Lichtbewegungen hätten. Dort, wo viel los ist, lösen Sensoren Bewegungsimpulse aus. Wir Stadtgänger sind also Mitgestalter, ohne zu wissen, wie das geschieht. Darüber dürfen wir uns doch freuen. Das Innenleben dieser Leuchtstäbe ist zudem so konzipiert, dass die Lichtmuster auf die Festtage hin feingliedriger werden und einen Höhepunkt erreichen werden. Wir sollen also immer wieder kommen und uns begeistern lassen.

Noch wird beklagt, dass die 34-jährige Weihnachtsbeleuchtung (u. a. auch altershalber) aufgegeben worden ist. Ja, sie war schön, und als sie neu war, war sie auch revolutionär. Sie verabschiedete die gegenständliche Dekoration und verwies nur noch auf den Sternenhimmel. Doch mit den Jahren genügte dieser wirklich berührende Lichterhimmel vielen Geschäften nicht mehr. Sie fügten ihre Version von Weihnachtslichtern bei und in den letzten Jahren steigerte sich diese Konkurrenz zu einem Sammelsurium und zu einer Überhelligkeit, die ganz und gar nicht mehr zum Geheimnis von Weihnachten passte.

So freue ich mich am neuen Anblick. Er zeigt einen neuen Weg. Er verweist ganz speziell weg vom Blick nur auf die Erde, nur auf das Geschäft. Um die sich verändernden Lichter anzuschauen, müssen wir nämlich nach oben blicken.

Link zur Weihnachtsbeleuchtung

Montag, 21. November 2005

Ist eine muslimische Frau eine Muslima oder Muslimin?

In der Schweiz hat sich der Ausdruck „Muslima“ für eine Frau aus der muslimischen Kultur eingebürgert. Auch im Internet ist sie an vielen Stellen zu finden. Ich habe diese Bezeichnung auch schon aus dem Mund einer Muslima persönlich gehört. Darauf baute ich, als ich im Blog über den multikulturellen Flohmarkt auf dem Kanzleiareal in Zürich 4 berichtete. Weil ich von drei Frauen sprach, fügte ich der Muslima, offenbar etwas naiv, nur ein „s“ an. Der Blogatelier-Betreuer sah aber sofort, dass diese Mehrzahl nicht stimmen konnte.

Für eine kompetente Antwort wandte ich mich an Nima Mina von der „School of Oriental and African Studies“ in London. Ich fragte: „Nach meinem Wissensstand ist eine muslimische Frau eine Muslima. Ist das richtig? Und wenn es mehrere muslimische Frauen sind, nennt man sie Muslimas?“

Seine Antwort: „Ich würde einfach ’Moslemin’ oder ’Muslimin’ sagen, d. h. das Wort Moslem/Muslim + die deutsche feminine Endung ’in’. Bei ’a’ wie in ’Muslim+a’ handelt es sich auch nur um die arabische feminine Endung. Warum? Es gibt 1,2 Milliarden Angehörige der islamischen Religionsgemeinschaft auf der Welt, und nur ein Bruchteil von ihnen ist arabischsprachig.

In Indien, Pakistan und Bangladesch allein gibt es fast 700 Millionen Moslems, und sie sprechen in erster Linie Bengali, Urdu und Hindi, aber sie sind keine arabischen Muttersprachler/innen.

Daher glaube ich, dass es nichts zur sprachlichen Korrektheit beiträgt, plötzlich im Deutschen eine arabische Wortendung zu verwenden. Ich habe den Verdacht, dass dieser Sprachgebrauch auf den Wunsch nach politischer Korrektheit, Toleranz und Anerkennung der ’Andersheit’ usw. zurückgeht. Aber es scheint dabei mehr guter Wille im Spiel zu sein als Sachverstand.“


Also konnten wir den Fehler in meinem Aufsatz korrigieren. Aus den Muslimas sind nun korrekterweise die Musliminnen geworden.

Nun stelle ich diese Antwort unseren Leserinnen und Lesern gerne zur Verfügung, damit unser aller guter Wille vom Sachverstand unterstützt werden kann.

Samstag, 12. November 2005

Multikulturelles Brocken-„Haus“ unter freiem Himmel

Neuerdings führen meine Wege vermehrt in den Kreis 4 und endlich besuche ich einmal den Flohmarkt auf dem Kanzleiareal in Zürich.

Samstagmorgen. Es regnet. Der Himmel ist grau, aber auf dem gesamten Umfeld des Kanzleischulhauses sind Sonnenschirme aufgespannt. Es ist Flohmarktzeit. Die Brocken liegen auf Plastikplanen, Schachteln oder einfachen Tischen. Multikulturell das Publikum und auch die Händler. Auch einige Schweizer sind dabei. Wir befinden uns hier in jenem Stadtkreis mit dem grössten Ausländeranteil. Der Ort hat Charme, auch wenn der Regen die Auslagen angreift und vieles unter Plastik versorgt werden muss. Was da alles feilgeboten wird!

Ich entdecke 2 Unterkieferknochen inklusive Zähne von einem Hirsch. Fein säuberlich gereinigt. Der gleiche Anbieter hat auch blitzblanke Nagetier-Schädelknochen im Angebot. Kurios! Neben Baumaschinen, Kettenfräsen und einem Schiffsmotor liegen auch viele Musik-Instrumente da. Ein verbeultes Saxophon, sehr alte Geigen, Gitarren. Sie alle haben offenbar ein wildes Leben hinter sich. Dann das Übliche wie im Brockenhaus: Bücher, Taschen, Geschirr, Lampen, Stühle, Kochgeschirr, Bilderrahmen, ein Fleischwolf, auch Kleider und sehr viele Schuhe.

Primo, der mich begleitet und schon oft hier war, zeigt mir alles, wie wenn er zu einer Führung angestellt wäre. Wir schauen den Stand mit dem Uhrenservice an. Hier können die Batterie ausgewechselt oder das Uhrenarmband erneuert werden. Ein Afrikaner zeigt auf den defekten Zeiger an seiner Uhr. Ihm kann aber nicht geholfen werden. Die Dienste sind beschränkt. Grosser Andrang am Stand „Natel-Service“, wo offensichtlich Probleme gelöst werden. Er wirkt vertrauenerweckend. (Primo sagt, er habe auch schon Polizeikontrollen beobachtet.) 3 nigelnagelneue (brandneue) in Plastikfolie eingeschweisste Fernsehgeräte stehen auf einem Tisch und Händler wie Wächter hinter ihnen. Nebenan allerlei Kabelstränge und Leitsysteme. Und viel Schnickschnack, angefangen von Masken über eine Buddha-Figur bis zu Wilhelm Tell. Von Snowboards und Rollbrettern ganz zu schweigen. Im Bereich Textilien feilschen 3 Musliminnen um einen guten Preis.

Ein Warenhaus unter offenem Himmel, alles für das kleine Portemonnaie und für die Schnäppchenjäger. Und auch für jene, die wie ich einfach gern durch einen offenen Markt gehen.

Obwohl karg in der Präsentation, ist ein besonderes Fluidum auszumachen. Die Angebote führen uns rund ums Schulhaus. Ich staune über die Vielfalt. Und niemand scheint sich am Regenwetter zu stören. Schon möglich, dass sich unter einem strahlenden Himmel ein regerer Austausch entfalten würde. Aber gerade weil es hier ruhig ist und niemand zu einem Kauf drängt, schaue ich die Angebote gerne an. Primo spasst mit einem jungen Mann über seine Angebote hinweg, und derweil entdecke ich Ersatzstücke für mein Langenthaler-Kaffee-Service.

Schnell entschlossen kaufe ich sie und wundere mich, wie billig sie mir überlassen werden. Zu nur 5 Franken. Primo sagt: Du hättest sicher auch 10 dafür bezahlt. Ja, so ist es. Ich habe einen triftigen Grund: Jetzt habe ich endlich wieder alle Tassen im Schrank. So ein Glück!

Dieser Floh- und Kuriositätenmarkt, findet jeden Samstag von 8 bis 16 Uhr im Kanzlei-Areal beim Helvetiaplatz in CH-8004 Zürich statt.

Samstag, 5. November 2005

Ein weiter Horizont ist an vielen Orten zu finden

„Wir alle haben den gleichen Himmel, aber unseren eigenen, persönlichen Horizont.“ Diesen vieldeutigen Satz sprach Ingrid aus Köln aus, als wir uns über die Eindrücke der weiten Landschaft äusserten. Während ich den tiefen Horizont so erlebte, als könnte ich den Himmel betreten, wenn ich nur genügend lange in gleicher Richtung führe, sprachen unsere deutschen Freunde mit Begeisterung von den Horizonten in den Schweizer Bergen.

Gerne hätte ich sie am letzten Sonntag auf eine Wanderung zur Farneralp ins Zürcher Oberland mitgenommen und ihnen das Panorama vom Toggenburg bis zu den Berner Alpen gezeigt. Für Primo und mich war es ein goldener Tag, ausgeleuchtet von einer milden Herbstsonne, einem blauen Himmel und mit Farbtupfern noch belaubter Bäume. Kontraste zu den stotzigen, grünen Hängen.

Das Zürcher Oberland ist eine faltenreiche, abwechslungsreiche Gegend, voralpin, mit vielen Wandermöglichkeiten für alle, die gerne aufwärts gehen.

Am Abend, anstatt sofort wieder mit dem Postauto ins Tal zu fahren, setzten wir uns in Faltigberg auf eine Bank vor die Höhenklinik und schauten zu, wie sich der Tag verabschiedete. Wie die Sonne unterging. Wir blieben so lange, bis sich das fahle Gelb über die Silhouetten senkte und bald einmal die Venus als Abendstern aufging. Da sassen wir ganz alleine an einem Ort, wo noch vor Stunden viel Bewegung war. Das Panorama von den Glarner bis zu den Berner Alpen ist hier beeindruckend und hat sicher alle, die heute auch hierher kamen, so fasziniert wie uns.

Dann bei einbrechender Dunkelheit waren alle Menschen plötzlich verschwunden. Unser modernes Leben will es so. Nachtet es ein, gehen wir in die Häuser, zünden das Licht an und alle Schönheit von draussen ist ausgesperrt und ausgelöscht. Für diesmal fügten wir uns diesem Automatismus nicht. Wir blieben sitzen, länger als eine Stunde, offen für die kleinsten Veränderungen am Himmel. Bis die Nacht dann endgültig angekommen war. Wie gut, dass uns das Postauto danach sicher und bequem nach Wald ZH führen konnte. Ein Rückweg zu Fuss hätte mir etwas Angst gemacht. In Rüti ZH, als wir den Zug nach Zürich erwarteten, tanzten goldene Fetzen vor meinen Augen. Es war offenbar etwas viel, was ich ihnen heute zugemutet hatte.

Ferdinand Hodler malte in seinen Bildern Farbstimmungen aus dem Gebiet Genfersee, wie wir sie geschaut hatten. Und der Fotograf Otto Eggmann fotografierte für seinen Fotoband „Zürcher Oberland“ die erlebte Szene am ähnlichen Standort. Kunst und Natur brauchen einander. Kunst will die schönen Momente bewahren und Natur regt zum Malen und Fotografieren an.

Die Farben des letzten Sonntags will ich nun in die dunkle Jahreszeit mitnehmen. Nicht nur wie eine Konserve im Fotobuch oder auf einem Gemälde. Als etwas Lebendiges, als bewegtes Licht.