Letzte Woche traf ich zufällig auf einen ehemaligen Nachbarn von
Zürich-West. Wir plauderten, und beim Adiö-Sagen fragte er mich, welche
Blumen ich am meisten liebe. Er möchte mir an den neuen Wohnort Blumen
schicken. „Natürliche Blumen, nichts Pompöses, nichts Künstliches!“ Da seufzte er. Er sagte dann, es könne schon eine Weile dauern, bis ich sie erhalte.
Gestern besuchten uns Freunde und brachten die Symbole Brot und
Salz in die neue Wohnung, damit uns diese Grundnahrungsmittel nie
ausgehen würden. Und dazu gehörte auch ein kleines Blumenarrangement
putziger Art. Geschniegelt und zu einer Kuppe gebunden und aus der Mitte
herausragend eine stramme Kornähre.
Solche Gebinde erwecken mein Mitleid. Die individuellen Naturen der
Blumen werden nicht berücksichtigt. Sie sind in ein enges Korsett
gebunden und müssen am Platz bleiben, weil sonst die Gesamtform
zerfallen würde. Meist lasse ich ein solches Geschenk einen Tag und eine
Nacht so stehen. Dann aber löse ich die Schnur oder die Stengel aus dem
Kunststoffmaterial, in das sie gesteckt worden sind. Und ich stelle die
Blumen in eine Vase, gerade so, wie ich es als Kind mit den Blumen aus
der Wiese gemacht habe. Da kann ich dann rasch feststellen, wie sie sich
ganz persönlich entfalten. Von der Kuppe ist sofort nichts mehr zu
sehen. Die Natur darf sich zeigen, wie sie ist. Das Zusammenspiel von
Blumen verschiedenster Art und Herkunft wird zur Augenweide. Der Bezug
zu uns Menschen ist naheliegend. Auch wir brauchen einen persönlichen
Freiraum, um die Talente einzubringen, die in uns stecken.
Floristinnen und Floristen mögen mir verzeihen, dass ich ihrer Blumenbindekunst kritisch gegenüberstehe.
Ähnliche Erfahrungen machte ich vor Jahren mit Holz. Primo brauchte
für einen grossen Auftrag Akazienholz. Wir konnten es in Norditalien
finden. Seine Freude war gross. Farbe und Struktur für ihn eine
Entdeckung. Sobald dieses im Süden gewachsene Holz in Zürich eintraf,
wurde es aufgeschnitten und gehobelt. In seiner Begeisterung wollte es
Primo sofort mit anderen Hölzern kombinieren. Er fügte einen
Akazien-Abschnitt von 5 x 7 cm mit 2 anderen, etwa gleich grossen
Hölzern zusammen und umfasste das Gebilde mit einem 7 mm breiten Rahmen
aus Birnbaumholz. Die Akazie durfte Mittelpunkt sein. Links und rechts
je ein Obstbaumholz, abgetrennt mit einem dunklen Nussbaum-Furnier, der
das südliche Holz noch mehr herausheben sollte. Dieses dreiteilige
Objekt schenkte er mir als schöne Erinnerung an eine spannende Holzsuche
im südlichen Nachbarland. Ich freute mich.
Die Signatur im Rahmen und das Datum 15-7-81 informiert über das
derzeitige Alter dieses Objekts. Beinahe 27 Jahre. Schon bald nach der
Herstellung zeigte sich ein Riss im Bereich des dünnen
Nussbaum-Furniers, und wir verstanden den Wink. Es waren da drei
verschiedene Hölzer, an verschiedensten Orten aufgewachsen, verschieden
lange gelagert, verschieden ihre innere Feuchtigkeit, rücksichtslos
zusammengefügt worden. Der Birnbaum-Rahmen, der sich bis heute als
unverrückbar erweist, wurde für die Hölzer zu einem Gefängnis, die
Spannung so gross, dass sie das Holz zerriss. Durch den Spalt kann
mittlerweile ein 10-Rappenstück mühelos durchgeschoben werden. Es war
eine Lehre fürs Berufsleben. Der Schreiner muss darauf achten, dass er
in seinen Konstruktionen dem Holz immer einen gewissen Bewegungsraum
zugesteht, damit es schwinden und wachsen kann.
Dieses kleine Objekt zeigte ich Mitte Juni in der Gruppe „60 plus“ im Kreis 5 der Stadt Zürich, als Primo und ich eingeladen waren, einen so genannten „kleinen Kulturtag“ zum Thema „Holz und Papier“ zu gestalten.
Dass Spannungen zu Rissen führen, verstanden die Anwesenden, als
ich mein hölzernes Schaustück zeigte. Als ich dann auf den Rahmen als
eine strenge Ordnung verwies, ging ein Raunen durch die Zuhörenden, wie
man es nicht oft erlebt.
Spannungen aushalten müssen wir alle. Wenn aber das Mass die innere
Flexibilität übersteigt, dann gibt es Risse. Dort wo wir am schwächsten
sind. Unsere Ordnungen sollten so eingerichtet sein, dass sie einen
minimalen Bewegungsraum ermöglichen. Auch Menschen wachsen und
schwinden.
So erteilt die Natur ihre Lehren. Alles Lebendige braucht einen
gewissen Spielraum. Auch wir Menschen in unseren Beziehungen, im Staat,
am Arbeitsplatz, auch innerhalb der Religion, aber ganz speziell im
eigenen Denken.
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