Mit Primo war ich auf der Strecke Zürich‒Uster unterwegs. Ab
Stadelhofen setzte sich ein junger Mann zu uns ins Abteil. Das Notebook
auf den Knien, ein Sandwichpaket in Händen. Hungrig biss er ins Brot
und stutzte. „Was habe ich da gekauft?“ sagte er gut hörbar zu sich
selbst. Wie es sich dann herausstellte, hatte er an einem Kiosk ein
Sandwich aus der Rubrik „Poulet“ gewählt und war jetzt über die
Konsistenz des angeblichen Hühnerfleisches erstaunt. Dieses hier hatte
gar keinen Biss, war nur eine Pasta. Während er die Informationen auf
der Verpackung las, kaute er weiter, war aber unsicher, ob ihm diese
Nahrung zuträglich sei. Ironisch zitierte er: „Formbares
Fleisch-Erzeugnis.“
Wir lachten. Ich dachte: Dieser Mann kennt die reelle Nahrung. Und
dann ergab ein Wort das andere. Ich erinnerte mich an das „Kiewer-Huhn“
das ich in Istanbul gegessen hatte und erzählte davon. Für eine grosse
Gesellschaft wurde dort Hühnerfleisch durch den Fleischwolf getrieben
und zu künstlichen Pouletschenkeln portioniert. Auf diese Art musste
niemand an den Knochen nagen, und alle Gäste bekamen gleichmässig viel
zu essen.
Dann erinnerte ich mich an die Einflüsse der Astronauten-Nahrung,
die für den 1. Flug zum Mond erfunden wurde. Ich habe den Namen jenes
getrockneten Produktes vergessen, das wir im Wasser aufquellen liessen,
es ebenfalls durch den Fleischwolf drehten und dann wie gehacktes
Rindfleisch verarbeiteten. Es war auch für mich ein Experiment, aber nur
für kurze Zeit. Es war mir zu künstlich, nicht lebendig. Ob sich dieses
noch auf dem Markt befindet, weiss ich nicht.
Primo vollzog dann Gedankensprünge zu weiteren Errungenschaften und landete bei George Orwells „Grossem Bruder“,
dem vermeintlich unsichtbaren Überwacher. Als wir jung waren, sprachen
wir oft von der Gefahr, dass unsere Nachfahren einst sofort nach der
Geburt mit einem Chip ausgerüstet würden, der die Überwachung sichere.
Wir stellten uns vor, dass dieser hinter dem Ohr implantiert würde. Und
heute? Hunde tragen schon solche Chips, auch Schafe. Wenn sie auch
Kindern eingesetzt würden, müssten sie gar nicht mehr zur Schule. Man
könnte ihnen den Schulstoff ferngesteuert eintrichtern. Und jener Mann,
der vergangene Woche im Vierwaldstättersee ertrunken ist, hätte man
rasch finden können. Obwohl diese Gedankenblitze nichts anderes als ein
heiteres, etwas überdrehtes Gespräch und ein Pingpong sein wollten,
sagte der junge Mann etwas nachdenklich, alles habe auch seine guten
Seiten. Und ich fragte, wie auch schon früher, wer denn ein solches
System lenken dürfte.
Dann war seine Fahrt zu Ende. Mit der Papierserviette wischte er
noch die Oberlippe ab, lobte den Humor, dankte für die Unterhaltung und
verabschiedete sich. Und an der nächsten Station waren auch wir an
unserem Ziel angekommen.
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