Der Ort Mathon gehört zur Region Schamserberg in Graubünden und
liegt auf 1527 Metern Höhe ü. M. Wir erreichten ihn mit der Bahn über
Chur und Thusis und mit dem Postauto über Zillis. Ab Zillis werden 500
Höhenmeter innerhalb einer halben Stunde überwunden (bitte beachten Sie
dazu auch die im Anhang verlinkten Blogs von Walter Hess). Mit uns
reisten Felicitas, unsere ältere Tochter, und ihre beiden Kinder. Übers Wochenende besuchte uns Letizia und vervollständigte unsere Familie.
Mathon ist, was wir vermuteten, ein Geheimtipp, ein unverfälschter
Ort in der Schweiz. 57 Einwohner und etliche Feriengäste beleben ihn. Er
verzeichnet pro Jahr ungefähr 5000 Logiernächte. 8 Bauernbetriebe
sorgen sich um die eindrückliche Landschaft und halten sie gesund. Hier
gibt es sogar noch eine Post und einen VOLG-Lebensmittelladen.
Hier oben waren wir auf Du mit Bergen und Alpen, erlebten unzählige
Modulationen von Nebel und Licht. Es machte Spass, den Nebelbänken
zuzuschauen, wie sie sich vorwärts bewegten und den Bergmassiven entlang
schlichen. Manchmal befanden wir uns selbst in der Wolke, was vor allem
der 5-jährigen Mena gefiel. Meist aber beobachteten wir die
Stimmung und die Alpen mit ihren vielen „Dahinter“ von unserem von der
Natur geschaffenen Balkon aus. Hier oben wurde einem nicht bang. Der
Raum zwischen den Bergen ist weit. Unten im Tal führt die Strasse zum
San Bernardino. Kein Tag präsentierte sein Licht und seine Farben wie
der vorangegangene. Wir hatten Zeit zum Schauen, fühlten uns wohl und
beschenkt. Der zeitweilige Regen störte uns nicht. Auch er gehörte zum
Geschehen.
In Mathon wuchs der rätoromanische Liederkomponist, Lehrer und Erzähler Tumasch Dolf
auf. Sein aussergewöhnliches Elternhaus fiel mir schon am ersten Tag
auf. In Mathon sind zudem mehrere prächtige Scheunen in der Blockbau-Art
zu bewundern. Einige tragen Braun, ganz alte Grau. Ihr Silber strahlt
aus und symbolisiert das Alter in Würde. Ich fragte mich immer wieder,
wie die Bauleute diese prächtigen Baumstämme ohne technische Hilfsmittel
aufeinander schichten konnten. Es müssen Bärenkräfte vorhanden gewesen
sein.
Eine Gedenktafel am Geburtsthaus von Tumasch Dolf verweist in
surselvischem Romanisch auf die Herkunft des Mathoner Künstlers. Es
heisst da in deutscher Übersetzung, die ich seinem kleinen
Erzählband „Meine Geige“ entnehme:
Elternhaus von
Tumasch Dolf
1889–1963
Komponist und romanischer Schriftsteller
Sammler von Volksliedern
Die schlichten Erzählungen seiner Kindheit öffneten mir sogleich
den Zugang zu diesem Ort, seinem Wesen und den Blick rückwärts in eine
Zeit, in der von allen viel körperliche Leistung und ein übergrosser
Durchhaltewille gefordert wurden. Tumasch berichtet da beispielsweise
von seinem ersten Gang nach Thusis. 7- oder 8-jährig muss er gewesen
sein, als er den Vater dorthin begleiten durfte. Die Kuh Bregna
wurde verkauft und sollte abgeliefert werden. Man stelle sich vor: Die
beiden machten sich vor dem Morgengrauen auf den Weg, die Kuh an ihrer
Seite, führten diese zum Käufer nach Thusis und kamen am selben Tag, in
tiefer Nacht, auch wieder zu Fuss, zurück. Kein Wunder, dass der Bub
total erschöpft war und auf dem letzten Wegstück mit seinen 500 Metern
Steigung nicht mehr weitergehen wollte.
Eine andere Geschichte behandelt die Weihnachtsfeier in Plambi
(heute nennt sich der Ort Lohn). Da sah der Erzähler erstmals einen
Christbaum. Er war innerhalb einer Schar Schüler und Schülerinnen aus
Mathon zur Feier in die Kirche gekommen. Sie trafen viel zu früh ein,
klopften wegen der grossen Kälte bei einem alten Geschwisterpaar an, das
sie aufnahm und ihnen von ihrem Wenigen, das sie besassen, austeilte.
Eine Schnitte Brot, bestrichen mit Kastanienhonig. Tumasch sinniert beim
Erzählen, dass die beiden Alten vielleicht nur dieses eine Brot und nur
diesen Honig besassen und ihnen trotzdem grossmütig verteilten. Solche
Haltung kenne ich auch von meinen Vorfahren und darum bin ich in
innersten Schichten angesprochen. Wer solche wahre Geschichten mag, dem
sei das folgende Taschenbuch empfohlen:
Tumasch Dolf: „Meine Geige“, Erzählungen, Pano Verlag Zürich
In weiteren Beiträgen werde ich wieder von Mathon berichten.
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