Nicht nur wegen des knackigen Nüsslisalats bin ich hierher
gekommen. Ich bin auch mit den Augen einer Bloggerin da, möchte heute
diesen Ort wieder einmal als Fremde anschauen und mir Fragen stellen.
Was hat es mit diesem Helvetiaplatz in Zürich auf sich? Was spielt und spielte sich hier und in der näheren Umgebung ab?
Am Sozialamt-Gebäude leuchtet ein prächtiges Glasfenster
und hellt den trüben Morgen etwas auf. Ein Bild, das vermutlich die
Stammeltern und ihre Nachkommen und deren Sozialisierung darstellt. Ein
Prozess, den der Künstler für alle unter eine strahlende Sonne gesetzt
hat.
Auf dem grossen Platz stehen jetzt nur etwa zwei Drittel der
üblicherweise hier anzutreffenden Stände. Es ist Februar, das Angebot
beschränkt. Es ist kalt. Die Blumenpracht des Sommers fehlt. Rosen aus
dem Thurgau sind nur innerhalb eines auch seitlich abgedeckten Stands zu
finden. Die Verkäuferin ist, wie ihre Blumen auch, gut eingepackt.
Einfache Glühbirnen leuchten über jeder Auslage. Die Atmosphäre ist
gemütlich, die Marktfahrer freundlich, im besten Sinne des Wortes:
aufgestellt. Es wird gespasst und gelacht. Humor gehört zum Markt.
Auf hohem Sockel, unübersehbar für alle, überblicken 3 Figuren
das Treiben auf diesem geschichtsträchtigen Platz. Es ist der Ort, wo
immer schon Volksrechte eingefordert und erstritten worden sind.
Demonstrationen und 1.-Mai-Feiern nahmen und nehmen hier ihren Anfang. Karl Geiser schuf mit der Gruppe der beiden Arbeiter und der Frau,
die mit ihrer Einkaufstasche hinter ihnen her geht, ein wuchtiges und
eindrückliches Monument für den arbeitenden Menschen und seine Familie.
Der Platz, auf dem auch immer wieder Feste gefeiert werden, ist
eingerahmt vom Volkshaus, vom Bezirksgebäude mit dem Bezirksgericht und
ihm gegenüberliegend von der Lutherwiese, wo im Mittelalter Galgen,
Richtplatz und Siechenhaus waren. Zur Umgebung gehört auch das Kino Xenix
mit seinem ganz speziellen kulturellen und sozialen Wert. Ein aus den
Anfängen des 19. Jahrhunderts stammendes Wohn- und Geschäftshaus, das
die andern Bauten überragt, gibt dem Helvetiaplatz eine würdige Kulisse.
Nicht zu vergessen sind das Wohnheim der Heilsarmee und die Post im Rücken des Sozialamts.
Helvetiaplatz. Dieser Name ist hier nicht zufällig da. Helvetia,
unsere allegorische Frauenfigur aus dem 18. Jahrhundert, die immer noch
die Schweiz repräsentiert. Hier ist sie Sinnbild für das Wohl der
Menschen und deren Ordnungen. Sie ist auch Ort der Zuflucht für jene aus
fernen Ländern, die hier ein Zuhause finden konnten. Die Statistik
sagt, dass hier im Kreis 4 der Ausländeranteil mit 42 % am grössten sei.
Im Kreis 4 leben die meisten Arbeitslosen von Zürich. Und in diesem Stadtkreis ist das Rotlicht- Milieu am meisten verbreitet.
In so vielfältigem und auch sinnträchtigem Umfeld präsentieren
uns die Gemüseproduzenten jeden Dienstag- und Freitagvormittag ihre
Frischprodukte. Ich schlendere von Stand zu Stand. Meist sind es
Angebote aus der Landschaft von Zürich. Mehr und mehr aber nehmen auch
Bäcker oder Metzger lange Wege in Kauf, um hier eine grosse Kundschaft
bedienen und den Existenzkampf besser bestehen zu können. Heute sehe ich
erstmals ein bemerkenswertes Angebot von Käsesorten und
Fleisch-Spezialitäten aus dem französischen Jura. Immer sind auch
einzelne ältere Marktfahrende anzutreffen, die bei jedem Wetter ein ganz
bescheidenes Angebot auf kleiner Tischfläche vor sich ausgebreitet
haben. Der Zauber des Markts zieht sie dahin, solange die Kräfte
ausreichen.
Die Piazza, der Marktplatz. Der Platz, wo das Leben
stattfindet, wo wir uns zufällig und unverkrampft begegnen. Es ist nicht
auszumachen, auf welcher Seite die Faszination grösser ist, bei den
Anbietern oder bei den Kunden.
Ich packe den Salat, die Fenchelknollen, Randen, die Kartoffeln
und den französischen Käse in meine Satteltaschen und pedale heim. Kaum
bin ich abgefahren, sehe ich die Zwerge im Hofeingang des Seidenkönigs Andi Stutz. Wir zwinkern einander zu. Auch sie, die edlen Stoffe ihres Meisters und sein Restaurant „Seidenspinner“, sind im Umfeld des Helvetiaplatzes anzutreffen.
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