Samstag, 22. März 2008

Meine Liebesgeschichte, Bäumen und dem Holz gewidmet

Wenn ich durch den Wald gehe, wird mir bewusst, wie mir die Bäume halfen, das Leben zu verstehen. Mein Aufsatz dazu  ist im Juni 2007 in der Zeitschrift „Frauen-Forum“ erschienen; doch hat er seine Aktualität behalten.
 
Mein Elternhaus stand neben einer Sägerei. Von Kindsbeinen an bin ich mit dem Duft von Sägemehl und austretendem Harz vertraut. Vielleicht begründete gerade diese Nachbarschaft später dann die Ehe mit einem passionierten Möbelschreiner und Holzkünstler, weil auch er diese Holzaura ständig um sich trug.
 
Zuerst war also das Holz. Die Bäume mit ihren Lebensgeschichten kamen später dazu. Am Anfang bewunderte ich einfach, wie abgeholzte Stämme in die Werkstatt kamen, aufgeschnitten wurden, betörende Düfte verbreiteten und zu wertvollen Gegenständen verarbeitet wurden. Je länger ich aber miterleben durfte, wie schön und vielfältig Holz ist, desto mehr fühlte ich mich in dieses über Jahrzehnte gewachsene Material ein. Ich widmete mich den Stämmen mit ihren Jahrringen und entdeckte auch die Blume im Herzen der Eiche. Ich fing an, mehr zu sehen als den Stamm, mehr zu hören als den Holznamen.
 
Die Arbeit mit Holz ist anspruchsvoll, denn dieses Material ist keine dichte Masse. Es hat einen zelligen Bau und ist von unzähligen Hohlräumen durchzogen, die Feuchtigkeit aufnehmen und abgeben können. Darum reagiert es empfindlich auf die jeweils herrschende Luftfeuchtigkeit. Wenn ihm Widerstand entgegengebracht wird, reisst es. Der Schreiner muss mit diesen Gesetzmässigkeiten so umgehen, dass das Holz mitmacht, in einer ihm zugedachten Form zu verbleiben. Gleichzeitig muss ihm eine gewisse Bewegungsfreiheit garantiert werden.
 
Unser Handwerksbetrieb, bald 50-jährig, ist ein Auslaufmodell. Die Technik hat auch den Schreinerberuf revolutioniert. Sie nimmt dem Menschen viele Arbeitsschritte ab. Das Produkt ist schneller hergestellt und kostet weniger. Doch fehlt ihm nach meiner Sicht die Seele. Eine Maschine bringt etwas anderes hervor als der Mensch, der seine persönliche Energie einsetzt, das Material berührt und formt. Nun ist der Schreiner aber ein Techniker geworden. Er kann programmieren, dass es fräst und bohrt und schneidet. Berührungen finden nur noch wenige statt. Der Sägestaub wird in der modernen Schreinerei automatisch abgesaugt. Wir liebten den Rausch von Aromen, die beim Hobeln aus den Hölzern aufstiegen. Vorbei. Nüchtern, steril, gesund soll die Werkstatt sein.
 
Heute richtet sich alles nach der Wirtschaftlichkeit. Zeit ist Geld. Einst wurden Bäume nur im Winter gefällt, wenn sich die Säfte im Holz zurückgezogen hatten. Jetzt wird ganzjährig Holz geschlagen und in den Handel gebracht. Auch die natürlichen Trocknungszeiten werden vielerorts umgangen. Dampfgruben und Trocknungsanlagen überwältigen das Leben im Holz und wollen lange dauernde Lagerung im Freien ersetzen. Und Waldbesitzer klagen. Ein Baum beansprucht während 50‒100 Jahren einen Quadratmeter Boden, der keinen Handelswert abwirft. Wird der Baum dann gefällt, summieren sich die Kosten für das Fällen, den Transport, den Sägelohn und Lagerplatz und können kaum mehr mit dem Erlös des Holzes gedeckt werden. Die Schreiner wiederum sind unter Druck, weil der Kunde von heute preisbewusst ist und sich an den über verschiedene Erdteile hingeworfenen Billigmöbeln orientiert. Die Einzelanfertigung eines Möbels aus einheimischem Holz kann nur noch eine begüterte Schicht bezahlen.
 
Diese Entwicklung stimmt mich nachdenklich. Ich habe in der langen Zeit meiner Mitarbeit in unserer Schreinerei eine enge Beziehung zum Holz und zu den Bäumen entwickelt. Die Art, wie der Baum aufwächst, gross und stark wird, blüht, fruchtet und später auch altert und stirbt, entspricht für mich unserem menschlichen Dasein. Auch der Baum muss um seine Existenz ringen, seine Nahrung finden. Er muss sich mit Nachbarn arrangieren und den eigenen Platz behaupten. Er erlebt Nähe und Enge wie wir. Er kennt Sturm und Wind, und mancher Baum fühlt sich an seinem Ort nicht einmal wohl. Da sehen wir dann Bäume, die wie Tänzer aussehen und all zu grosser Unruhe im Wurzelbereich ausweichen wollen. Und alle drängen zum Licht. Im Atemaustausch kommt unsere enge Verbindung aufs Schönste zum Tragen. Was wir ausatmen, wandeln sie in Sauerstoff um.
 
Ich betrachte Bäume auch gerne mit Abstand. Auf Reisen mit der Bahn folge ich ihren Silhouetten. Ich bewundere jene, die auf den Kreten stehen, die Wind und Wetter aushalten, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, beneide sie um ihre Aussicht und Übersicht. In der Nähe ist mir die Espe lieb, wenn sie zittert und sirrt. So reagiert meine Innenwelt, wenn sie berührt wird.

Donnerstag, 13. März 2008

Die Tücken der Technik: Der geheimnisvolle Telefonanruf

Wir sassen nach dem Mittagessen in der Stube, als das Telefon läutete. Ich meldete mich. Es antwortete mir niemand. Es raschelte. Dann hörte ich Frauenstimmen, einmal von nahe, dann wieder entfernt. Ich verstand einzelne Worte, zum Beispiel Reuss und Rhein, beides Namen von Flüssen, die in der Schweiz beheimatet sind.
 
Ich hörte längere Zeit zu, um herauszufinden, was sich hier abspiele. Ich stellte mir dann vor, dass ich in einer diskutierenden Frauenrunde angekommen war. Eine Stimme kam mir bekannt vor. Ich übergab Primo das Telefon und fragte ihn, ob das nicht Erikas Stimme sei. Könnte sein!
 
Am Abend rief ich sie dann an. Sie ist eine meiner Cousinen mütterlicherseits. Eine sozial engagierte Frau, die in ihrem Dorf viel bewirkt hat. Auf sie könnte also ein Gespräch, wie ich es von weit her mitverfolgt habe, zutreffen. Ich wollte wissen: „Hattest du heute ein Gespräch mit Frauen, in dem die Flüsse der Schweiz ein Thema waren?“  „Nein!“ sagte sie mit ihrer starken Stimme. „Ich habe meiner Enkelin bei den Schulaufgaben geholfen. Wir beschäftigten uns mit dem Quellgebiet der Flüsse.“ Der Zeitpunkt, als bei mir das Telefon geläutet hatte, passte exakt in den Zeitraum dieser Aufgabenhilfe hinein.
 
Weiter erfuhr ich, dass Erikas Natel in der Mitte des Tisches gelegen habe, an dem gearbeitet wurde. Ja, sie hätte vorher noch ein Telefongespräch mit ihrem Sohn geführt. Und vermutlich jene Taste nicht gedrückt, die das Gespräch definitiv abbricht.
 
Ja, auf dem Tisch hätten sich verschiedene Bücher und Hefte befunden, hörte ich weiter. Vielleicht wurde beim Umblättern eines schweren Buches unbemerkt die Anruftaste gedrückt. Alles Vermutungen, die wir erklären konnten. Was aber ein Geheimnis bleibt ist die Tatsache, dass Erika versichert, meine Telefon-Nummer noch nie gespeichert zu haben.
 
Und jetzt hoffe ich nur, dass ich meine eigenen Telefongespräche korrekt beende. Seit vorgestern besitze ich ein neues Telefongerät. Dieses befindet sich noch im Stadium des „Ersten Ladens und Entladens des Akkus“ und soll deshalb noch nicht in die Station zurückgelegt werden.
 
Mache ich etwas falsch, könnte sich jemand in meine Stube verirren. Vorsorglich deponiere ich es also in einem ruhigen Zimmer, wo keine Hausaufgaben erledigt werden.

Samstag, 8. März 2008

Milch-„Gebsi“: Der spezielle Behälter für unsere Briefpost

Heute morgen bin ich im Hof mit unserem Briefträger zusammengetroffen. Ich informierte ihn gleich über unseren baldigen Umzug nach Altstetten. Und er erklärte mir, dass ich am neuen Wohnort in den selben Zustellkreis gehöre. Dort seien alles gute Leute. Ich werde sicher weiterhin zuverlässig bedient.
 
Daran habe ich gar nicht gezweifelt. Schon am ersten Tag, als ich noch nicht wusste, dass wir als Mieter an der Eugen-Huber-Strasse akzeptiert werden, bemerkte ich, dass hier die Briefpost schon vor 9 Uhr ausgetragen wird. Das deutete ich als gutes Omen.
 
Die Fäden zur Post bleiben also intakt. Jetzt nimmt es mich nur noch wunder, wo ich die eingetroffenen Briefe in Zukunft hinlegen werde. Es fehlt im neuen Zuhause noch der dafür geeignete Platz.
Seit 40 Jahren dient uns an strategisch richtigem Ort ein hölzernes Becken, „Gebsi“ genannt. (Ein Schweizer Dialektwort für Becken, Waschbecken oder Zuber). Eine Weissküferarbeit aus dem Toggenburg. Wir fanden die etwas lädierte, weggeworfene Schale auf einer damals noch rudimentären Abfalldeponie. Primo erkannte sofort die Schönheit ihrer Form. Dass das Holz an 2 Orten ausgerissen und mit Drähten zusammengehalten wurde, störte ihn nicht. Wir nahmen sie mit, sprachen noch mit den Vermietern unserer Ferienwohnung darüber und erfuhren, dass dieses „Gebsi“ zur Milchentrahmung gebraucht worden sei. Es fasste die frische Milch, die tags darauf abgesahnt werden konnte.
 
In seinen Boden waren Initialen der Besitzer eingebrannt. Und zu Hause fügte Primo diesen auch die eigenen auf gleiche Weise an. Und damit war das „Gebsi“ sozusagen zu einem Mitglied unserer Familie geworden.
 
In Zürich fing es dann alle Post auf, die noch beantwortet werden musste. Es behütete Briefe, Prospekte, Einladungen, Pläne, Visitenkarten, Notizen, oder kleine Dinge, von denen wir nicht wussten, ob wir sie behalten sollen. Und hier, in dieser Schale drin, geschah dann etwas Ähnliches wie mit der Milch. Indem die Papiere ruhten, trennte sich im übertragenen Sinn der Rahm von der Milch. Manches erledigte sich von selbst. Wichtiges wurde plötzlich erkannt. „Gebsis“ Platz auf einer Kommode am Durchgang von der Küche zur Stube war ideal. Den gibt es so jetzt nicht mehr.
 
Ich weiss noch nicht, ob wir dieser treuen Dienerin wieder einen grossräumigen Platz zuweisen können, der ihrem 45-cm-Durchmesser entspricht. Das beschäftigt mich. Wenn ich darüber schreibe, mokiere ich mich über mich selbst. Es ist ja nur ein Detail unseres gesamten Umzuges, ich weiss. Und doch ein wichtiges.
 
Während der Wohnungssuche wurde ich manchmal gefragt: „Kannst du noch schlafen?“ Ja. Das war kein Problem. Aber jetzt schlafe ich manchmal lange nicht ein, weil ich an „Gebsi“ denke. Unsere Zusammenarbeit war so wertvoll, dass ich mir nicht vorstellen kann, sie einfach in Pension zu schicken.

Sonntag, 24. Februar 2008

Ein knapp sechsjähriges Mädchen denkt über Liebe nach

Bei uns klingt der „Valentinstag 2008“ noch nach. Er ist vergangen und doch lebendig geblieben. Er hat uns 2 interessante Bilder beschert. Mena hat die Grosseltern gezeichnet. Nackt.
 
Das ist Mena, dachte ich dazu. Sie gibt sich nicht mit dem Äusseren zufrieden. Sie will allem auf den Grund gehen. Mann und Frau sind sofort erkennbar. Die Brust des Grossvaters ist mit 2 Punkten markiert, die meine mit 2 Kreisen und Punkten. Es folgen das Herz, der Bauchnabel und die Geschlechtsteile, wie sie zu uns gehören. Die Gesichter sind fröhlich. Gropi ist eine Spur verschmitzter dargestellt als ich. So nimmt sie uns wahr und so ist es. Das grosse Herz des Grossvaters entspricht ebenfalls der Realität. Zu beiden Zeichnungen gehört auch noch das Wort LIEBE und ST-VALENTIN.
 
Der an uns beide adressierte Briefumschlag war mit 2 leuchtend roten Herzen versehen.
 
Als ich unsere Freude über diese Post nach Paris meldete, antwortete unsere Tochter Felicitas, dass „Saint Valentin“ für Mena ein grosses Thema geworden sei. Hinweise in Schaufenstern von Blumengeschäften und Konditoreien werden ihr aufgefallen sein. Ich vermute, dass auch in der Schule (Ecole maternelle) darüber gesprochen worden ist. Mena habe Mamas Aussage, Saint Valentin sei der Tag der Liebe, korrigiert: „C’est le jour des amoureux.“ (Es sei der Tag der Verliebten.)
 
Weiter wurde in diesem Antwort-Mail berichtet, sie hätten viel über die Liebe gesprochen und was es ausmache, dass wir einander gern haben. Mena kam dann zum Fazit, dass es nicht Kleider sind, die schön machen, sondern das Herz. Deshalb ihre Idee, uns nackt und mit grossem Herzen zu zeichnen.
 
Und nochmals wurde bestätigt, es sei Menas eigene Idee gewesen, uns mit diesen Zeichnungen eine Freude zu machen.
 
Und jetzt, bald 2 Wochen danach, als ich diese Abbildungen wieder hervornehme, finde ich auf der Rückseite einen Hinweis, der uns vorher entgangen war. Mena hatte neben dem gross geschriebenen Namen „Gropi“ eine zu ihm passende Fläche gezeichnet und diese schraffiert. Wir haben diese nicht besonders gewichtet. Nun erfahren wir, dass dies kein Gekritzel sei. Es sei das Sofa, auf dem Gropi jeweils schlief, weil er ihr anlässlich der Ferien bei uns das eigene Bett überlassen hatte.
 
So leicht nachvollziehbar kann nur ein Kind seine Erfahrungen, Gedanken und die daraus gezogenen Schlüsse verständlich machen.

Donnerstag, 21. Februar 2008

Eine Wohnung verlieren, eine neue suchen und finden

Wir haben eine neue, schöne Wohnung an einem uns sympathischen Ort gefunden!
 
Der Zufall hat wieder gespielt, wie ich es im Blog vom 31.01.2008 beschrieben und zum damaligen Zeitpunkt auch erhofft hatte. Bekannte von Bekannten suchten einen Nachmieter und wurden auf uns verwiesen. Und wir passten, zur grossen Überraschung, zu den Vorstellungen der Vermieter.
 
Es war, wie wenn uns ein stark brausender Wind an ein vorbereitetes Domizil getragen hätte. Alles vollzog sich sehr schnell. Nach und nach begreife ich unser Glück.
 
Da wir uns auf eine langfädige Suche eingestellt hatten, notierte ich mir alle Vorstösse, damit ich diese unserem bisherigen Vermieter hätte vorweisen können, wenn wir erfolglos geblieben wären. Nun bin ich erstaunt, dass das dicke Notizbuch noch sehr viele unbeschriebene Seiten hat.
 
Da ist ein erster Besuch bei Bekannten in der soeben bezogenen Alterswohnung in der Siedlung „Letten“ notiert. („Wohnen im Alter“, eine städtische Einrichtung). Diesen erlebte ich fortan als prägenden Erstlingseindruck und Mass für alle später angebotenen Räume, denn es war meine Traumwohnung. (Ich bin sehr erstaunt, dass wir diese nun an einem weit entlegenen Ort auf leicht abgeänderte Art gefunden haben.)
 
Wir meldeten uns dann selbst bei „Wohnen im Alter“ an, aber auch bei verschiedenen Genossenschaften. Dann durfte ich eine Wohnung in einem jener zitronen- und orangenfarbenen Häuser anschauen, die bei einer Ausfahrt aus dem Zürcher Hauptbahnhof markant sichtbar sind. Eine solche empfehle ich jedem Eisenbahn-Fan. Eine Nachbarin, in der Spitex tätig (ein Hausbetreuungsdienst für Alters- und Krankenpflege), anerbot sich, mir immer dann anzurufen, wenn sie auf demnächst leere Wohnungen stosse. Durch ihre Arbeit sah sie manchen Umzug voraus. Und ich eilte auf alle Hinweise – wie der Blitz – an die entsprechenden Orte. Mein Velo fuhr mich in entlegene, mir bis dahin unbekannte Stadkreise. Und immer fand ich auch Grünflächen und Bäume, die mir wichtig sind. Aber die richtige Wohnung war auf diesem Weg für uns nicht zu finden. Einmal war die Wohnung zu klein oder eine grössere zu teuer. Und bei den Genossenschaften wurden wir informiert, dass manchmal ein ganzes Jahr lang keine Auszüge stattfänden. Eine Liegenschaftsverwalterin sagte mir kurz und bündig: „Wenn sie pro Monat 2000 Franken bezahlen können, ist es kein Problem, eine Wohnung zu finden.“
 
Später animierte mich dann unsere Tochter Letizia zur konsequenten Suche im Internet. Sie setzte sich an den Computer und druckte Angebote aus. Unsere Tempi stimmten nicht überein. Ich kam kaum nach mit Lesen. Begeisterung und Ernüchterung folgten sich. Eine Achterbahn der Gefühle. In jenem Moment dachte ich, die Wohnungssuche würde mich überfordern. Da gönnten wir uns Ruhe und überlegten auch, ein Institut mit der Suche zu betrauen. Und taten es dann doch nicht.
 
Eine Freundin putzte diese Idee so konsequent ab, dass ich schockiert war. Sie kannte uns zu gut als eigenständige und wie sie betonte, für eine solche Aufgabe fähige Leute. Aha. Manchmal ist eine Belehrung von aussen, auch wenn sie im ersten Augenblick kaltschnäuzig ist, doch hilfreich.
 
Dann pendelte sich die Suche tropfenweise ein. Das Such-Abonnement im Internet brachte die neuesten Angebote und überforderte mich nicht mehr. Mittlerweile hatten sich für uns Kriterien herausgebildet, die mir halfen, die Spreu vom Weizen zu trennen. Primo überliess mir die Suche, liess sich aber zu Besichtigungen aufrufen. Das war spannend und schärfte nach und nach den Blick für das, was uns wichtig ist. Wir grenzten weit entfernte Angebote aus. Wir wünschten uns Orte, die Velo-tauglich, also nicht am Berg angesiedelt sind. Und einen solchen haben wir dann tatsächlich gefunden.
 
Im Buch habe ich auch Ratschläge und Reaktionen aus dem Freundeskreis notiert:
 
Nach der Kündigung: „Du musst jetzt sofort mit Räumen beginnen, alle Dinge fortwerfen, die du schon lange nicht mehr gebraucht hast.“ Dies sagte eine Frau, die über 80 ist und immer noch in jenem Haus lebt, in das sie als 4-jähriges Kind mit ihren Eltern eingezogen ist.
 
Es gab da eine Phase, in der ich mir überlegte, meinen Bücherschatz zu durchforsten und zu lichten. Als ich jedoch das erste Buch zur Hand nahm und seinen Wert erkannte, beschloss ich zu warten und erst zu handeln, wenn ich die neuen Platzverhältnisse kenne. Jetzt weiss ich, dass ich kein Buch fortwerfen muss.
 
Ein anderer Rat, der obige Einsicht bestätigt, lautete: „Auf keinen Fall übereilt handeln."
 
Dann begannen Gespräche oft mit der Frage: „Habt ihr eine Wohnung in Aussicht?“ „Kannst du noch schlafen?“ Oder „Ich beneide dich nicht.“ Dies sagten Leute, die selber sehr lange suchen mussten. Zudem wird in Zürich seit Monaten von einem ausgetrockneten Wohnungsmarkt gesprochen, obwohl sehr viel gebaut worden ist. Auf diesem Hintergrund wird auch die witzige Aussage meines Bruders Georg verständlich. Er hatte gerade erfahren, dass wir eine Wohnung an der Eugen-Huber-Strasse mieten können und schrieb uns: „Da denke ich gerade: Besser an die Strasse des ,Schöpfers des Zivilgesetzbuches’ zu ziehen, als im Zivilgesetzbuch nachschlagen zu müssen, wie eine Mietfristerstreckung erreicht werden kann ..." ;-)
 
Einmal habe ich auch einen Grossandrang für eine Wohnungsbesichtigung erlebt. Es war eine dichte Menschenschlange, die sich durch die Haustür in den 1. Stock gebildet hatte. Und oben auf dem kleinen Balkon erschien, gerade als ich dort ankam, der vorderste der Bewerber mit dem Formular in der Hand. Er schaute aus und schien nicht viel wahrzunehmen. Geduldig warteten alle. Und stetig kamen jene wieder auf die Strasse, die oben waren. Ich schaute da etwas zu, ohne mich anzuschliessen, denn für mich war sofort klar: Hier fühlen sich junge Leute wohl. Einer oder einem von ihnen gehört die Wohnung, nicht mir.
 
Als Verwandte aus dem Kanton Schaffhausen von der Kündigung hörten, empörten sie sich, ohne den Grund genau zu kennen. Sie nahmen an, die ganze Bernoulli-Siedlung würde zu Gunsten eines gigantischen Neubaus niedergewalzt. So denkt man aus der Ferne über Zürich!
 
Und jetzt, auch in der Zeit der Freude, werde ich gewarnt. „Nirgends ist nur eitel Sonnenschein.“
 
Von Mena, meiner bald 6-jährigen Enkelin, habe ich aber aus Paris ein anderes Signal erhalten. Ich sandte ihr Fotos vom neuen Zuhause, in das wir in ein paar Wochen einziehen werden. Erste Bilder der Umgebung. Es war da auch eine Foto einer alten Weide dabei, auf der 4 Raben hocken und in verschiedene Richtungen ausschauen. Als sie diese sah, soll sie spontan gesagt haben: „Die beschützen Grosy und Gropi (die Grosseltern).“

Sonntag, 10. Februar 2008

An der Schipfe in Zürich: Ein verhüllter Baum rüttelt uns auf

Gerne möchte ich dabei sein, wenn dem Baum an der Schipfe der luftige Überwurf abgenommen wird. Seit bald einem Monat trägt er ihn und mahnt uns, die anstehenden Probleme zu lösen. Am ersten Tag sah es aus, als würde hier Hochzeit gehalten und der Baum trüge ein Brautkleid. Das leichte Fischernetz-Gewebe bewegte sich anmutig im Wind. Seine Aufgabe ist aber eine andere. Sie muss die Luftverschmutzung auffangen und sichtbar machen.
 
Es sind der VCS (Verkehrsclub der Schweiz, ein Umweltverband) und die Krebsliga, die hinter dieser Aktion stehen und Massnahmen zur Verbesserung der Luftqualität fordern. Sie fordern zum Beispiel ein Filterobligatorium gegen den Dieselruss (Siehe auch www.pm10.ch).
 
„Ich bin auch eine Lunge“ heisst es auf einem textilen Plakat, das neben dem verhüllten Baum hängt. Bäume sind Lungen einer Stadt. Wir können sie nicht genug hegen und schützen. Und sie wiederum sorgen sich um die Lungen der Menschen.
 
Wenn ich richtig gerechnet habe, besuchte ich den Baum heute morgen am 29. Tag seiner Verhüllung. Ich wollte den Zustand seines Umhangs sehen. In der Erinnerung wirkte er am 1. Tag noch in natürlichem Weiss. Und heute? Etwas dumpf geworden, aber nicht wirklich grau. Es fehlte mir der Vergleich. Es fehlte mir ein Stück unberührten Stoffs aus der gleichen Fabrikation. Darum wäre es spannend, am Ende der Aktion den noch frischen und den gebrauchten Stoff nebeneinander liegen zu sehen. Diese Stoffe sollen dann nach Abbruch der Installation den Behörden übergeben werden.
 
Ich hatte eine markanter sichtbare Verschmutzung erwartet. Ja klar, der Standort des gewählten Baums ist auch eher komfortabel. Am Flussufer, im Fussgängerbereich, nicht an einer stark befahrenen Strasse. Hier ist es beschaulich. Wie sähe der Stoff wohl aus, wenn er an der Weststrasse, der Zufahrtsstrasse zur Autobahn, hinge? Dort bekommt man allein vom Anblick der verrussten Hausfassaden schon Hustenanfälle.
 
Die dichter gewobene Stofffahne mit dem Text „Ich bin auch eine Lunge“ empfand ich eher schmuddelig, wie wir hier in unserer Umgangssprache sagen. Etwas schmierig, unappetitlich. Ihr Gewebe ist nicht durchlässig.
 
Dieser Augenschein zeigt, wie sich Verschmutzung einnistet. Sie kommt schleichend, beinahe unsichtbar, aber stetig. Erst wenn sie Krankheiten auslöst, wird sie thematisiert und auch dann noch nicht immer von allen Verschmutzern für wahr gehalten.
 
Übrigens: Die Schipfe mit ihren Altstadthäusern in Zürich ist wegen der Kater-Jacob-Geschichten weltbekannt. Hier lebte Sven Hartmann, der die Abenteuer dieser quirligen Katze zeichnete und noch immer zeichnet. Immer wieder einmal sind an diesem Ort Touristen aus fernsten Ländern anzutreffen, wie sie das Revier von Jacob nach den Giebeln und Dächern absuchen. Auf www.kater-jacob.de ist manches darüber zu erfahren. Viel Vergnügen!

Donnerstag, 31. Januar 2008

Wo in Zürich finden wir eine 3- bis 4-Zimmer-Wohnung?

Heute Morgen, als ich das Haus verliess, schienen die Füsse zu sagen: Auf diesem Weg gehst du nicht mehr lange. Ich spürte den Kies unter den Füssen, obwohl ich nicht barfuss unterwegs war. Bis dahin freute ich mich jeweils nur über die Fussmassage. Heute aber nahm ich eine weitere Facette des bevorstehenden Abschieds wahr.

Seitdem der Auszug aus dem Bernoullihaus an der Hardturmstrasse in Zürich in meinem Hirn gespeichert ist, werde ich immer wieder aufmerksam auf das, was ich zurücklassen muss. Noch weiss ich nicht, wohin es uns verschlägt. „Verschlagen“ bezeichnet unsere Situation ganz richtig. Eine Wohnung zu finden, ist an den Zufall gekoppelt. Eine mir nicht bekannte Macht wird uns hoffentlich zum rechten Zeitpunkt in die richtige Richtung stossen.
Ich habe letztes Jahr im Zürcher Oberland eine Aufführung der 3 welschen Künstlerinnen Anne-Sylvie Casagrande, Edmée Fleury und Gisèle Rime erleben können. Ihr Ensemble nennen sie „Vokal-Trio NORN“. Sie verkörpern die aus der germanischen Mythologie bekannten Schicksalsgöttinnen, die die Fäden des Schicksals spinnen und weben.

Ihr Gesang, ihre wunderschönen Filzkleider, ihre Bewegungen und Tänze sind mir vor Augen, wenn ich versuche, mir eine Schicksalsmacht vorzustellen. Mit ihren seltsamen Klängen und der Kunstsprache, aber auch mit ihren Bewegungen nahmen sie uns in ihre Sphären und ihr Arbeitsfeld mit. Da lachten sie, wenn sie Wege zeigten oder grinsten, wenn sie solche abschnitten, wohl wissend, was das für den Menschen bedeutet.

So erlebe ich jetzt meine Wohnungssuche. Ich befinde mich oft auf einer Achterbahn, dann wieder auf einem scheinbar guten Weg, obwohl sich dieser bis heute noch nicht als der richtige erwiesen hat. Immerhin habe ich schon viele wertvolle Erfahrungen gesammelt.

Dass ich jetzt innerhalb des Blogateliers mein Anliegen formulieren darf, freut mich riesig.
*
Für unseren 2-Personenhaushalt suchen wir eine
3-, 3 ½- oder 4-Zimmer-Wohnung

Stadt Zürich, Kreise 2, 3, 4, 5, 8, 9, 10.
Nicht am Berg. Wir möchten noch lange Velo fahren.
Mit Lift.

Nicht an einer stark befahrenen Strasse.
Mindestens 1 Baum möchte ich in meinem Blickfeld haben.

Monatliche Miete bis CHF 1500.–.

Bis Ende September sollten wir das jetzt bewohnte Haus spätestens verlassen.
Wir können aber sofort ausziehen, wenn eine neue Wohnung gefunden worden ist.
Vielleicht sind wir als „Nachmieter“ interessant.

Nachtrag vom 20.02.2008
Jetzt ist das Rätsel schon gelöst, der neue Mietvertrag unterschrieben.
Es scheint, dass unsere Vorgaben mehr als erfüllt worden sind.
Rita Lorenzetti

Freitag, 25. Januar 2008

Bern: Vom Rosengarten über den Friedhof zu Paul Klee

Auf gut Glück sind wir in Bern zum Rosengarten gepilgert, doch die Ahnung bestätigte sich. Das Restaurant befindet sich noch bis März im Winterschlaf. Gleichwohl ist ein Spaziergang auch im Winter lohnenswert, denn die Aussicht auf Bern, auf ihre Altstadtreihen und den sie umfliessenden Aareschlauf ist einfach wunderschön.
 
Hier oben auf dem Hügel, der sich vom Bärengraben her auf dem Fussgängerweg „Aargauerstalden“ erreichen lässt, befindet man sich in einer Parkanlage, von der es heisst, sie sei ein Mekka für jeden Blumenliebhaber. Hier blüht vom Frühling bis zum Herbst immer etwas. Rosen, Rhododendren, Azaleen und Iris, geben den Ton an. Der Park ist auf einem alten (17651877), still gelegten Friedhofgelände angelegt. Eine Oase. Ein Ort fern von hektischem Stadtleben und der Stadt doch nahe.
 
Wir waren zur Buchpräsentation ins ehemalige Pförtnerhaus am Rande des Schlosshaldenfriedhofs gekommen, wo der „Verlag Rothe Drucke“ die bibliophile Ausgabe „Wer auch immer“, eine Grafikedition mit Werken von Alois Lichtsteiner, auflegte. Der Weg dorthin liess sich gut mit dem Besuch im Rosengarten kombinieren. Später bereicherten noch der Spaziergang durch den angrenzenden Friedhof und einige Zufälle unser ursprüngliches Ziel.
 
Da war einmal der Bereich der Gräber für Kinder. Mit seinem Sammelsurium von sich bewegenden Elementen, Windrädern, Blumen, Figuren, Worten und Bildern war eine frohe Stimmung auszumachen, obwohl der Tod von Kindern etwas Tieftrauriges ist. Hier wehte ein versöhnlicher Geist. Gleich daneben fanden wir unerwartet das Grab von Paul Klee und seiner Frau und realisierten bald einmal, dass wir uns im nahen Umfeld jenes Zentrums befanden, das 2005 für seine Werke geschaffen worden war.
 
Der Text auf der Grabplatte ist anrührend. Es heisst da:
 
„Hier ruht der Maler Paul Klee 18.12.1879–29. Juni 1940
 
Diesseitig bin ich gar nicht fassbar. Denn ich wohne grad so gut bei den Toten, wie bei den Ungeborenen. Etwas näher dem Herzen der Schöpfung als üblich. Und noch lange nicht nahe genug.“
 
Gleich nebenan ist der Weg zur Luft-Station angelegt. So lautet auch der Name eines Werkes von Klee. Um die Form eines Kegels führt ein Pfad spiralförmig nach oben und belohnt alle, die diesen kurzen Weg gehen, mit der grossartigen Aussicht zum Alpenkranz hin.
 
Die gute Stimmung blieb um uns auch im „Zentrum Paul Klee“, beim Essen und später im Gespräch mit einer Museums-Angestellten, die auf den Auftakt zum Ausstellungsjahr 2008 hinwies. Die neue, am 26. Januar 2008, anlaufende Ausstellung widmet sich der GENESIS und behandelt das Thema „Die Kunst als Schöpfung“. Die Themen sind weitreichend und spannend. Sie können unter www.zpk.org aufgerufen werden. Zu dieser Ausstellung würden auch lebende Hühner gehören, sagte uns diese Frau. Man sei eben daran, den Hühnerhof aufzubauen. Gerade vorhin seien die Hühner angeliefert worden. Da fanden wir sie dann draussen, noch in ihren Plastikkörben, eng zusammengepfercht, wartend, was da kommen soll. Sie dauerten mich. Es waren schöne Exemplare, auch ein Perlhuhn und farbig schillernde Hähne. Sie dürfte es wenig interessieren, was die Menschen im Gesprächslabor dann miteinander beraten und zum Thema „Vom Urknall zum Homo Sapiens“ denken werden. Hoffentlich wird ihnen ein artgerechter Hühnerhof aufgebaut, in dem sie ein anständiges, ihnen entsprechendes Leben führen können. Was nützen alle Worte, wenn sie nicht auf die Bedürfnisse des Lebendigen eingehen?
 
Im Laufe des vergangenen Jahres kam ich erstmals ins Zentrum Paul Klee. Die Frauengruppe, der ich angehörte, wurde von 2 verschiedenen Personen (eine Frau und ein Mann) durch die Ausstellung geführt. Ich war jener zugeordnet, die von einem Kunsthistoriker betreut wurde. An ihn dachte ich bei diesem erneuten Besuch und dem Anblick der Hühner. Zu viel Wissen und zu viele Worte können schädlich sein. Wir wurden damals mit kunsthistorischem Wissen geradezu übergossen. Es gab im Referat keinen überflüssigen Atemzug. Eine echte Begegnung mit einem Bild war für mich unmöglich. Ich bekam Kopfweh und beneidete die andere Gruppe, die auf ganz ruhige Weise den gefühlsmässigen Zugang zu Klee fand.
 
Der erneute Besuch in denselben Hallen hat nun einen Ausgleich geschaffen. Primo und ich liessen uns von Bildern gefühlsmässig leiten. Wir schauten und hörten. Heisst es nicht: Ein Bild spricht mehr als 1000 Worte?
 
Literatur zu Ausstellungen und Künstler-Biografien interessieren mich auch. Aber erst, wenn ich wieder zu Hause bin und ich das Geschaute verinnerlicht habe.
 
Ganz anders die Situation, wenn Kühe sich mit Kunstbüchern befassen. Ein Lieblingswitz von mir lautet so:
Auf der Wiese, in zartem Gras liegend, vertieft sich eine intellektuelle Kuh in die Betrachtung eines Bildbandes. „Was siehst du dir an?“ fragt der Ochse. „Etwas Faszinierendes von meinem Lieblingsmaler.“ „Wie heisst er denn?“ „Klee.“

Sonntag, 20. Januar 2008

Überforderte Ohren streikten und erschreckten mich bös

Nach diesem Telefongespräch fühlte ich Panik. Letizia hatte angerufen und mir die erwartete Information geliefert. Sie war zu Fuss auf dem Heimweg und in heiterer Stimmung. Ich hörte sie schlecht, machte darauf aufmerksam. Der hektische Verkehr werde mich stören, folgerte sie. Und ich, etwas aufmüpfig, verwies auf den Akku ihres Natels. Der sei offenbar am Auslaufen. Nein, keine Anzeige. Alles in Ordnung.
 
Als ich aufgelegt hatte, änderte das gar nichts. Das Knistern im Ohr ging weiter. Jetzt wurden die Nachrichten aus dem Radio zerhackt. Unerträglich. Beängstigend. Mit den inneren Augen „sah“ ich dann meine Ohren als verschlossene Tore, an denen die Schwingungen von Worten aufschlugen, schepperten und zu Boden fielen. Noch nie so erlebt, obwohl ich Schmalzpfropfen kenne.
 
Ich musste mich in einen stillen Raum zurückziehen, um nicht verrückt zu werden.
 
Am andern Morgen säuberte der Arzt meine Ohren. Jetzt fühle ich wieder eine Kathedrale um mich. Viel Raum für Worte und Klänge. Jetzt können sie wieder schwingen und ausklingen. Aber schrille Töne, wie sie beispielsweise Kabarettisten alter Schule noch gebrauchen, irritieren sofort. Das wird eine Alterserscheinung oder vielleicht sogar ein Zeichen für die zurückgewonnene Hellhörigkeit sein.
 
Wieder zu Hause, sandte ich Letizia ein Mail: Nicht dein Natel war schuld am gestörten Empfang, sondern der Schmalz in meinen Ohren. Fazit: Immer zuerst den Fehler bei sich selber suchen, nicht bei den andern!
 
Und sie meldete zurück: Ich musste herzhaft lachen!

Freitag, 11. Januar 2008

In meiner Rückschau gäbe es da und dort viel zu danken

Ruedi war Buchdrucker und Fotograf alter Schule, als er noch im gleichen Gebäude arbeitete, in der sich auch unsere Werkstatt befand. Ein begeisterungsfähiger Mann, der keine Mühe hatte, sich auf Experimente einzulassen, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht berufskonform waren. Er druckte uns verschiedenste Geschäftspapiere, Holzschnitte und ebenso Holz als Struktur.
 
Dann trennten sich unsere Wege, weil er an einem anderen Ort Arbeit fand. Jetzt, nach über 20 Jahren, meldete er sich wegen einer Schreinerarbeit wieder bei uns. Sein Besuch liess viele Erinnerungen aufsteigen. Ich freute mich, ihm zu sagen, dass wir seine Arbeiten immer noch schätzten und dass ich mir bewusst sei, wie viel er für uns getan habe.
 
Er schmunzelte, denn er wusste das selber auch. Nur ist es so, dass wir manchmal gar keine Möglichkeit haben, solche Einsichten auszusprechen. Ruedi war weggezogen. Wir hatten keine Adresse mehr von ihm. Er kreuzte unsere Wege nicht mehr. Und selbst wenn in Gedanken die Zusammenarbeit manchmal als wertvolle Erinnerung aufblitzte, setzte ich mich nicht hin und schrieb ihm. Die Rechnungen waren ja bezahlt. Und doch wünsche ich mir manchmal, die besondere Leistung, die wir anderswo nicht bekommen hätten, zu erwähnen.
 
Maurice, dem Südfranzosen, konnte ich nie danken, denke aber immer wieder einmal an ihn. Wir arbeiteten in Paris im selben Buchverlag. Ich war dort als Stagiaire angestellt, bearbeitete die eingegangenen Bestellungen, und er verpackte die Bücher. In der Pause holte er seine Gitarre und spielte hingebungsvoll Stücke von Manuel de Falla. Zum Ritual gehörte auch ein Apfel, den er anschliessend ass.
 
Von ihm hörte ich erstmals von den schädigenden Spritzmitteln, die über die Obstbäume gesprüht würden. Darum wusch er den Apfel jedesmal mit der unparfümierten Marseille-Seife und polierte die Haut des Apfels mit einem sauberen Tuch, bis sie glänzte. Das mache ich seither auch so. Und dafür möchte ich ihm danken. Er vermittelte mir, damals 19-jährig, die ersten Ansätze für eine bewusste, gesunde Ernährung.