Vorgestern habe ich mein Velo zur Revision zu „meinem“
Velomechaniker nach Zürich-Wipkingen gefahren und mich dabei gefragt, wo
ich es einmal flicken lasse, wenn es nicht mehr fahrtüchtig sei. Von
der Bernoulli-Siedlung in Zürich-West aus konnte ich das Rad problemlos
in seinen Herstellungs-Stall bringen. Zu Fuss. Von Zürich-Altstetten her
wäre das anstrengender. Der Weg würde gewiss eine Stunde beanspruchen.
Im Notfall nähme ich ihn selbstverständlich in Kauf. Ich wurde immer
sehr gut bedient. Solche Beziehungen sind viel Wert, können aber nach
einem Wohnungswechsel plötzlich unerreichbar werden.
Besser sind die Aussichten, dem Coiffeur treu zu bleiben. Auch auf
diese langjährigen Dienste möchte ich nicht verzichten. Im beinahe
spartanisch eingerichteten Geschäft von Herrn S. fühle ich mich wohl.
Hier ist alles echt. Es wird keine Glamourwelt vorgetäuscht. Und der
Mann, der Haare schneidet oder solche färbt, ist ein Künstler. Trotzdem
kann er gut auf Wünsche eingehen, will nicht nur seine Vorstellungen
umsetzen. Bewundert wird er auch, wie er sich kleidet. Farben und Formen
sind ihm wichtig, und er setzt voraus, dass sie es auch für die Kunden
sind. Bevor er zu schneiden beginnt, hält er einem eine Beige
verschieden farbige Umhänge hin. Die Kunden dürfen wählen, wie sie sich
3/4 Stunden lang im Spiegel anschauen wollen.
Gestern habe ich einen cremefarbenen Stoff mit einem eingewobenen
Streifenmuster gewünscht. S. kommentiert die Wahl manchmal. Diesmal
nicht. Er schien mir aussergewöhnlich schweigsam, schon als er mich
begrüsste. Da beschloss ich, auch stille zu sein. Sonst lachen wir gerne
miteinander. Er hatte gerade 2 Schnitte in mein Haar gemacht, als sich
die Tür öffnete und eine Frau eintrat. S. ging zum Kalender, kehrte
zurück, schnitt weiter. Ich fragte sofort, ob etwas nicht in Ordnung
sei. Er schien irritiert. Ja! Stimmen die Termine nicht? Ja! Der meine
vielleicht? Ja! War er darum schon bei meinem Eintritt beunruhigt, weil
er eine andere Person erwartete?
Hoppla. Ich sei auf 16 h eingetragen. Ich könne den Sessel sofort
räumen und in einer Stunde wieder kommen, offerierte ich. Da war er
erleichtert und die eben erschienene Kundin auch. Ich erinnerte mich,
dass es schwierig war, einen Termin zu bekommen. Aber wo der Fehler lag,
war jetzt nicht wichtig. Wir vergeudeten keine Zeit, um das
herauszufinden. Ich wusste schon, wie ich diese Zwischenstunde
verbringen konnte und räumte den Platz. Herr S. versicherte mir noch,
dass die paar Schnitte im Haar nicht ersichtlich seien.
Punkt 16 h war ich zurück und erlebte gerade mit, wie sich die
Kundin erhob und die Dienste bezahlte. Als sie mich sah, fischte sie aus
der Tiefe ihrer Einkaufstasche ein Stück Lavendel-Seife „Saponet
Natura“ aus Indemini im Tessin und dankte mir, dass ihr Coiffeur-Termin
eingehalten werden konnte. Damit bewies sie mir, dass sich in Herr S.
Geschäft vornehmlich Kunden einfinden, die wie er alles Naturbelassene
lieben. Da gehöre ich ja auch dazu.
Dann konnte ich mich setzen. Erstaunlicherweise wurden mir die
Stoffumhänge jetzt nicht zur Auswahl präsentiert. Er wählte. Rot! Galt
es ihm oder mir? Ich vermute: Uns beiden!
Informationen über die Seifen-Herstellung in Indemini: www.seifen-handwerk.ch
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen