Wenn ich durch den Wald gehe, wird mir bewusst, wie mir die
Bäume halfen, das Leben zu verstehen. Mein Aufsatz dazu ist im Juni
2007 in der Zeitschrift „Frauen-Forum“ erschienen; doch hat er seine
Aktualität behalten.
Mein Elternhaus stand neben einer Sägerei. Von Kindsbeinen an bin
ich mit dem Duft von Sägemehl und austretendem Harz vertraut. Vielleicht
begründete gerade diese Nachbarschaft später dann die Ehe mit einem
passionierten Möbelschreiner und Holzkünstler, weil auch er diese
Holzaura ständig um sich trug.
Zuerst war also das Holz. Die Bäume mit ihren Lebensgeschichten
kamen später dazu. Am Anfang bewunderte ich einfach, wie abgeholzte
Stämme in die Werkstatt kamen, aufgeschnitten wurden, betörende Düfte
verbreiteten und zu wertvollen Gegenständen verarbeitet wurden. Je
länger ich aber miterleben durfte, wie schön und vielfältig Holz ist,
desto mehr fühlte ich mich in dieses über Jahrzehnte gewachsene Material
ein. Ich widmete mich den Stämmen mit ihren Jahrringen und entdeckte
auch die Blume im Herzen der Eiche. Ich fing an, mehr zu sehen als den
Stamm, mehr zu hören als den Holznamen.
Die Arbeit mit Holz ist anspruchsvoll, denn dieses Material ist
keine dichte Masse. Es hat einen zelligen Bau und ist von unzähligen
Hohlräumen durchzogen, die Feuchtigkeit aufnehmen und abgeben können.
Darum reagiert es empfindlich auf die jeweils herrschende
Luftfeuchtigkeit. Wenn ihm Widerstand entgegengebracht wird, reisst es.
Der Schreiner muss mit diesen Gesetzmässigkeiten so umgehen, dass das
Holz mitmacht, in einer ihm zugedachten Form zu verbleiben. Gleichzeitig
muss ihm eine gewisse Bewegungsfreiheit garantiert werden.
Unser Handwerksbetrieb, bald 50-jährig, ist ein Auslaufmodell. Die
Technik hat auch den Schreinerberuf revolutioniert. Sie nimmt dem
Menschen viele Arbeitsschritte ab. Das Produkt ist schneller hergestellt
und kostet weniger. Doch fehlt ihm nach meiner Sicht die Seele. Eine
Maschine bringt etwas anderes hervor als der Mensch, der seine
persönliche Energie einsetzt, das Material berührt und formt. Nun ist
der Schreiner aber ein Techniker geworden. Er kann programmieren, dass
es fräst und bohrt und schneidet. Berührungen finden nur noch wenige
statt. Der Sägestaub wird in der modernen Schreinerei automatisch
abgesaugt. Wir liebten den Rausch von Aromen, die beim Hobeln aus den
Hölzern aufstiegen. Vorbei. Nüchtern, steril, gesund soll die Werkstatt
sein.
Heute richtet sich alles nach der Wirtschaftlichkeit. Zeit ist
Geld. Einst wurden Bäume nur im Winter gefällt, wenn sich die Säfte im
Holz zurückgezogen hatten. Jetzt wird ganzjährig Holz geschlagen und in
den Handel gebracht. Auch die natürlichen Trocknungszeiten werden
vielerorts umgangen. Dampfgruben und Trocknungsanlagen überwältigen das
Leben im Holz und wollen lange dauernde Lagerung im Freien ersetzen. Und
Waldbesitzer klagen. Ein Baum beansprucht während 50‒100 Jahren einen
Quadratmeter Boden, der keinen Handelswert abwirft. Wird der Baum dann
gefällt, summieren sich die Kosten für das Fällen, den Transport, den
Sägelohn und Lagerplatz und können kaum mehr mit dem Erlös des Holzes
gedeckt werden. Die Schreiner wiederum sind unter Druck, weil der Kunde
von heute preisbewusst ist und sich an den über verschiedene Erdteile
hingeworfenen Billigmöbeln orientiert. Die Einzelanfertigung eines
Möbels aus einheimischem Holz kann nur noch eine begüterte Schicht
bezahlen.
Diese Entwicklung stimmt mich nachdenklich. Ich habe in der langen
Zeit meiner Mitarbeit in unserer Schreinerei eine enge Beziehung zum
Holz und zu den Bäumen entwickelt. Die Art, wie der Baum aufwächst,
gross und stark wird, blüht, fruchtet und später auch altert und stirbt,
entspricht für mich unserem menschlichen Dasein. Auch der Baum muss um
seine Existenz ringen, seine Nahrung finden. Er muss sich mit Nachbarn
arrangieren und den eigenen Platz behaupten. Er erlebt Nähe und Enge wie
wir. Er kennt Sturm und Wind, und mancher Baum fühlt sich an seinem Ort
nicht einmal wohl. Da sehen wir dann Bäume, die wie Tänzer aussehen und
all zu grosser Unruhe im Wurzelbereich ausweichen wollen. Und alle
drängen zum Licht. Im Atemaustausch kommt unsere enge Verbindung aufs
Schönste zum Tragen. Was wir ausatmen, wandeln sie in Sauerstoff um.
Ich betrachte Bäume auch gerne mit Abstand. Auf Reisen mit der Bahn
folge ich ihren Silhouetten. Ich bewundere jene, die auf den Kreten
stehen, die Wind und Wetter aushalten, als wäre es das
Selbstverständlichste der Welt, beneide sie um ihre Aussicht und
Übersicht. In der Nähe ist mir die Espe lieb, wenn sie zittert und
sirrt. So reagiert meine Innenwelt, wenn sie berührt wird.