Sonntag, 14. Oktober 2007

Versatzstücke aus der gestrigen Frömmigkeit neu konzipiert

Primo wollte mir die Ausstellung von Margarethe Dubach zeigen. Sie befindet sich in nächster Nähe seiner Werkstatt in der Galerie Esther Hufschmid an der Rotwandstrasse 52, CH-8004 Zürich.
 
Unter dem Titel „Gottesnarren, Nothelfer und verjagter Tod“ stellt die berühmte Künstlerin Objekte aus, die mich sofort in alte, kirchliche Dimensionen zurückführten. Aus abgegriffenen Materialien wie Büchern (Gebetbüchern?), vergilbten Papieren, handgeschriebenen Texten, Knochenteilen, Heiligenfiguren oder Teilen von ihnen gestaltete sie eine neue Art von Ikonen, Altärchen oder Wandbildern. Mit zweckentfremdetem Material gab sie ihren Werken ein Gesicht, eine Stütze oder einen neuen Rahmen.
 
Ihre Arbeiten zeigen uns, wie sich Wandlung vollzieht. Die alten Formen mit ihren strengen Weisungen sind heute nur noch als Fragmente erkennbar. Nicht nur die Materialien sind abgewetzt, auch die religiöse Kultur hat von ihrer Substanz verloren.
 
In dieser Ausstellung dominieren Tod und Wandlung. Die Objekte erzählen uns noch, was früher war und wir, die wir in der Geborgenheit einer lebendigen Volksfrömmigkeit aufgewachsen sind, können in Dubachs Werken etwas von den damaligen Werten erkennen. Für mich sind es Sammlungen, die etwas retten wollen. Die neu entstandenen Ikonen sind meiner Empfindung nach nicht dafür gemacht, mit uns zu leben und uns zu unterstützen, denn in allen Arbeiten lauert der Tod.
 
Viele der ausgestellten Figuren tragen Totenköpfe, vor allem jene auf der langen Wandkonsole: skurril, witzig, kritisch und mit Verweis auf das, was überaltert, aber vielleicht auch voreilig fortgeworfen worden ist. Es könnte auch sein, dass sie über über uns lachen. Für mich sind es Tote, die nicht tot sind.
 
Im Gespräch mit der Galeristin schimmerte etwas davon auf. Sie fühle sich gut in deren Gesellschaft und werde am Arbeitsplatz von ihnen beflügelt. Was in der Nacht geschehe und welche Feste dann gefeiert würden, das könne sie nicht wissen. Am Morgen jeweils seien jedenfalls immer wieder alle auf ihren Plätzen, sagte sie verschmitzt.
 
An jenem Tag, nur wenige Stunden später, befanden wir uns an einem Ort, wo Glaube und religiöser Ausdruck noch lebendig sind. Da stehen, hängen oder sitzen die gepflegten Heiligenfiguren auf ihren Plätzen und ihre Strahlenkränze leuchten noch. Wir waren ins Kapuzinerkloster gekommen, um ein Feierabendkonzert „Leichte Klassik“ zu geniessen. Ein Zufall, dass sich der Ausstellungsbesuch an der Rotwandstrasse und der Konzertbesuch in Rapperswil beinahe nahtlos aneinander reihten und die Gegensätze verbanden. In diesem Konzert hob eine junge Mutter ihr vielleicht 9 Monate altes Kind von Zeit zu Zeit in die Höhe, auf dass es von den feinen Tönen durchdrungen wurde. Viele freuten sich daran.
 
Zwischen den Besuchen der beiden gegensätzlichen Welten beobachteten wir den Sonnenuntergang am See. Bevor die rote Glut unterging, erfüllte sie den Raum des gesamten Seebeckens mit rosafarbenem Licht und sandte ihre Lichtstrassen zu uns hin. Für jede Person ihre eigene und von allen nur diese einem selbst zustehende wahrnehmbar.
 
Gut möglich, dass solche Erlebnisse in fernen Jahren auch als Versatzstücke religiösen Empfindens gehandelt werden.

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