Freitag, 29. Januar 2016

Hemberg im Toggenburg: Wohnort von Freunden
und Dorf von nationaler Bedeutung

Wir reisten dem Obersee entlang. Im Nebel. An diesem Morgen zeigte er sich wie das Meer. Als graue Unendlichkeit. Mit vielen Möven im Uferbereich von Schmerikon. Wir befanden uns im Regio-Express nach Wattwil. Weiterfahrt im Postauto nach Hemberg. 325 Höhenmeter aufwärts.

Im Postauto wurden anfänglich laute Gespräche geführt, die zwangsläufig alle Reisenden mithören mussten. Ganz still aber sass eine junge Frau auf einem einzelnen Sitz und strickte. Eine Stimmung wie in einer Stube. An jeder Station stiegen Fahrgäste aus. Neue kamen nicht hinzu. Primo und ich gehörten zu den wenigen, die bis nach Hemberg reisten.

Ich erhoffte für mich den Ausstieg aus der Nebelsuppe, diesen magischen Moment, wenn die Nebeldecke durchbrochen wird. Wenn sich ihre Fetzen in kleinste Partikel auflösen und zu Wassertröpfchen werden, in denen in Bruchteilen von Sekunden Regenbogenfarben aufscheinen.

Dieses Auseinanderdriften habe ich aus dem Postauto bergwärts gut verfolgen können. Nicht lange. Auf der Höhe von Wattwil-Eggberg erfüllte sich, was ich zu erleben hoffte. Ein blauer Himmel und eine strahlende Sonne lachten uns an. Sofort erweiterten sich die Horizonte. Die Räume dieser Gegend wurden sichtbar. Hügel, Berge und Felswände liessen sich aus der Vogelperspektive anschauen. Kurz vor unserem Ziel bemerkte ich linksseitig unserer Fahrbahn und tief im Tal einen Kessel, der immer noch von dichtem Nebel beherrscht war. Die Sonne hatte ihn noch nicht austrocknen können. Dieses Nebelgebiet erschien von oben herab wie ein norwegischer Fijord.

Ankunft in Hemberg, Station Post. Da wurden wir erwartet und herzlich begrüsst.

Unser Gastgeber machte als erstes auf den gefrorenen, glitschigen Boden aufmerksam. Aufpassen! Er sei hääl, sagte er in seinem Dialekt. Er war besorgt, wollte einen Unfall verhindern.

Von der Post herkommend, grüsste er zwei Personen und stellte uns diese vor. Männer, die hier leben und arbeiten. Eine der Zufälligkeiten, die Ausflüge bereichern. Solche ermöglichen es, nicht nur das Äussere eines schmucken Ortes, sondern auch etwas von der Mentalität der hier lebenden Menschen zu erhaschen. Aus den heiteren, von Sonne und Wind gestählten Gesichtern sprachen Freundlichkeit und Schalk.

Als weitere Beigabe zur Begrüssung empfanden wir das 11-Uhr-Glockengeläute der reformierten Kirche gleich nebenan. Dieses ist alte Tradition, die auch in Zürich in verschiedenen Kirchgemeinden noch lebt. Wenn Glocken läuteten, wurde früher gemeinsam gebetet. An diesem Tag und an diesem Ort sprachen sie uns auch an.

Hemberg ist ein Dorf von nationaler Bedeutung. P. führte uns im Auto durch den prächtigen Ortskern zu seiner entlegenen Klause, wie er das alte, jetzt sorgsam umgebaute Haus in der Nachbarschaft eines Hochmoors benennt. Hier erwartete uns seine Frau L. und hiess uns ebenso herzlich willkommen. Sie führte uns an einen ganz speziellen Ort, zu einer hölzernen Bank, wo wir an eine sonnengebräunte Scheunenwand anlehnen und ankommen konnten. Mit Blick zu den Churfirsten, der Bergkette mit dem mehrfach unterbrochenen First. Einmalig dieser Ort, das Licht und der freie Blick, den wir in der Stadt kaum mehr kennen. Und fern von aller Hektik, dominanten Bauten, Betonwüsten, Verkehrslärm und Stress. Nichts trennte uns von dieser Alpenwelt. Wir erlebten wieder einmal, was uns und gewiss vielen Mitmenschen wirklich gut tut.

Später, auf dem Vorplatz der Stube, ebenfalls im Freien, entdeckte ich noch den Säntis aus dem Nachbarkanton Appenzell. Er ebenfalls eine Berühmtheit. Er ist der höchste Berg im Alpstein, 2502 m.ü.M.

Freundschaften ermöglichen solche Ausflüge an Orte, die wir allein vermutlich nicht fänden. Und ein Haus betritt man auch nur, wenn dazu eingeladen worden ist.

Der ganze Tag war Licht erfüllt und noch nach der Heimkehr beim Einschlafen zeigte das innere Archiv Bilder von diesem Bilderbuchtag. Gehörtes und Gesehenes, Ernstes und Heiteres, alles wurde registriert.

Wir alle reden und erzählen gern. Und jedes mal, wenn wir einander nach Jahren wieder einmal treffen, entdecken wir erneut gemeinsame Bekannte. P. hat ein besonderes Gespür dafür.

An diesem Tag, von den Churfirsten aus der Nähe beeindruckt, drängte sich aber auch die Frage auf, warum uns auch der Säntis immer wieder anspreche. Da begann ich mich zu erinnern, dass wir ihn vor etwa 40 Jahren einmal gesucht haben. Er zeigte sich nicht. Das Wetter bot keine besondere Aussicht oder Übersicht. Hä-nu-so-dänn sagen wir, wenn wir etwas nicht ändern können. Wir zogen weiter, gingen auf dem vorgesehenen Wanderweg, bis uns eine Sitzbank zum Ausruhen einlud. Den prominenten Berg hatten wir schon vergessen, als sich der Nebelvorhang sachte zu lichten begann. Wir wussten nicht, was uns bevorstand, ahnten nur, dass sich hier etwas verändere. Und sahen plötzlich den Säntis. Wir sassen ihm gegenüber. Es fühlte sich an wie ein Wunder. Nur für uns?

Wir konnten niemanden fragen. Aber seither ist eine gewisse Freundschaft zwischen ihm und uns immer noch lebendig. Dort wo es möglich ist, schauen wir nach ihm aus. Z.B. wenn wir mit der S-Bahn ins Zürcher Oberland reisen. Je nach Wetter – wahrscheinlich liebt er den Föhn – kann man ihn im Umfeld von Bubikon sehen.
Auf dieser Foto zwinkert er mir durch die blattlosen Büsche zu.
Wahrscheinlich hatte er uns damals den ersten magischen Moment vermittelt.

Der angefügte Link ist eine Einladung: www.bak.admin.ch
Er führt zur Geschichte von Hemberg, dem Dorf von nationaler Bedeutung.

Samstag, 9. Januar 2016

Ein Nachruf auf aussergewöhnliche Neujahrsgrüsse

Wenn Post von U., B. und Ph. eintrifft, befinden wir uns immer in der Übergangszeit von Weihnachten zum Neujahr. Die Botschaft, die uns dann erreicht, ist jeweils von sprödem Humor umgeben und trägt immer ein leicht zu lösendes Rätsel auf sich. Hinweise müssen erspürt werden. Worte dazu fehlen. Philipp lässt uns gerne zappeln. Und er freut sich, wenn wir reagieren.

So sieht die Neujahrspost diesmal aus:

So präsentierte er am 30. Dezember 2015 das noch unbekannte Jahr 2016. Keine Sprüche dazu. Keine Hinweise, keine Wegweiser, keine Ziele. Nur ein weisses Blatt Papier, das die unmittelbare Zukunft darstellen muss. Das dürfte seine Botschaft sein.
Primo gab ihr sofort den Namen Entfaltung von A5 zu A3

Ganz anders die Sonne aus der Familie unserer ehemaligen Nachbarn im Bernoulli. Die Töchter von Veronika haben die Karte gestaltet. Spielerisch und lustvoll. Ihre unverdorbene Kreativität begeistert. Es wurde mit gebrauchtem Geschenkpapier gearbeitet.



Weisheit und Holz sind hier verbunden. Der Schreiner freute sich sehr. Die Karte stammt von einem ehemals auch "Hölzigen".



Wenn Gestalter Neujahrsgrüsse versenden, werden ihre Ideen immer professionell realisiert. Diesmal bewunderten wir ein zusammengefalltetes Plakat mit ausgestanzten Zahlen. 2016 gab sofort einen Sinn. Weitere Zahlen verstand ich erst, als ich den Glückwunsch-Text nochmals las. Da blitzte das Wort zahlreich im Zusammenhang mit geselligen Momenten und unvergesslichen Gelegenheiten auf.

Geburtstag und Neujahr scheinen dem Gestalter wichtig zu sein. Er hat die beiden Worte ebenfalls ausstanzen lassen. Zu seinen Festtagen gehören offensichtlich feinste Backwaren. Rezepte und Puderzucker lagen bei. Viele Details dieses Neujahrgrusses verweisen auf einen Ästheten.



Hier ein Blick auf Nachrichten und gute Wünsche eines Mannes, der nächstes Jahr vielleicht nicht mehr unter uns weilt. Erstaunlich seine Anstrengungen, wie er uns mitteilt, dass ein längst versprochener Besuch in unserer Werkstatt nicht mehr möglich sei. Eine beachtliche Leistung. Sie berührt uns. Einige wenige solcher letzter Schriftzüge besitze ich auch von meinem Vater.

Das ganze Wesen der Weihnachtsbriefe und Weihnachtskarten erinnert mich aber an meine Mutter. Diese gab mir in jungen Jahren jeweils zwischen Weihnachten und Neujahr die Aufgabe, die Adressenliste unserer zahlreichen Verwandten neu zu schreiben. So weit ich mich erinnern kann, gab es jedesmal Änderungen zu berücksichtigen. Sei es wegen Umzügen oder Todesfällen, aber auch wenn sich jemand einen eigenen Telefonanschluss einrichten liess.
Ich freute mich immer auf diese Aufgabe. Noch sehe ich solche Listen vor mir, sehe, wie sie sich von Jahr zu Jahr veränderten. Es war eine Art Rapport, eine Kontrolle, die uns zeigte, wie sich die Grossfamilie veränderte.

Später erlebte ich den Schwiegervater, wie er dieses Jahresend-Ritual taxierte. Er setzte voraus, dass man sich ein gutes neues Jahr anwünschte. Persönlich oder schriftlich. Als eine Form von Anstand.

Einmal bekam er keine Neujahrskarte von einem Verwandten, dem er Geld ausgeliehen hatte. Da musste ich für ihn die sofortige Rückzahlung der Schuld verlangen.

Die Karten zu Weihnachten und zum Jahreswechsel gehören in unserer Familie immer noch zur persönlichen Kultur.

Auch die Enkelinnen haben uns schon mehrmals Signale gesendet, dass sie sich an Karten und Briefen freuen.

Heute schickte die bald 10-jährige Nora dieses Bild mit dem ausstrahlenden Stern.


Sie schrieb dazu, dass sie diese Zeichnung nur machen konnte, weil wir Grosseltern eine so nette Tochter Felicitas hätten. Wörtlich heisst es weiter: Mama hat mir zur Weihnachten Zauberstifte gekauft. Mit denen konnte ich das Bild machen.

Ob die Enkelinnen unsere Tradition weitertragen, steht in den Sternen.
In ihren Sternen.

Freitag, 1. Januar 2016

Neujahrsgrüsse

Im Freien, den Temperaturunterschieden ausgeliefert, zerbarst Primos Komposition aus farbigen Schmelzglasscheiben.
Ihre Risse erzählen mir, dass das, was Menschen gestalten, oft auseinander bricht.
Aber das Licht dahinter, es währt ewig. Die Sonne geht jeden Tag wieder auf.

Gott schicke:
Den Tyrannen Läuse
Den Frauen Nerze
Den Einsamen Hunde
Den Kindern Schmetterlinge
Den Männern Wildschweine
Uns allen aber einen Adler
Der uns zu Ihm trage.

Alter Neujahrswunsch