Samstagmorgen. Ich verlasse das Haus etwas nach 8 Uhr. Es ist
erstaunlich still. Wohltuend. Wieder einmal fühle ich mich in
Zürich-Altstetten in den Ferien. Heute ist es besonders ruhig. Die
Festfreudigen der Fussball-Euro2008 können ausschlafen. An vielen
Häusern hängen locker verstreut Flaggen europäischer Nationen. Es ist
windstill. Es bewegt sich nichts. Auch die Bäume stehen stoisch da. Am
Himmel hängen flockige Wolken, die sich noch auflösen werden. Ein
Flugzeug überfliegt, angenehm hoch, unser Wohngebiet. Ich bin allein
unterwegs.
Ich fahre mit dem Velo zum Bauernhof am Pestalozziweg und hole
Milch. Wenn ich die Stadtgrenze erreicht habe, denke ich jedesmal an Lisbeth. Sie wohnt in Schlieren, unten im Limmattal. Sie spricht vom „erlösenden Moment“,
wenn sie hier oben angekommen ist und die Hektik der Stadt zurücklassen
kann. Hier atmet das Leben anders. Die Luft ist frisch. Und das Land
gehört der Landwirtschaft. Keine Architektur stört das Landschaftsbild.
Hier darf die Erde Lebensnotwendiges hervorbringen.
Kurz bevor ich zum Pestalozzi-Hof abbiege, werde ich auf einen Mann
aufmerksam. Er schläft am Rand des Kornfelds auf jener Bank, die schon
manche Wanderer ausruhen liess. Zusammengekauert liegt er da, atmet
ruhig, wird vom Erlebten träumen und die Emotionen verarbeiten. Auch er
war mit dem Rad unterwegs. Dieses ist gesichert, an der Bank gut
angebunden. Die um die aufrechte Sattelstange am Velorahmen befestigte
Flagge weist ihn als Franzosen oder Fan der französischen
Nationalmannschaft aus.
Tief versunken schläft er. Daunenjacke, Sonnenbrille und Filzhut
und seine Eigenwärme schützen ihn. Und doch ist er in meinen Augen
schutzlos und ausgeliefert, solange er schläft. Woher kam er? Wohin muss
er noch zurückkehren? Hatte er den Match Frankreich gegen Holland
miterleben wollen, der im Stade de Suisse Wankdorf Bern ausgetragen
worden ist? Meine Fragen bleiben unbeantwortet. Ich fahre heim, mache
mir keine Sorgen um ihn.
Auf dem Rückweg erledige ich noch Einkäufe bei Coop am
Suteracher. Als ich diese nach der Kasse einpacke, bemerke ich eine Frau
meines Alters, die meldet, seit sie hier gewesen sei, fehle ihr das
Portemonnaie. Sie zeigt 2 Tafeln Schokoladen, die sie vor wenigen
Minuten hier bezahlt habe. Die kleine Tasche für den Hausschlüssel und
das Portemonnaie hält sie in Händen. Der Geldbeutel fehlt.
Das Personal kann ihr nicht helfen. Das Fach, wo die Funde
aufbewahrt werden, ist leer. Diebstahl? In solchen Augenblicken ist das
immer die nächstliegende Frage.
Zusammen verlassen wir den Laden. Plötzlich fällt mir auf, wie sich
der Stoff im Umfeld ihrer Manteltasche wölbt, und ich frage sie, ob das
Portemonnaie vielleicht da drinnen sei. Oh ja! Nun ist die Ordnung
wieder hergestellt. Alle Verdächtigten sind entlastet. Und das Personal
ist über den Fund erfreut.
Ich bin über mich selbst erstaunt, dass ich so etwas bemerkt habe,
weiss aber, dass die Frau auch ohne mich, spätestens dann zu Hause, ihr
Portemonnaie wieder gefunden hätte.
Und jetzt hoffe ich noch, dass der Franzose ausgeruht aufgewacht
ist, alle seine Habseligkeiten vorgefunden, und die Heimreise frisch
gestärkt angetreten hat und hoffentlich unversehrt bei sich zu Hause
angekommen ist.
Dann sind wir alle wieder an unseren Plätzen. Die Dinge und die Menschen auch.
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