Die Tage zwischen Palmsonntag und Ostern sind für mich immer
spezielle Tage. Einerseits sind es nicht gewöhnliche Arbeitstage. Die
Woche ist verkürzt. Andererseits haben sie eine religiöse Bedeutung. In
diesen Tagen kreisen die Themen auf verschiedenen Ebenen um Passion, Tod
und Auferstehung.
Das wiedergekehrte Licht leuchtet jetzt ungeniert durch die
schmutzigen Fensterscheiben und spornt zum Putzen an. Zu einem Fest
gehören Räume, die sich frisch anfühlen und das Osterlicht und den
Weihrauch gerne aufnehmen.
Und die Natur zeigt uns, was gemeint ist. Pflanzen und Bäume zeigen
wieder Leben. Äste dürfen wieder Blätter und Blüten tragen. In diesem
Jahr 2011 kommt der Frühling bilderbuchmässig daher. Die Tage sind
voller Licht. Die Stimmung überträgt sich auf unsere Gefühle und
beflügelt viele von uns. Es drängt uns auch wieder ins Freie.
Den Palmsonntag feierten wir im Kloster Fahr und besuchten
anschliessend im nahen Umfeld die „Russenlinde“. Seit dem Jahr 2004
steht sie da, zusammen mit einem Gedenkstein, als Stätte der Erinnerung
an die hier gefallenen Soldaten. Es war die Zeit der zweiten Schlacht
bei Zürich. Franzosen und Russen stiessen im September 1799 hier
zusammen. Wie ich erfahren habe, findet an dieser Stätte immer am 25.
September eine öffentliche Gedenkfeier statt, an der neben dem
Gemeinderat Würenlos AG auch offizielle Vertreter Russlands sowie eine
Kosakendelegation teilnehmen.
Die Linde trägt jetzt ihre frischen Blätter wie ein Festkleid. Auf
dem kleinen Fussweg, der zu ihr führt, hatten wir sie immer vor Augen.
Rundum gab es umgebrochene Erde, aber auch Brachland mit verdorrten
Pflanzen. Hier sahen wir schlafende, ruhende Erde und einen jungen Baum,
der die Auferstehung seines Blattwerks feierte.
Später brachte ich meinen Eltern den Palmzweig aus der Kirche aufs
Grab. Und wie jedesmal gehört ein Rundgang in diesem grossen und
geschichtsträchtigen Friedhof Sihlfeld dazu. Neben Grabzeichen
und Skulpturen beherbergt er viele, auch seltene Parkbäume und
Sträucher. Grossflächig angepflanzte Stiefmütterchen bringen Farbe ins
Bild. Jedes in sich geschlossene Erdgräberfeld trägt eine eigene Farbe.
Französisch heissen die Stiefmütterchen „pensées“, also Gedanken. Und im Dialekt, hier in Zürich, nennen wir sie „Dänkeli“. Kleine Gedanken?
Auf diesem Spaziergang dachte ich ans Erwachen im Garten Eden, wie
es die Märchen schildern. Den Frühling so zu schauen, wenn er erst
wenige Tage alt ist, verzaubert. Im Hinterkopf sassen immer noch Bilder
von laublosen Bäumen.
Ich wunderte mich über die vielen umgegrabenen Gräberfelder, die jetzt zu Rasenflächen geworden sind. Primo kannte den Grund. Der Trend gehe neuerdings Richtung Kremation, und die Asche beanspruche weniger Platz als die Erdbestattung.
Mehr noch wunderte ich mich über die jungen Menschen, die diese
Wiesen jetzt benützen, auf ihnen „plegeren“ (herumliegen). Diese
Eroberung sehe ich nicht gern. Wohl kann ich verstehen, dass Menschen
aus Hochhäusern einen Flecken Grün suchen. Doch, bleiben sie so ruhig,
wie es hier verlangt wird? Auf einer Hinweistafel wird die Ruhe
vorgeschrieben, ebenso darauf hingewiesen, dass der Aufenthalt im
Badekleid verboten sei. An diesem Sonntag erlebten wir wohltuende
Stille. Eindruck machte mir ein junger Vater, der sich unter den
schweren Ästen eines Parkbaumes wie in einer kleinen Wohnung
eingerichtet hatte. Angelehnt an den Kinderwagen, hielt er sein
neugeborenes, noch tief schlafendes Kind im Arm.
Ob diese Idylle auch in kommenden Monaten noch besteht? Ich
zweifle. Jede Ordnung und jede Regelung werden doch heute durchbrochen
und ausgereizt.
Und doch hoffe ich, dass dem Friedhof Ruhe und Frieden erhalten
bleiben. Nicht nur für die Toten. Auch Zürich sollte sich einen ganz und
gar ruhigen Ort bewahren.