Er zeigte sich mir in einer Figur aus Lehm, die ich spielerisch
geschaffen hatte. Im Reka-Dorf Albonago im Tessin, wo wir unsere
diesjährigen Familienferien verbrachten, wurde nebst den
Rekalino-Programmen für Kinder auch eines für Erwachsene angeboten.
„Tonen im Freien“. Tonen heisst mit Ton (Lehm) arbeiten.
Die Sozialpädagogin und Maltherapeutin Jasmine Them Schmid
leitete unsere Gruppe (10 Personen) an, eine Kugel zu formen. Sie zeigte
den handwerklich richtigen Weg. Aufbauend, wie sich alles in der Natur
entwickle. Schichten um Schichten wurden so zusammengefügt und
zusammengeknetet, dass nach und nach die Kugelform entstehen konnte.
Wichtig sei diese Bearbeitung, damit die Luft aus dem Material verdrängt
werde. So wird Brüchigkeit verhindert. Auf keinen Fall soll ein Stück
Lehm nur vom grossen Klumpen abgetrennt und sofort zu einer Kugel
gerollt werden. Zu einfach. Der Lehm brauche unsere Hände, unsere
Berührung, das Kneten, Formen, Spielen.
Auf halbem Weg zur Kugel hatten wir unser Werkstück in die rechte
Hand und eine zweite von der Nachbarperson in die andere
entgegenzunehmen, um sie zu fühlen und zu vergleichen. Gewicht und Form
in der Hand zu erspüren, zu vergleichen. Erstaunlich. Wir begannen alle
mit einem ungefähr gleich grossen Stück Ton. Die Gewichte fühlten sich
dann aber ganz verschieden an. Es gab Kugeln, die leicht geworden waren,
andere empfand ich schwer und dumpf.
Ich selbst war da erst auf dem Weg zur Kugelform, liess meine Hände
ohne Befehle aus dem Kopf etwas machen. Es entstand ein Vielflächner,
weil ich die Tonmasse gerne auf den Tisch klatschte. Die Kursleiterin
bemerkte diese Abart und sie gefiel ihr. So blieb ich ihr einigermassen
treu und wollte die Kugelform gar nicht mehr erreichen.
Neben mir werkte Nora in Zusammenarbeit mit dem Grossvater.
Das 3-jährige Kind liebt Knetmassen über alles, kann sich damit
verweilen, weil sie wandelbar sind und der Fantasie folgen können. Was
da entstand, war einzig das Produkt der sinnlichen Erfahrung, der
spielerischen Sprache von Händen und Fingern.
Trotzdem wunderte ich mich, wie Nora mitmachte und zu Beginn sogar
sehr aufmerksam auf ihrem Stuhl sass und zuhörte. Für sie wurden 3
Plastikstühle übereinander geschoben. So sass sie mit den Erwachsenen
auf gleicher Höhe. Nora erschien mir an diesem Abend älter, erwachsener
und zu allen Spielereien, die Grossvater für sie einbaute, bereit. Sie
störte niemanden. Tagsüber erlebten wir sie als Wiesel, umtriebig und
gerne als Anführerin.
Nächster Schritt für uns alle, nachdem die Kugelform erreicht war:
Spuren anbringen, Spuren zulassen. Nora und Grossvater rollten ihre
Kugeln auf dem Kiesweg vor sich her. Einerseits setzten sich Kiesel
fest, andererseits verpassten die Steine Grübchen, Löchlein, Striche
usw. Ich drückte meine Masse an die grobe Hauswand mit ihren
Steinquadern und rollte sie später einen Abhang hinunter. Und dann
zeigte sich der Geist. Es hatten sich 2 markante Augen eingegraben, die
Stirne trat hervor, eine Nase war eingezeichnet, nur der Mund fehlte.
Den ritzte ich ein. Die Form eines Kopfes war ohne mein Zutun
entstanden. Sie gefiel mir. Sofort erkannte ich eine alte, wissende
Persönlichkeit. Ihre Gesichtshaut voller Runzeln. Alt und doch auf eine
eigene Art lebendig. Der Ausdruck freundlich. So habe ich mein Werk
belassen.
Es wurde ruhig gearbeitet. Obwohl wir kaum miteinander sprachen,
fühlten wir uns verbunden und tags darauf, als wir uns im Reka-Dorf
wieder begegneten, waren wir Bekannte.
Dieses Reka-Gelände ist ansehnlich. Auf einer Fläche von 33 000 m2
stehen 43 Ferienhäuschen und Ferienhäuser. Es befindet sich am Hang des
Monte Brè, ungefähr auf halber Höhe.
Später konnte ich Frau Schmid nochmals treffen. Sie erzählte mir
von ihren Motiven und Erfahrungen als Sozialpädagogin. In diesem
Feriendorf ermöglicht sie den Kindern spielerische Konzentration,
spielerisches Zusammenfinden, schöpferisch tätig zu sein. Hier gibt es
keine Wertungen wie in der Schule. Alle Werke sind Originale, gehören
zur Person, die sie geschaffen hat. Sie sind Ausdruck unserer
Verschiedenheit.
Das gerade aktuelle Rekalino-Programm für die Kinder war mit dem
Thema „Spuren“ überschrieben. Kinder in der Gruppe ab 6 Jahren haben
sich darüber Gedanken gemacht. Welche Spuren hinterlassen Menschen,
welche Tiere?
Abfall auf Strassen, Streifen am Himmel, Schmutz in der Luft, der
Kuhfladen auf der Wiese und überall, wo wir nicht aufräumen, nicht
sauber sind. Andererseits sind die kleinen Kunstwerke, die Kinder
manchmal herstellen, Spuren ihrer Entwicklung, die wir erst später
deuten können.
Wie ich verstand, wurden auch Steine spielerisch ausgelegt, um den
Weg, der gegangen worden ist, später wieder zu finden. Dafür sind Ferien
auch da, dass wir Zeit haben, solche Erfahrungen zu machen. Die Hast
ablegen und in scheinbar unwichtigem Tun den Sinn zu finden oder sogar
dem Geist von Albonago zu begegnen.
Frau Schmid sagte mir, sie habe 2 Wege vor sich gesehen, ihren
Beruf als Sozialpädagogin auszuüben: In einem Heim, als „Feuerwehrfrau“
oder als Therapeutin, die Erfahrungen und Werte vermitteln und vorbeugen
will, dass die „Feuerwehr“ gar nicht gerufen werden muss. Diesen hat
sie gewählt.
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