Wir erlebten in diesem Augenblick sein Heimweh nach dem
handwerklichen Beruf. Er strich über die Oberfläche, als wollte er das
Material liebkosen. Diese Berührungen – Primo nennt sie gern haptisch –
erlebten wir früher oft, als noch in der grossen Werkstatt gearbeitet
wurde. Die Kunden fühlten sich angezogen einerseits von der Schönheit
des Holzes, aber auch vom Duft im Umfeld der Hobelmaschine. Sie
schauten, berührten das Holz, manchmal fast traumwandlerisch. Und
wühlten in den Hobelspänen.
Von einer mit uns befreundeten Schreiner-Familie im Engadin (Kanton
Graubünden) erhielten wir zu Weihnachten einen Stern und eine Packung
Hobelspäne – beide aus Arvenholz. Diese Späne bestimmen auch nach 3
Monaten immer noch das Raumklima unserer Stube mit. In einer offenen
Schale liegend, verströmen sie ihr unvergleichlich starkes Aroma.
Manchmal halte ich die Schale vors Gesicht und atme den Duft genüsslich
ein.
Dem Holz wird auch eine Schutzfunktion nachgesagt. Ich beobachte
schon lange, dass im Holz eine geheime, ausgleichende Kraft leben muss.
Es ist fähig, die Menschen friedlich zu stimmen und die Gesundheit zu
unterstützen. Und es fängt, besonders wenn der Innenausbau oder Möbel
aus Nadelholz geschaffen worden sind, Lärm auf. Es schluckt ihn. Es
schwingt. Und andererseits ist ein Glaube mit dem Holz verbunden, dass
es vor Unglück schützen könne. Einige mögen diese Aussage als Aberglaube
schlecht machen. Wahr ist aber, dass immer noch viele Menschen in
unserer Gegenwart rufen Lang Holz aa! (Berühre Holz!), wenn sie
sich vor Unbill schützen wollen. Immer dann, wenn sie eine sehr gute
Nachricht ausgesprochen haben und verhindern wollen, dass diese ins
Gegenteil kippt.
Es freute mich darum, als ich in der Sonntagszeitung vom 23.03.2014 las, dass der CEO der Edelweiss Air
(Schweizerische Fluggesellschaft) diesen Ausspruch verwendete, als er
in einem Interview davon sprach, dass sie seit der Gründung 1995 keinen
Unfall habe beklagen müssen. Auch er wollte offensichtlich das Schicksal
nicht herausfordern und fügte an: Holz aalange! Solche Menschen sind mir sympathisch.
Gefreut habe ich mich dieser Tage auch, als ich eine Kolumne von Glennyce Eckersley
las, einer Autorin, die spirituelle Geschichten verfasst. Dabei fand
ich eine Erklärung zum obigen Thema. Sie berichtete, im Mittelalter sei
es üblich gewesen, sich an die Naturgeister zu wenden, um Unglück
abzuwehren. Dreimal auf den Stamm eines Baumes klopfen, bedeutete um
Hilfe rufen. Wurde die Bitte erfüllt, kam man später zum Baum zurück und
klopfte noch einmal auf den Stamm, um zu danken.
Holz wird von Primo täglich berührt, ohne dass er um Hilfe ruft.
Vielleicht spüren Bäume und Holz seine Faszination ihnen gegenüber.
Manchmal denke ich, es sei eine echte Liebesbeziehung mit viel
Verständnis für einander. Er bewundert sie, spielt mit ihren Farben und
Formen, und sie machen mit, weil er ihre Schönheit ans Licht bringt.