Primo wollte mir die Ausstellung von Margarethe Dubach zeigen. Sie befindet sich in nächster Nähe seiner Werkstatt in der Galerie Esther Hufschmid an der Rotwandstrasse 52, CH-8004 Zürich.
Unter dem Titel „Gottesnarren, Nothelfer und verjagter Tod“
stellt die berühmte Künstlerin Objekte aus, die mich sofort in alte,
kirchliche Dimensionen zurückführten. Aus abgegriffenen Materialien wie
Büchern (Gebetbüchern?), vergilbten Papieren, handgeschriebenen Texten,
Knochenteilen, Heiligenfiguren oder Teilen von ihnen gestaltete sie eine
neue Art von Ikonen, Altärchen oder Wandbildern. Mit zweckentfremdetem
Material gab sie ihren Werken ein Gesicht, eine Stütze oder einen neuen
Rahmen.
Ihre Arbeiten zeigen uns, wie sich Wandlung vollzieht. Die alten
Formen mit ihren strengen Weisungen sind heute nur noch als Fragmente
erkennbar. Nicht nur die Materialien sind abgewetzt, auch die religiöse
Kultur hat von ihrer Substanz verloren.
In dieser Ausstellung dominieren Tod und Wandlung. Die Objekte
erzählen uns noch, was früher war und wir, die wir in der Geborgenheit
einer lebendigen Volksfrömmigkeit aufgewachsen sind, können in Dubachs
Werken etwas von den damaligen Werten erkennen. Für mich sind es
Sammlungen, die etwas retten wollen. Die neu entstandenen Ikonen sind
meiner Empfindung nach nicht dafür gemacht, mit uns zu leben und uns zu
unterstützen, denn in allen Arbeiten lauert der Tod.
Viele der ausgestellten Figuren tragen Totenköpfe, vor allem jene
auf der langen Wandkonsole: skurril, witzig, kritisch und mit Verweis
auf das, was überaltert, aber vielleicht auch voreilig fortgeworfen
worden ist. Es könnte auch sein, dass sie über über uns lachen. Für mich
sind es Tote, die nicht tot sind.
Im Gespräch mit der Galeristin schimmerte etwas davon auf. Sie
fühle sich gut in deren Gesellschaft und werde am Arbeitsplatz von ihnen
beflügelt. Was in der Nacht geschehe und welche Feste dann gefeiert
würden, das könne sie nicht wissen. Am Morgen jeweils seien jedenfalls
immer wieder alle auf ihren Plätzen, sagte sie verschmitzt.
An jenem Tag, nur wenige Stunden später, befanden wir uns an einem
Ort, wo Glaube und religiöser Ausdruck noch lebendig sind. Da stehen,
hängen oder sitzen die gepflegten Heiligenfiguren auf ihren Plätzen und
ihre Strahlenkränze leuchten noch. Wir waren ins Kapuzinerkloster
gekommen, um ein Feierabendkonzert „Leichte Klassik“ zu
geniessen. Ein Zufall, dass sich der Ausstellungsbesuch an der
Rotwandstrasse und der Konzertbesuch in Rapperswil beinahe nahtlos
aneinander reihten und die Gegensätze verbanden. In diesem Konzert hob
eine junge Mutter ihr vielleicht 9 Monate altes Kind von Zeit zu Zeit in
die Höhe, auf dass es von den feinen Tönen durchdrungen wurde. Viele
freuten sich daran.
Zwischen den Besuchen der beiden gegensätzlichen Welten
beobachteten wir den Sonnenuntergang am See. Bevor die rote Glut
unterging, erfüllte sie den Raum des gesamten Seebeckens mit
rosafarbenem Licht und sandte ihre Lichtstrassen zu uns hin. Für jede
Person ihre eigene und von allen nur diese einem selbst zustehende
wahrnehmbar.
Gut möglich, dass solche Erlebnisse in fernen Jahren auch als Versatzstücke religiösen Empfindens gehandelt werden.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen