Montag, 21. Juli 2008

Nacht am Stadtrand: Seltsame Schreie, die mich verwirrten

Es war etwas nach 3 Uhr in der Morgenfrühe, als ich erwachte. Schrille Laute hatten mich geweckt. Schreie eines Tieres? Sofort dachte ich an den Fuchs, den ich vor wenigen Wochen, ebenfalls in der Nacht, erspäht hatte.
 
Wenn ich auf der Bettkante sitze, sehe ich auf die Grünfläche hinaus, von der ich in einem früheren Beitrag einmal vom Flugplatz für die Rabenkrähen und Elstern berichtet habe. Hier kam er durch, schritt lautlos am gegenüberliegenden Haus vorbei, seinem Instinkt folgend.
 
Wie alle Häuser der Umgebung, wird auch das unsere vom Sonnenuntergang bis zum Sonnenaufgang beleuchtet, ist also beschützt. Bekanntlich haben sich die Füchse daran gewöhnt und betrachten die Wohngebiete an den Stadträndern ganz selbstverständlich auch als ihr Revier. Und vor dem Licht scheinen sie sich nicht zu fürchten.
 
Ich schaue hier gern ins leicht beleuchtete Dunkel hinaus, auch wegen der Bäume und des Winds. In der besagten Nacht aber bewegte sich nichts. Weder die Blätter der alten Hagebuche noch die portugiesische Flagge am gegenüberliegenden Balkon. Alles schien zu schlafen.
 
Und doch schrie eine mir unbekannte Kreatur. War sie in Not? Der Fuchs vielleicht? Wie hören sich überhaupt seine Schreie an? Keine Ahnung. Ich stand auf, schaute in der Küche und am Essplatz durch die Fenster. Nichts, gar nichts bewegte sich. Auch in der Stube und im Balkonbereich wurde ich nicht fündig. Im Korridor, nahe meinem Büro, dröhnten die Schreie extrem schrill. Ich war ratlos.
 
Dann ging ich ins offene Schlafzimmer zurück und fand des Rätsels Lösung. Es war Primo, der auf seltsame Art schnarchte. Noch nie gehört. Seine Atemzüge waren gekraust. Und die neue Wohnung, immer noch ein Hohlkörper mit viel zu grosser Resonanz, vervielfachte seine Atemgeräusche und verwandelte sie in Schreie. Ich schaute eine Weile zu. Dann bewegte er sich, ohne zu erwachen. Und sofort war das verwirrende Spiel aus.
 
Eine eindrückliche Lektion. Wir müssen uns um Materialien kümmern, die den Schall schlucken. Grundsätzlich mögen wir schlichte Räume, Fenster ohne Vorhänge, Böden ohne Teppiche. Jetzt wurden wir eines Besseren belehrt. Die Kreativität ist gefordert. Wie sie uns führt, weiss ich im Augenblick noch nicht. Aber wohin sie uns führen soll, das steht fest. Wir wollen uns nicht weiter von vermeintlichen Tieren narren lassen.

Mittwoch, 9. Juli 2008

Waldsofa und Ausstellung über das Krähenvolk gefunden

Auf dem Weg, der von Zürich-Altstetten auf den Üetliberg führt, haben wir ein so genanntes „Waldsofa“ entdeckt. Primo erspähte es durch das Baumgefieder. Ein ansehnliches Rund, aus Baumästen zusammengefügt, ähnlich einem Vogelnest, aber auf die Grösse von Menschen zugeschnitten. Eine auf den Waldboden gesetzte Umfriedung. Ein Sofa im herkömmlichen Sinn ist es nicht, wohl aber ein geschützter Ort, um sich wohlzufühlen, zum Träumen, Lauschen, Beobachten.
 
Wir näherten uns langsam, still und etwas ehrfürchtig. Wir schauten uns um, waren alleine da.
 
Links vom Torbogen, der ins Innere und zu einer Feuerstelle führt, lasen wir die Erklärung zu diesem „Waldsofa“. Es sei der gemeinsame Platz von Kindern aus dem Kindergarten Hohlstrasse 437 und Kappeli 1 aus dem Schulkreis Letzi in Zürich. Sie kämen jede Woche einen Tag lang in diesen Wald. Auch wir dürften diesen Raum benützen. Es seien aber Regeln einzuhalten: Keinen Abfall hinterlassen, nichts kaputt machen, kein Holz aus dem kunstvoll geflochtenen Rund herausziehen, um Feuer zu machen. Voraussetzung sei auch, dass die Feuerstelle sauber hinterlassen werde. Und: Die Kiste dürfe nicht mehr aufgebrochen werden.
 
Ausserhalb dieses Baus waren einige aneinander gereihte, kleine Felder zu entdecken, in deren hölzernen Umrandungen Blätter, Gras, Steine, Tannzapfen usw. ausgelegt worden sind. Wie Felder in der Landwirtschaft. Alles mit Liebe und Sorgfalt gestaltet und auf Masse der Kinder zugeschnitten.
 
An Bäumen aus der nahen Umgebung wurden eine aufgehängte Flöte und ebenso Föhrenzapfen bemerkt. Vielleicht entdecken Wespen diesen Ort und nisten sich da ein. Eine Vermutung von Primo. Ebenso flattern farbige Wimpel im Wind und spiegeln die Freude der Kinder. So stelle ich mir das vor.
 
Auch für mich war der Wald im Vorschulalter ein Ort der Geborgenheit und auch der Geheimnisse. Die Beerensuche mit der Grosstante Rosa ein Abenteuer für sich. Ich kann mich gut an Licht und Dunkel und ihr gemeinsames Spiel erinnern. Viele Geschichten, die ich später hörte oder las, wurden durch die damaligen Eindrücke lebendig, farbig und auf ihre Art realistisch. Und solche sind besonders für die Stadtkinder wichtig. Ich freue mich für sie.
 
Die Natur zu entdecken, ist ein endloser Prozess. Ich denke manchmal, dass ein Menschenleben gar nicht ausreicht, alle Lebens-Zusammenhänge zu begreifen. Ein Glück, dass uns Fachleute und Museen behilflich sind. Und ein Glück für die Kinder, wenn ihnen Eltern oder Lehrpersonen die Ehrfurcht vor dem Leben wecken.
 
Gegenwärtig sind es die schwarzen, gefiederten Freunde in meiner Umgebung, die ich besser kennen lernen will. Im Blog vom 09.06.2008 erwähnte ich, dass ich gerne wüsste, ob es Raben oder Krähen seien, die das Lebensumfeld mit uns teilen. Die Ausstellung im Naturmuseum Solothurn, die noch bis zum 5. Oktober 2008 zu besichtigen ist, hat mir die Antwort zweifelsfrei geben können. Es sind Rabenkrähen (corvus corone).
 
Die Masse der Rabenkrähe unterscheiden sich stark von jenen der viel grösseren Kolkraben. Rabenkrähen verfügen über eine Flügelspannweite von ca. 76 cm und ihre Länge Schnabel-Schwanz beträgt 47 cm. Ihnen im Museum gegenüber zu stehen, beeindruckte mich stark. Nun habe ich diesen Vogel verinnerlichen können. Er ist mein Nachbar. Wenn ich am Fenster stehe und unsere Leintücher ausschüttle, fliegt keiner von ihnen auf. Sie werden mich schon kennen. Raben seien gute Beobachter, intelligent und wüssten sich immer wieder neuen Situationen anzupassen, hört man.
 
In der Revue SCHWEIZ, wo ich den Hinweis auf die Ausstellung in Solothurn gefunden habe, werden die Raben als schlaue Biester mit schlechtem Ruf bezeichnet. „Als kluger Vogel bewundert, als Galgenvogel verschrien, als Göttervogel verehrt und als Schädling verfolgt.“
 
Die Ausstellung ist klein, vielfältig und fein. Sie lädt zum Verweilen ein. Auch die Verwandten der Rabenkrähen sind da zu bewundern (Elstern, Eichelhäher, Tannenhäher, Dohlen). Und hier ist es möglich, die seltene Alpenkrähe mit dem roten und die Alpendohle mit dem gelben Schnabel von einander zu unterscheiden. Die ganze Krähengesellschaft ist versammelt und ihre Rufe und Schreie ab Band zu hören.
 
Ich habe wieder einmal erlebt, wie ergiebig ein Ausstellungsbesuch ist, wenn konkrete Fragen auf Antworten warten. Und wie das Verständnis wachsen kann, wenn wir uns in ein Thema einlassen. Es wird in der Ausstellung auch auf die Gründe für die Konflikte mit diesen Vögeln hingewiesen. Die vom Zürcher Tierschutz herausgegebene Broschüre „Krähenvolk. Eine Lanze für Verfemte“ weist schon im Titel darauf hin, dass ein Umdenken von uns Menschen nötig ist.
 
Die Ausstellung im Naturmuseum in Solothurn ist bis 5. Oktober 2008 zu sehen.
Öffnungszeiten Dienstag bis Samstag 14‒17 Uhr, Sonntag 10‒17 Uhr.

Donnerstag, 3. Juli 2008

Die Natur als Lehrmeisterin: Risse im Holz, Risse im Leben

Letzte Woche traf ich zufällig auf einen ehemaligen Nachbarn von Zürich-West. Wir plauderten, und beim Adiö-Sagen fragte er mich, welche Blumen ich am meisten liebe. Er möchte mir an den neuen Wohnort Blumen schicken. „Natürliche Blumen, nichts Pompöses, nichts Künstliches!“ Da seufzte er. Er sagte dann, es könne schon eine Weile dauern, bis ich sie erhalte.
 
Gestern besuchten uns Freunde und brachten die Symbole Brot und Salz in die neue Wohnung, damit uns diese Grundnahrungsmittel nie ausgehen würden. Und dazu gehörte auch ein kleines Blumenarrangement putziger Art. Geschniegelt und zu einer Kuppe gebunden und aus der Mitte herausragend eine stramme Kornähre.
 
Solche Gebinde erwecken mein Mitleid. Die individuellen Naturen der Blumen werden nicht berücksichtigt. Sie sind in ein enges Korsett gebunden und müssen am Platz bleiben, weil sonst die Gesamtform zerfallen würde. Meist lasse ich ein solches Geschenk einen Tag und eine Nacht so stehen. Dann aber löse ich die Schnur oder die Stengel aus dem Kunststoffmaterial, in das sie gesteckt worden sind. Und ich stelle die Blumen in eine Vase, gerade so, wie ich es als Kind mit den Blumen aus der Wiese gemacht habe. Da kann ich dann rasch feststellen, wie sie sich ganz persönlich entfalten. Von der Kuppe ist sofort nichts mehr zu sehen. Die Natur darf sich zeigen, wie sie ist. Das Zusammenspiel von Blumen verschiedenster Art und Herkunft wird zur Augenweide. Der Bezug zu uns Menschen ist naheliegend. Auch wir brauchen einen persönlichen Freiraum, um die Talente einzubringen, die in uns stecken.
 
Floristinnen und Floristen mögen mir verzeihen, dass ich ihrer Blumenbindekunst kritisch gegenüberstehe.
 
Ähnliche Erfahrungen machte ich vor Jahren mit Holz. Primo brauchte für einen grossen Auftrag Akazienholz. Wir konnten es in Norditalien finden. Seine Freude war gross. Farbe und Struktur für ihn eine Entdeckung. Sobald dieses im Süden gewachsene Holz in Zürich eintraf, wurde es aufgeschnitten und gehobelt. In seiner Begeisterung wollte es Primo sofort mit anderen Hölzern kombinieren. Er fügte einen Akazien-Abschnitt von 5 x 7 cm mit 2 anderen, etwa gleich grossen Hölzern zusammen und umfasste das Gebilde mit einem 7 mm breiten Rahmen aus Birnbaumholz. Die Akazie durfte Mittelpunkt sein. Links und rechts je ein Obstbaumholz, abgetrennt mit einem dunklen Nussbaum-Furnier, der das südliche Holz noch mehr herausheben sollte. Dieses dreiteilige Objekt schenkte er mir als schöne Erinnerung an eine spannende Holzsuche im südlichen Nachbarland. Ich freute mich.
Die Signatur im Rahmen und das Datum 15-7-81 informiert über das derzeitige Alter dieses Objekts. Beinahe 27 Jahre. Schon bald nach der Herstellung zeigte sich ein Riss im Bereich des dünnen Nussbaum-Furniers, und wir verstanden den Wink. Es waren da drei verschiedene Hölzer, an verschiedensten Orten aufgewachsen, verschieden lange gelagert, verschieden ihre innere Feuchtigkeit, rücksichtslos zusammengefügt worden. Der Birnbaum-Rahmen, der sich bis heute als unverrückbar erweist, wurde für die Hölzer zu einem Gefängnis, die Spannung so gross, dass sie das Holz zerriss. Durch den Spalt kann mittlerweile ein 10-Rappenstück mühelos durchgeschoben werden. Es war eine Lehre fürs Berufsleben. Der Schreiner muss darauf achten, dass er in seinen Konstruktionen dem Holz immer einen gewissen Bewegungsraum zugesteht, damit es schwinden und wachsen kann.
 
Dieses kleine Objekt zeigte ich Mitte Juni in der Gruppe „60 plus“  im Kreis 5 der Stadt Zürich, als Primo und ich eingeladen waren, einen so genannten „kleinen Kulturtag“ zum Thema „Holz und Papier“ zu gestalten.
 
Dass Spannungen zu Rissen führen, verstanden die Anwesenden, als ich mein hölzernes Schaustück zeigte. Als ich dann auf den Rahmen als eine strenge Ordnung verwies, ging ein Raunen durch die Zuhörenden, wie man es nicht oft erlebt.
 
Spannungen aushalten müssen wir alle. Wenn aber das Mass die innere Flexibilität übersteigt, dann gibt es Risse. Dort wo wir am schwächsten sind. Unsere Ordnungen sollten so eingerichtet sein, dass sie einen minimalen Bewegungsraum ermöglichen. Auch Menschen wachsen und schwinden.
 
So erteilt die Natur ihre Lehren. Alles Lebendige braucht einen gewissen Spielraum. Auch wir Menschen in unseren Beziehungen, im Staat, am Arbeitsplatz, auch innerhalb der Religion, aber ganz speziell im eigenen Denken.