Was inspiriert zu Blogs? So werde ich öfters gefragt. Eine
einheitliche Antwort gibt es selbstverständlich nicht. Am 5. Juni 2008
verlief das so: Ich verabschiedete mich für eine kleine Reise nach St.
Gallen. Da wünschte mir Letizia lustige Erlebnisse in der Bahn, damit ich darüber schreiben könne.
Ich fuhr in Zürich weg, als die Pendler schon an ihren
Arbeitsplätzen eingetroffen waren. Es war still im Bahnwagen, in dem ich
meinem Ziel entgegenfuhr. Es regnete. Die Landschaft trank das frische
Wasser, und darum strahlten die Wiesen trotz dunklem Himmel frisch grün.
Weder sah ich etwas aufregend Schönes noch ergaben sich Gespräche. Es
war „nur“ eine meditative Zeit für mich. Auch das Säntis-Massiv durfte
ich heute nicht entdecken.
In St. Gallen erwartete mich Rosmarie, die ich in jungen
Jahren in Paris kennen gelernt hatte. Wir hatten uns viele Jahre aus den
Augen verloren. Nur dank der Zeitschrift „Natürlich“, damals noch von
Walter Hess redigiert, fand sie mich wieder. Sie hatte ein Foto von mir
entdeckt und meldete sich sofort. Seither ist der Kontakt wieder da, und
ich bin dankbar dafür. Es ist ja nicht selbstverständlich, dass wir
einander nach langer Zeit erzählen können, wie gemeinsame Erlebnisse in
der Fremde wirkten und bis heute als kostbare Erinnerungen gehütet
werden.
Rosmarie informierte mich gleich nach der Ankunft, heute sei ein
besonderer Tag. Der 5. Juni 2008? Am 05.06.1958 sei sie in Paris
eingetroffen. Auch sie fand eine Anstellung in einem kaufmännischen
Betrieb, wo sie ebenfalls als Stagiaire angestellt wurde. Der heutige
Tag also eine Art Jubiläum. Vor 50 Jahren lernten wir uns im
„Schweizerischen Kaufmännischen Verein“ in Paris kennen. Wir besuchten
die gleichen Sprachkurse, die dort von französischen Lehrpersonen
erteilt wurden.
Hier in St. Gallen gab es wieder viel zu erzählen. Auch ihr
humorvoller Ehemann beteiligte sich daran. Zum Abschluss entführte mich
Rosmarie noch auf die Anhöhe, wo sich die Dreilinden-Weiher befinden,
die zu den schönsten Naturbädern der Schweiz gehören. Und von dort aus
konnte ich erstmals die Ausmasse der Stadt St. Gallen überblicken. Eine
echte Horizonterweiterung.
Auf der Rückfahrt, kurz vor Zürich, dachte ich, Letizias Wunsch
habe sich nicht erfüllt. Auch auf dieser Fahrt fing ich nichts auf,
worüber es sich zu berichten lohnen würde.
Dann, in der S-Bahn ab Zürich-Hauptbahnhof nach Zürich-Altstetten,
sass mir ein verliebtes junges Paar schräg gegenüber, das ich nicht
übersehen konnte. Die beiden strahlten. Es gab nur ihre Welt. Es sah
aus, als ob sie von einer einzigen goldenen Aura umgeben wären. Da hörte
ich die junge Frau fragen: „Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Rabe und Krähe?“ Der Mann überlegte nicht lange und sagte: „Krähe nennen wir den Raben im Dialekt. Rabe heisst der Vogel in der Schriftsprache.“
Die Stirn der Frau runzelte sich. Sie fragte weiter, warum wir denn
nur von Raben- und nicht auch von Krähenmüttern sprächen. Der Mann
fühlte sich ertappt, hatte zu schnell einen Schluss gezogen, aber er
lachte und war offensichtlich fasziniert, wie die Frau einer Sache auf
den Grund ging. Leider war ich da schon in Altstetten angekommen und
konnte ihren Gedanken nicht mehr weiter folgen. Ich nahm mir aber vor,
zu Hause in einem dafür zuständigen Lexikon nach einer sanktionierten
Antwort zu forschen. Dort wurde ich fündig. Krähen seien „mittelgrosse
Raben“ heisst es im „Deutschen Wörterbuch“ von Gerhard Wahrig.
Anderntags wartete Primo mit einer Rabengeschichte auf. Er
erzählte, dass er früh morgens vom Küchenfenster aus einen Raben
beobachtet habe, der ein kleines, seltsames Gefährt auf der Wiese vor
unserer Wohnung vor sich herschob. Es war aber ein Igel, den er
verscheuchen wollte. Auf ihn einhackend, aber ihn doch nicht berührend,
schickte er ihn heim. Primo schaute lange zu und weiss jetzt, wo der
Igel wohnt.
Und ich möchte jetzt noch wissen, ob es sich bei den Vögeln, die
sich täglich vor unseren Augen tummeln, auch wirklich um Raben handelt
und nicht um Krähen. Danke der jungen Frau für ihre Anregung, Antworten
immer noch zu überprüfen. Auch ich ziehe manchmal zu schnell einen
Schluss.
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