Das Dach eines unserer Reihenhäuser an der Hardturmstrasse in Zürich
wird renoviert. Die Ziegel werden abgetragen und eine neue Isolation
eingesetzt. Von meinem Arbeitsplatz im 1. Stock kann ich den Männern bei
der Arbeit zuschauen. Ich bewundere die Leichtigkeit und Sicherheit,
mit der sie sich bewegen und einander die Ziegel zuwerfen.
Dann wende ich mich wieder meiner Arbeit zu. Und doch nimmt meine
linke Gesichtshälfte alle Bewegungen dieser Arbeiter wahr, obwohl ich
mich doch auf den Bildschirm konzentriere. Männer auf dem Dach vis-à-vis
und Bewegungen dort oben sind eben ungewohnt. Auf einmal „sehe“ ich rot
und schaue auf. Da kann ich beobachten, wie einer der Dachdecker
sorgsam eine Schweizer Fahne aus der Seitenwand der Lukarne herauszieht.
Jetzt rollt er sie auf und bewegt sie leicht, schaut den Stoffwellen
nach. Wie feinfühlig er das macht! Dann nimmt er den Hammer in die Hand,
holt aus der Hosentasche einen Nagel und befestigt die Fahne am
obersten Punkt des Giebelfensters. Dann strahlt er. Er weiss gar nicht,
dass er beobachtet wird.
Nun öffne ich mein Fenster und rufe herüber: „Super!“ Er lacht. Er
hoffe noch auf ein kleines Aufrichtefest. Diese Fahne diene nun als
Aufrichtebaum. Der Mann spricht gebrochen deutsch. Dass er die Fahne
beinahe liebkost hat, heisst vielleicht, dass er das Schweizer
Bürgerrecht bekommen hat oder dass er froh ist, hier arbeiten zu können.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen