Freitag, 25. Februar 2005

Aufgeräumte Grossstadt: „Für e suubers Züri“

Seit ein paar Wochen werben weisse Abfallsäcke für ein sauberes Zürich: „Für e suubers Züri.“ Ihr neuer Auftritt ist markant, erinnert an ein frisch gereinigtes Badezimmer oder eine weiss geplättelte Toilette. Die Gegensätze sind gross. Aussen weiss, innen kunterbunter, nicht hygienischer Abfall. Die Beschriftung ist blau. Zusammen stehen die heraldischen Farben von Zürich.

Dieser Wechsel von den grauen zu den weissen Säcken regt mich an zurückzuschauen, wie es gewesen ist, als ich Kind war: Da „sehe“ ich das Güsel-(=Abfall)Fuhrwerk, das einmal pro Woche durchs Dorf fuhr und die bereitgestellten Abfälle mitnahm. Sie wurden auf einen abgelegenen Platz gekippt und der Verwesung übergeben. Wir Kinder spielten manchmal an diesem Ort, fanden Kleinigkeiten, die wir eine Weile brauchen und dann wieder zurückwerfen konnten. Der Modergeruch ist mir sofort in der Nase, wenn ich daran denke. Das war in den 40er-Jahren, als die Abfälle grösstenteils noch natürlich zerfallen konnten.

Als sich die Plastikverpackungen auszubreiten begannen, stutzte mancher Gärtner, dass dieser Stoff im Komposthaufen einfach nicht zerfiel. Wer damals nur ein bisschen nachdachte und in die Zukunft schaute, musste darob in Panik geraten. Wohin mit nicht zersetzbaren Stoffen? Noch heute stört es mich, wenn ich ein Produkt, das ich brauche, in der Plastikfolie entgegennehmen muss, obwohl diese heute entsorgt werden kann. Es brauchte die Forderungen und den Durchhaltewillen der Umweltschützer und Mahner, dass wir heute im Abfall (noch) nicht ersticken.

Ende Jahr bekommen jeweils alle Einwohner der Stadt Zürich den Entsorgungskalender für das neue Jahr. Die Dienstleistungen und die Daten für die verschiedenen, separat gesammelten Abfälle sind aufgelistet. Das Entsorgungs-Handbuch beantwortet uns, wie wir diese umweltgerecht und auch wirtschaftlich beseitigen können. Die Illustrationen auf diesen Drucksachen verbreiten ein gutes Gefühl: Das Abfallproblem ist lösbar.

Jetzt kann ich sogar auch noch den persönlichen Entsorgungskalender aus dem Internet (www.erz.ch ) für meine Strasse und meine Hausnummer ausdrucken. Oder ich bestelle das SMS-Abo, das mich 2 Tage vorher über die Papier- und Kartonabfuhr und über die Sammlung von Sonderabfällen informiert. Gratis!

Die Vorarbeit von ERZ Entsorgung + Recycling Zürich ist beeindruckend. Es wird uns leicht gemacht, 100%ig mitzumachen und etwas für das saubere Zürich zu tun.

Mittwoch, 16. Februar 2005

Überirdische und irdische Wesen

Der Zwischenfall geht mir immer noch nach. Letzte Woche bin ich, wie üblich, mit dem Velo aus dem Gartenweg herausgefahren, ein Stück weit auch auf dem Trottoir, ebenfalls üblich. Die Abfahrt zur Strasse hin will es so. Ich bin etwas schnell angefahren und habe einen Hund erschreckt. Er kam auf einem andern Gartenweg heran und aus dem toten Winkel heraus angerannt. Obwohl an der Leine, konnte er mich anspringen. Die Hundehalterin handelte beherzt. Sie riss den Hund zurück und versuchte auch noch, mein Velo vor dem Umfallen zu retten. Ich selbst sprang ab. Das Rad fiel zu Boden. Niemand kam zu Schaden.

Es war ein Ereignis von Sekunden und erst nach und nach begreifbar. Wir entschuldigten uns wortreich und freundlich.

Erst jetzt, wieder allein, reflektierte ich, was mit mir geschehen war. Nicht ich war vom Velo abgesprungen, sondern hingefallen und dann gehalten worden. Eine mir bis dahin unbekannte warme Kraft fing mich auf. Noch fühle ich, wie verhindert worden ist, dass ich auf dem Boden aufschlug. Ein Moment grosser Labilität kippte in Stabilität. Es ist schwer zu beschreiben. Es war ungewöhnlich für mich. Ich dachte an meinen Schutzengel.

Engel seien überall, erfuhren wir Ende 1999, als die Credit Suisse in ihrer Galerie am Hauptsitz in Zürich eine viel besuchte Kunstausstellung über diese zwar unsichtbaren, aber doch erfahrbaren Wesen zeigte. So funktioniert das. Eine eigene Erfahrung wird mit Bildern aus fernen Zeiten in Übereinstimmung gebracht.

Auch im Zürcher Bahnhofareal können wir diesen Wesen begegnen. Da ist einmal die betagte Frau, die seit Jahren alle Reisenden von ihrem Rollstuhl aus segnet. Sie findet Sinn in dieser sich selbst gestellten Aufgabe. Die Bahnverwaltung lässt sie gewähren. Weiter ist die Engelin von Niki de Saint Phalle als Verkörperung weiblicher Spiritualität nicht zu übersehen, und draussen über dem Seitenportal auf dem Dach halten 2 Engel je ein Zürcher Wappen in schützenden Händen.

Oft werden Menschen zu Engeln, wenn sie Mitmenschlichkeit leben und helfen, dass andere körperliches oder seelisches Gleichgewicht wieder finden. Engel gelten als „Architekten“ der Schöpfung, als Beschützer, Führer und Helfer der Geschöpfe, schreibt Wolf-Dieter Storl. Und die von Künstlern geschaffenen Engelsfiguren werte ich als Vermächtnisse von Erfahrungen, die weitergegeben werden wollen. Engel richten etwas oder verhindern etwas, was wir selbst nicht zustande brächten.

Gerne hätte ich meinen Engel gesehen und ihn gegrüsst. Meine knapp 3-jährige Enkelin Mena, in Paris lebend, wurde in der Vorweihnachtszeit im letzten Dezember erstmals auf eine Abbildung eines Engels aufmerksam. Sie fragte „Maiteli?“ (Mädchen?). Es wurde auf die Flügel verwiesen und ihr erklärt, das sei ein Engel. Mena reagierte sofort mit „Enchantée!“ (Es freut mich sehr!) So hätte ich ihn auch gerne angesprochen.

Freitag, 11. Februar 2005

Wochenmarkt auf dem Helvetiaplatz in Zürich

Nicht nur wegen des knackigen Nüsslisalats bin ich hierher gekommen. Ich bin auch mit den Augen einer Bloggerin da, möchte heute diesen Ort wieder einmal als Fremde anschauen und mir Fragen stellen. Was hat es mit diesem Helvetiaplatz in Zürich auf sich? Was spielt und spielte sich hier und in der näheren Umgebung ab?

Am Sozialamt-Gebäude leuchtet ein prächtiges Glasfenster und hellt den trüben Morgen etwas auf. Ein Bild, das vermutlich die Stammeltern und ihre Nachkommen und deren Sozialisierung darstellt. Ein Prozess, den der Künstler für alle unter eine strahlende Sonne gesetzt hat.

Auf dem grossen Platz stehen jetzt nur etwa zwei Drittel der üblicherweise hier anzutreffenden Stände. Es ist Februar, das Angebot beschränkt. Es ist kalt. Die Blumenpracht des Sommers fehlt. Rosen aus dem Thurgau sind nur innerhalb eines auch seitlich abgedeckten Stands zu finden. Die Verkäuferin ist, wie ihre Blumen auch, gut eingepackt. Einfache Glühbirnen leuchten über jeder Auslage. Die Atmosphäre ist gemütlich, die Marktfahrer freundlich, im besten Sinne des Wortes: aufgestellt. Es wird gespasst und gelacht. Humor gehört zum Markt.

Auf hohem Sockel, unübersehbar für alle, überblicken 3 Figuren das Treiben auf diesem geschichtsträchtigen Platz. Es ist der Ort, wo immer schon Volksrechte eingefordert und erstritten worden sind. Demonstrationen und 1.-Mai-Feiern nahmen und nehmen hier ihren Anfang. Karl Geiser schuf mit der Gruppe der beiden Arbeiter und der Frau, die mit ihrer Einkaufstasche hinter ihnen her geht, ein wuchtiges und eindrückliches Monument für den arbeitenden Menschen und seine Familie.

Der Platz, auf dem auch immer wieder Feste gefeiert werden, ist eingerahmt vom Volkshaus, vom Bezirksgebäude mit dem Bezirksgericht und ihm gegenüberliegend von der Lutherwiese, wo im Mittelalter Galgen, Richtplatz und Siechenhaus waren. Zur Umgebung gehört auch das Kino Xenix mit seinem ganz speziellen kulturellen und sozialen Wert. Ein aus den Anfängen des 19. Jahrhunderts stammendes Wohn- und Geschäftshaus, das die andern Bauten überragt, gibt dem Helvetiaplatz eine würdige Kulisse. Nicht zu vergessen sind das Wohnheim der Heilsarmee und die Post im Rücken des Sozialamts.

Helvetiaplatz. Dieser Name ist hier nicht zufällig da. Helvetia, unsere allegorische Frauenfigur aus dem 18. Jahrhundert, die immer noch die Schweiz repräsentiert. Hier ist sie Sinnbild für das Wohl der Menschen und deren Ordnungen. Sie ist auch Ort der Zuflucht für jene aus fernen Ländern, die hier ein Zuhause finden konnten. Die Statistik sagt, dass hier im Kreis 4 der Ausländeranteil mit 42 % am grössten sei.

Im Kreis 4 leben die meisten Arbeitslosen von Zürich. Und in diesem Stadtkreis ist das Rotlicht- Milieu am meisten verbreitet.

In so vielfältigem und auch sinnträchtigem Umfeld präsentieren uns die Gemüseproduzenten jeden Dienstag- und Freitagvormittag ihre Frischprodukte. Ich schlendere von Stand zu Stand. Meist sind es Angebote aus der Landschaft von Zürich. Mehr und mehr aber nehmen auch Bäcker oder Metzger lange Wege in Kauf, um hier eine grosse Kundschaft bedienen und den Existenzkampf besser bestehen zu können. Heute sehe ich erstmals ein bemerkenswertes Angebot von Käsesorten und Fleisch-Spezialitäten aus dem französischen Jura. Immer sind auch einzelne ältere Marktfahrende anzutreffen, die bei jedem Wetter ein ganz bescheidenes Angebot auf kleiner Tischfläche vor sich ausgebreitet haben. Der Zauber des Markts zieht sie dahin, solange die Kräfte ausreichen.

Die Piazza, der Marktplatz. Der Platz, wo das Leben stattfindet, wo wir uns zufällig und unverkrampft begegnen. Es ist nicht auszumachen, auf welcher Seite die Faszination grösser ist, bei den Anbietern oder bei den Kunden.

Ich packe den Salat, die Fenchelknollen, Randen, die Kartoffeln und den französischen Käse in meine Satteltaschen und pedale heim. Kaum bin ich abgefahren, sehe ich die Zwerge im Hofeingang des Seidenkönigs Andi Stutz. Wir zwinkern einander zu. Auch sie, die edlen Stoffe ihres Meisters und sein Restaurant „Seidenspinner“, sind im Umfeld des Helvetiaplatzes anzutreffen.

Mittwoch, 2. Februar 2005

"Einblicke" in unerfüllbare Migranten-Erwartungen

Heute habe ich nun die Schrift gelesen, die mir meine spanische Nachbarin Merce zugesteckt hat. Die soeben erschienene Nummer "Einblicke" aus der Heftreihe Integrationsförderung aus dem Departement unseres Zürcher Stadtpräsidenten widmet sich diesmal den älteren Spaniern in der Schweiz.

Es sind Geschichten und Schicksale von Migrantinnen und Migranten. Wir können erfahren, warum es zur Auswanderung kam. Es wird nachvollziehbar, warum ihre Hoffnungen nicht alle erfüllt wurden. Es wird von Heimweh gesprochen, von Fremdsein und schwer zu erreichender Integration.

Die Aussagen aus dieser Schrift bestätigen die Klischees der Schweizer Eigenart. Wir sind für die südländische Mentalität zu kühl, zu nüchtern, zu verschlossen und angeblich eher unfähig, auf Mitmenschen zuzugehen.

So sitze ich jetzt wieder einmal nachdenklich da, bin betrübt, dass das Bild von uns immer noch mehrheitlich grau gemalt werden muss.

Ist es überhaupt möglich, für andere in allen Belangen angenehm zu sein? Was die Fragen der sozialen Gerechtigkeit betrifft, teile ich die Auffassung, dass sie eingefordert werden muss. Aber die Erwartungen aneinander sind oft unerfüllbar. Wir kommen aus verschiedenen Kulturen, Systemen und sind unter anderen Lichteinfällen aufgewachsen. Warme und kalte Orte bringen verschiedene Mentalitäten hervor.

Jetzt habe ich das Heft nochmals zur Hand genommen. Da ist mir glücklicherweise noch ein ausgleichender Hinweis zugefallen. Die Sozialarbeiterinnen, die die Interviews geführt haben, schreiben: "In Spanien haben wir auch Schweizer Rentner angetroffen. Sie erzählten von ihren Erfahrungen als Migranten, und es ist verblüffend, wie ähnlich doch viele Probleme und Schwierigkeiten sind."

Ich sollte es ja wissen, lebte auch einmal einige Zeit im Ausland. Vieles war mir fremd. Unterliefen mir Fehler oder löste ich Missverständnisse aus, fühlte ich mich schlecht. Alles, was wir im eigenen Land unbewusst aufnehmen – die Sprache, Regeln, Normen, Gesetze, aber auch die Art wie Strassen und Wege bezeichnet werden − verleiht einem Sicherheit. Im Ausland aber ist dieses Wissen oft nicht mehr viel wert. Da bewegen wir uns dann die erste Zeit in einem luftleeren Raum, fühlen uns einsam und unerwünscht.

Heute dürfen wir mit Unterstützung rechnen, finden Anlaufstellen, die Wege zur Integration aufzeigen. Gerade auch die Heftreihe "Einblicke" will das gegenseitige Verständnis wecken. Sicher werden aber immer Wünsche und Sehnsüchte offen bleiben. Menschliche Beziehungen haben etwas Unvollkommenes in sich. Das Leben will es offenbar so. Spannungen machen das Leben spannend. Auch im eigenen Land, in der eigenen Familie, an unseren Arbeitsplätzen und an vielen andern Orten auch, fühlen wir uns oft fremd und heimatlos. Das müssen wir aushalten und dafür sorgen, dass wir wenigstens mit uns selbst im Einklang sind