Donnerstag, 30. Mai 2013

Kopftuch: Rotes Tuch, auch wenn der Stoff nicht rot ist

Heute, auf meinem Spaziergang auf Schlierenberg, zog ich mein Foulard vom Hals weg und band es um den Kopf. Es wehte ein giftiger Wind.
 
Ich war allein unterwegs. Gedanken kamen und gingen und liessen ein Kopftucherlebnis aufsteigen. Ich „hörte“ Mena, damals 6-jährig, vorwurfsvoll rufen: Groosiii! (Grossmutter) Warum trägst Du ein Kopftuch? Obwohl noch nicht lange auf der Welt, hatte sie schon mitbekommen, dass es Streit auslösen kann. Eine Frau in der Schulküche trug ein solches und wurde deswegen kritisiert. Ich trug es damals, weil wir uns in den Bergen und zudem noch in einer Nebelwolke befanden. Ich konnte ihr dann erklären, dass mich das Kopftuch beschütze, Erkältungen vermeide. Sie schaute mich gross an und registrierte meine Antwort.
 
Es sind ein paar Jahre vergangen, und noch immer werden sogenannte „Kopftuchdebatten“ geführt. In letzter Zeit fragte ich mich auch schon: Kommt es noch soweit, dass auch farbige Seidentücher kritisiert werden? Also, ich werde es immer dann tragen, wenn es meine Gesundheit und mein Wohlbefinden unterstützt.

Wenn Frauen von Männern und ihrer Kultur gezwungen werden, ihre Haare unter einem Stoff zu verbergen, ist das auch in meinen Augen verwerflich. Ich sehe aber auch ein, dass es Gründe gibt, das Kopftuch gern zu tragen.
 
Für Frauen, die ihre Heimat aus politischen Gründen verlassen mussten, ist es gewiss eine Zeitlang noch die greifbare Verbindung zur Herkunft. Eine Gewohnheit, die selbstverständlich ist. Und diese sollte ihnen nicht einfach wegbefohlen werden. Gut Ding will Weile haben, lautet ein altes Sprichwort. Ein neues Selbstverständnis kann nicht auf Knopfdruck erreicht werden. Wachstum geschieht langsam und behutsam. Das gilt auch fürs Heimischwerden in der Fremde.
 
Ich kann mir vorstellen, dass eingewanderte Frauen die hiesigen bewundern, vielleicht sogar beneiden, weil diese die Schönheit ihres Haars offen zeigen dürfen. Und dass daraus der Wunsch entsteht, es ihnen gleich zu tun. Dass dann eines Tages das Kopftuch abgelegt wird, ist der Schlusspunkt einer Entwicklung. Es durfte ein neues Selbstbewusstsein entstehen.
 
Wir alle, die über die Winterwochen eine wollene Mütze tragen, erleben im Frühling einen ähnlichen Übergang. Es ist nicht immer einfach, einen Schutz von einem auf den andern Tag abzulegen. Wie oft schon lösten giftige Winde Kopfschmerzen aus. In diesem Zusammenhang berührte es mich auch, dass sogar die Männer (Strahler) vom Planggenstock damals dafür sorgten, dass die gefundenen Kristalle nicht erschreckten, als sie diese aus dem Berg hinaus ins Freie führten (siehe Blog Flüelen UR: Begegnung mit kräftigenden Riesenkristallen).
Wir müssen uns nicht wundern, dass die Bekleidungsvorschriften und vor allem das Kopftuch in vielen muslimischen Familien immer noch als moralischer Schutz herhalten müssen. Die freizügigen Sitten in Europa haben die Zugewanderten erschreckt.

Sonntag, 12. Mai 2013

Die Sicht vom Herrenbergli zum Briefzentrum Mülligen ZH

Das Herrenbergli sei ein Geheimtipp, las ich in einem Prospektblatt von „Grün Stadt Zürich“, in dem die Grünflächen von Albisrieden und Altstetten vorgestellt sind. Gemeint waren Friedhöfe, Parkanlagen, Verkehrsgrün, Schulgrün, Sportanlagen und extensive Grünflächen. Diese grüne Dienstabteilung der Stadt Zürich pflegt 4440 Hektaren öffentlichen Grünraum und weiss Bescheid, wo es schön ist.
Dahin luden wir unsere beiden Töchter und Mena, unsere Enkelin, zu einem Spaziergang ein. Einen Berg zu besteigen, ist immer spannend. Er muss nicht hoch sein. Aber wenn er uns Übersicht schenkt, dann ist es ein richtiger Berg. Beim Herrenbergli handelt es sich um einen Moränenhügel. Sein Name endet mit der Verkleinerungsform –li. Es muss sich also um einen kleinen Berg handeln. Was es mit den Herren zu tun hat, ist unbeantwortet. Ich denke an Arbeitgeber von einst. Die Herren waren Besitzer, ihnen untertan die Arbeiter und Vorarbeiter. Vielleicht gehörte der Hügel einmal einem Fabrikanten.
 
Das Herrenbergli ist heute allen zugänglich. Es sind mir 3 Wege bekannt. Einer mit einer direkten Treppe am Ende des Blinddarms der Dachslernstrasse. Wir benützten den Pfad durch die Wiese, der vom Alters- und Pflegezentrum Herrenbergli nach oben führt.
 
Oben auf der Krete laden 2 Sitzbänke zum Verweilen ein. Mit Blick über die Stadt, zum Hönggerberg und unten ins Tal, zum Briefzentrum Mülligen. Eine Gelegenheit, der 11-jährigen Enkelin diese Drehscheibe unserer Korrespondenz zu zeigen. Mena hat mir schon manche Karten und Briefe geschrieben, die dieses wichtige Zentrum passieren mussten. Es ist das einzige, das in der Schweiz die internationale Briefpost verarbeitet. Auf einer Grundfläche von ungefähr 70 000 m2 arbeiten etwa 1200 Postangestellte.
 
Die Distanz zu unserem Zuhause ist gering. Ich stelle mir immer vor, dass am Abend, wenn der gelbe Briefkasten an unserer Strasse geleert wird, die eingeworfene Post ohne viele Umwege nach Mülligen komme und anschliessend z. B. nach Paris weitergeleitet werde. Ob es stimmt, dass sich meine Briefe dann im obersten Sack befinden und darum zuerst verarbeitet werden, ist wahrscheinlich eine Illusion. Und doch: Meine Briefe werden zuverlässig eingesammelt und rasch auf die Reise geschickt.
Dann erinnerten sich die Töchter daran, dass ich mir schon gewünscht habe, selber als kleines Paket oder Brief zu reisen, damit ich erfahren könnte, wie sich eine Reise von A nach B anfühlt. Und sie sprachen aus, wie das wäre, wenn ich als Sendung auf dem Fliessband daher käme.

Du willst sicher sofort wissen, wer neben dir liegt. Und dich fragen: Wer hat mich geschrieben? Bin ich eine Rechnung oder ein Liebesbrief? Wohin reise ich? Und schnell bemerken, dass mich ein schöner Briefumschlag umgibt. Feines Papier und Briefmarken aus der Philatelie. Nebenan ein voluminöser A-Postbrief, von dem ich erwarte, dass er von Hand sortiert werden muss, weil er die Schleuse der 2 cm Dicke vielleicht nicht passieren kann. Gewiss wirst du auch neben dir reisende Sendungen ansprechen. Nach dem Woher und Wohin fragen und über die Namen der Orte staunen. Und falls du als kleines Paket unterwegs bist, fällst du vielleicht irgendwo hinunter, verursachst Lärm. So Primos Vorstellung. Und er spielte uns entsprechende Geräusche vor.
 
Es wurde auch darüber gesprochen, dass ich die einzelnen Postsäcke, in denen ich spediert worden war, beschreiben würde. Vielleicht so: Es müffelte, war modrig, ein kleines Loch spendete etwas Licht. Schlafen konnten wir nicht. Einige Sendungen stöhnten. Über uns allen lag eine schwere Last. Und die Bahnwagen schepperten, machten Lärm. Nach langer Fahrt dann die Ankunft in Paris. Heiteres, weisses Licht. Fremde Stimmen, eine fremde Sprache. Und ähnliche Manöver wie in Mülligen, jetzt in umgekehrter Reihenfolge. Wurde in Zürich Post aus den gelben Kästen eingesammelt, müssen sie hier in die Briefkästen der Wohnhäuser verteilt werden. Darum ist die korrekte Anschrift so wichtig.
 
Und ich stellte mir dann ganz still und ohne es auszusprechen vor, wie ich in Zürich-Altstetten ankomme. Ich bin da noch ein von Mena geschriebener Brief. Aber sobald sich der Briefkasten im Hauseingang öffnet, auch wieder die normale Grossmutter, die ihm Post aus Paris entnimmt. Da wurde es dann hell für den Brief, und auch für mich.