Dienstag, 31. Oktober 2006

Wenn die Mutteraufgabe als Beruf anerkannt wäre ...

Auch ich verfolge die Diskussionen um die Mütter, um das „Eva-Prinzip“ (Buchtitel), wie es Eva Herman mit ihrem Buch in die Welt gesetzt hat. Ich kann mir gut vorstellen, wie viel Unsicherheit jetzt wieder gesät wird.
 
Und ich erinnere mich an Beatrix, an eine Familienmutter zwischen 45 und 50, die mir im Frühjahr einmal erzählte, wie erschöpft und unglücklich sie sei. Neben ihren 3 Kindern im Primarschulalter hatte sie noch eine Freiwilligenarbeit in einer sozialen Institution übernommen und ihre Kräfte überschätzt. Eigentlich ist sie eine Bilderbuchmutter, die es schätzt, der ganzen Familie ein wohliges Zuhause zu schaffen. Das würde ihr grundsätzlich genügen, sagte sie mir. Aber sie fühle sich minderwertig, wenn sie in Gesellschaft keine Arbeit ausser Haus vorweisen könne. Sie weinte, als sie mir ihre Probleme schilderte.
 
Gestern habe ich sie wieder getroffen. Ich fragte nach, ob es immer noch weh tue, wenn die dumme Frage „Was machst denn Duuu?“ gestellt werde. Sie habe jetzt einen Ausweg gefunden, sagte sie verschmitzt. Sie antworte nun meistens : „Ich bin pensioniert und muss nicht mehr arbeiten.“ Da sei das Gegenüber dann irritiert und sie von weiteren Fragen erlöst. Da stimmt doch etwas in unserer Gesellschaft nicht, wenn sich solche Ausweichmanöver aufdrängen.
 
Am 27.10.2006 gesellte sich noch eine weitere Stimme, diesmal aus dem „Tages-Anzeiger“, zu den Aussagen von Beatrix. Im Beitrag „Die kurze Kinderphase geniessen“ las ich von einer jungen Mutter, wie ich solche Erfahrungen aus meinem eigenen Leben auch kenne: „Man wird nur über den Beruf wahrgenommen. Wenn ich an irgendeinem Anlass jemandem erzähle, ich sei Mutter und nicht arbeitsfähig, dann stoppt das Gespräch. Niemand fragt mich, welches Buch ich lese oder ob ich Hobbys habe.“
 
Diese Haltung, oft unter den Frauen selbst, ist in meinen Augen das grössere Problem als die Entscheidung eines Paares, wie Broterwerb und Familien-Management aufgeteilt werden. Es schafft seelischen Druck und schwächt das Selbstwertgefühl.
 
Es sollte sich in unserer Gesellschaft ein offeneres Denken entwickeln, in dem viele Variationen von Lebens- und Familienentwürfen Platz haben. Wir alle sind gefordert. Es gibt nicht nur eine gültige Entscheidung. Je mehr wir uns selber sein können, sind wir echt und stark. Dann fällt es auch leichter, die Verantwortung für unsere Entscheidungen selbstbewusst zu tragen.

Sonntag, 22. Oktober 2006

Folgen des Lichts: Schatten in Zürich und Ombres in Paris

Herbstnachmittag an der Zürcher Bahnhofstrasse. Die Sonne hat uns auch in der Stadt erreicht. Die Luft ist dunstig. Die tief stehende Sonne blendet. Die Menschen, die mir entgegenkommen, kann ich gar nicht richtig wahrnehmen. Sie sind verschwommen.

Aber ich werde aufmerksam auf die Schatten. Das Trottoir ist wild bevölkert von ihnen. Sie verdichten sich, gehen übereinander und wieder auseinander. Ich erkenne, kurze Augenblicke lang, Silhouetten von Köpfen, Körpern, Taschen, auch Veloräder machen an diesem Meeting mit.

Als Kinder sprangen wir unseren eigenen Schatten nach und konnten sie nie erreichen. Aber in jenen der Freundin hinein hüpfen, das gelang. Der eigene Schatten ist untrennbar an uns gebunden. Er ist eine Abbildung von uns, wenn auch abstrahiert oder verzerrt.
Die Ausstellung „Schatten für Kinder (be)greifbar“, hat mich für dieses Thema eingenommen und begleitet mich seither, wie es eben nur der Schatten tun kann. Er ist immer da, wo auch das Licht anwesend ist. Die Aufmerksamkeit den „ombres“ (Schatten) gegenüber, bereichert seither alle Wahrnehmung. Ich besuchte die Installation im Pariser Park de la Villette mit der 4-jährigen Mena. Zu Hause inszenierten wir an den folgenden Abenden dann im dunklen Korridor „ombres“ und kleine Schattenspiele mit Hilfe einer Taschenlampe.

„Ombres“ ist in meiner Familie nun ein geflügeltes Wort, hat eine ähnliche Wirkung wie das überrascht gerufene „Obacht!“. Unsere Beobachtung ist reicher, seitdem wir den Schattenwurf bewusster wahrnehmen und einander zeigen.

Wenn ein Phänomen für die Kinder fassbar dargestellt ist, finden auch Erwachsene leichten Zugang. Das habe ich erlebt und viele, vor allem faszinierte Väter, gesehen. Mena war besonders angetan von der weissen Wand, vor die man sich stellen und bewegen konnte. Sekunden danach zeigte sich darauf die eigene Silhouette, die alle vorgängigen Bewegungen in einem Gesamtbild vereinigte. Auch das gute alte Schattentheater war ein Anziehungspunkt. Mir ist die Darstellung, wie sich die Schatten auf unebenem Grund anpassen, in besonderer Erinnerung geblieben.

Im Ausstellungsprospekt heisst es zu diesem Thema: „Eine Ausstellung zur Beobachtung und zum Experimentieren mit den Phänomenen des Schattens, dem Schlüssel grosser wissenschaftlicher Entdeckungen und der Inspirationsquelle der Kunst.“

Ich bin gespannt, was ich aus diesem Thema noch alles schöpfen werde.

Hinweis
Die Ausstellung kann noch bis Dezember 2006 besucht werden. Adresse: Cité des sciences et de l’industrie, Parc de la Villette, 30, Avenue Corentin-Cariou, 75019 Paris.

Samstag, 14. Oktober 2006

Zürcher Multikulti-Stadtkreis 4: Die Madonna in der Barke

Velofahrt zum Helvetiaplatz. Der Morgen feucht, frisch. Nebel verhangen. Doch je näher ich dem Escher-Wyss-Platz komme, durchdringt die Sonne die Nebeldecke. Nur ein dünner Schleier bleibt zurück und verzaubert das Licht, das uns erreichen will. In feinste Partikel gebrochen, glitzert es jetzt rund um den Feuerball. Der Morgen beschert mir schon ein Schauspiel. Gratis. Ich frage mich, ob solche Lichtspiele zur Fata Morgana gehören. Und weiter gehts.
 
Der Markt auf dem Helvetiaplatz ist bereits belebt. Ich stelle mein Velo hier ab und gehe zu Fuss weiter. Da begegne ich einem jungen Mann, der aus einem Hof heraus kommt. Seine Kleider sind etwas schmuddelig, sein Gesicht umso heiterer. Vor einem parkierten Auto stoppt er, schaut sich im Fenster an, stellt die Mappe ab, zieht den Kamm aus der Hosentasche, kämmt sich, grüsst mich freundlich und geht beschwingt weiter. Ein Lebenskünstler? Vielleicht.
 
Auf dem Weg in unsere Werkstatt, die sich in diesem Umfeld befindet, entdecke ich an der Müllerstrasse die „Madonna in der Barke“. So nenne ich jetzt die Figur, die an der Hauswand des bei jungen Leuten beliebten Szene-Lokals „Daniel H“ angebracht ist. Die Hälfte einer hölzernen Barke simuliert ein gotisches Fenster. Auf einem Tablar im Bug-Bereich steht die blau und weiss gekleidete Madonna mit ihren offenen, schenkenden Händen. Frisch und unberührt erscheint sie im Kontrast zur Oberfläche des Schiffs. Dieses ist lindengrün gestrichen, aber vom Gebrauch arg zerschunden. An den abgewetzten Kanten schaut die darunter liegende Farbe, ein kräftiges Rot, hervor. Die Hausmauer ist in Rosa gehalten. Es wachsen hier auch kleinere Büsche. Eine Idylle. Es ist auch Licht installiert. Ich muss einmal an einem Abend hier vorbeikommen.
 
Wo hat dieses kleine Schiff seinen Dienst getan? Auf dem Mittelmeer? Einem Fischer gedient, der mit vielen Gefahren umgehen und in der Not auf die Madonna vertrauen gelernt hat. Ist es vielleicht ein Nachfahre, der dieses Gefährt vom Grossvater übernommen und in ein Land entführt hat, das keinen Meeranstoss kennt? Wie dem auch sei: Die Installation hat etwas Unaufdringliches, aber Authentisches an sich, ist nicht kitschig. Ein Wurf. Sie berührt mich und ich vermute, nicht nur mich.
 
Der Stadtkreis 4 ist einfach immer wieder für eine Überraschung gut.

Samstag, 7. Oktober 2006

Nachbars Katze, die ihre Beute am Limmat-Ufer fand

Ich sass am Esstisch, schaute in den Garten, trank den Morgenkaffee. Nachbars Katze sprang diagonal über unsere kleine Wiese und schwang sich wie ein Tiger über das niedere Gartentor. Schwupp. Zwischenlandung auf dem schmalen Weg, der unsere Gärten trennt und nochmals Schwupp über das gegenüberliegende Gartentor, dorthin, wo sie zu Hause ist. Ich hatte ihre Sprünge fasziniert beobachtet und bemerkt, dass sie eine Beute in der Schnauze trug. Eine grosse Beute, die ich aber nicht erkennen konnte. Keine Maus, keine Ratte. Diesen Fang wollte sie sicher ihrer Familie zeigen. Zeitung lesend, vergass ich das Gesehene. Doch Minuten später war sie wieder da, muss also mit gleicher Eleganz wieder ihre Sprünge vollführt haben.
 
Jetzt sehe ich das Beutetier mitten in unserer Wiese: Ein Erpel (männliche Ente). Verletzt ist er, versucht aufzufliegen, streckt seinen Hals, wie nach Atem ringend, in die Höhe. Will er vielleicht seine Verwandten zur Hilfe rufen und kann es nicht mehr? Ein Anblick, der traurig stimmt. Die Katze ist jetzt etwas zur Seite gewichen, hält aber die Ente in Schach. Wie ein Urzeiger wechselt sie ihren Platz. Einmal ist die Stunde voll, dann Viertel nach, dann die halbe Stunde, Viertel vor usw. So wandert der Räuber im Kreis herum. In der Mitte die geschundene Ente, die nicht fliehen kann.
 
Als ich die Nachbarin ansprechen kann, ist sie entsetzt. Sie erkundigt sich sofort bei einer Fachstelle für Wasservögel, was zu tun sei und dirigiert die Katze ins Haus zurück. Nicht mehr verfolgt, watschelt die Ente sehr langsam durch das nun offene Gartentor und erreicht innerhalb einer halben Stunde die Hauptstrasse. Fliegen kann sie nicht mehr. Inzwischen wissen wir, dass ihr Ende gekommen ist, dass Katzenbisse tödlich wirken. Dieser Ente hat vielleicht schon vorher etwas gefehlt, dass sie überhaupt gefangen werden konnte. So tröste ich mich.
 
Solche Kämpfe finden täglich zu Hunderten und unbeobachtet statt. Wir denken nicht daran. Aber wenn sie im eigenen Garten stattfinden, kann diese schonungslose Seite an der Natur nicht ausgeblendet werden.
 
Ich sehe Parallelen zu den Machtkämpfen der Menschen. So ist das Leben. Kampf und Leiden sind inbegriffen.

Dienstag, 3. Oktober 2006

Audiagogin erläuterte Bau und Funktion unseres Gehörs

Das habe ich nicht erwartet, dass ein Referat mit dem Titel „Ganz Ohr“ mein Gehör so stark sensibilisieren könnte, dass ich plötzlich Hintergrundgeräusche und das, was ich wirklich hören will, viel besser auseinander halten und Stille umfassender geniessen kann. Es geschah ohne irgendein Training, allein als Folge eines anschaulichen und spannenden Referats. Frau Gigi Ménard, dipl. Audiagogin (Schwerhörigenlehrerin), sprach im Turmzimmer der Zürcher Predigerkirche über das Hörorgan als das sozialste Sinnesorgan und wie wir Hörstörungen besser verstehen können.
 
Alle Erläuterungen liessen sofort eine grosse Ehrfurcht aufkommen. Ein Staunen über dieses Wunderwerk aus dem Zusammenspiel von Aussen-, Mittel- und Innenohr. Daran beteiligt war ein handliches Rechteck aus durchsichtigem Kunststoff, in dem die 3 Gehörknöchelchen (Hammer, Amboss und Steigbügel) eingegossen waren. Dieses in Händen zu halten, liess Grösse, Perfektion und Vollkommenheit erfassen. Aber noch mehr faszinierte mich die Gehörschnecke vom Ausmass einer kleinen Erbse aus dem Innenohr.
 
Hörstörungen können entstehen, wenn in den Gängen dieser winzig kleinen Schnecke Nervenfasern absterben. Dann findet der eintreffende Ton seine ihm eigene Frequenz nicht mehr. Solche nicht mehr ansprechbare Vokale werden dann anders wahrgenommen. Ein „i“ werde als „u“ und ein „e“ als „o“ gehört. Es nützt also nichts, wenn wir mit Schwerhörigen besonders laut reden und meinen, sie müssten uns doch verstehen. Die Hörbehinderung wird nur noch mehr bewusst.
 
Verständlich wird, dass uns alte Menschen manchmal erstaunt und fragend zuhören, aber nicht zugeben wollen, dass sie uns nicht verstanden haben. Aber da liegen dann die Missverständnisse begründet. Wer einfach ja sagt, um nicht eingestehen zu müssen, dass er oder sie nicht verstanden hat, stimmt vielleicht etwas zu, was gar nicht gewollt ist. Hören und verstehen gehören unabdingbar zusammen. Fehlt das Verstehen, ist eine Person von den andern abgetrennt, also in der Isolation und kann weder über ihr Befinden etwas mitteilen, noch irgendwelche Gedanken austauschen.
 
Ein Hörgerät kann Isolation verhindern. Auch die Referentin bedient sich einer solchen Hilfe, hat sie frühzeitig akzeptiert und wird gerade darum als kompetent und als Vorbild wahrgenommen. Schwerhörigkeit könne übrigens vererbt werden.
 
Als ich dieser Tage im Kanton Nidwalden mit einer Seilbahn wieder ins Tal zurückfuhr und mein linkes Ohr noch mit dem Druckausgleich beschäftigt war, hörte ich eine Weile nicht mehr gut. Diesmal nahm ich den Vorgang ganz bewusst wahr und freute mich, als das Ohr wieder offen und für alle Schwingungen normal zugänglich geworden war. Und ich stellte mir vor, welche Teile an meinem Gehör gerade Schwerarbeit geleistet haben.
 
Und was Frau Ménard noch unterstrich: Das Aussenohr sei grundsätzlich selbstreinigend. Niemand solle mit Wattestäbchen, Zahnstochern, Stricknadeln oder ähnlichen Werkzeugen in ihm herumstochern. Der kleine Finger allein genüge für die Reinigung. Es reiche, wenn wir nach dem Bad oder der Haarwäsche den Kopf zur Seite neigen, das Ohr am Läppchen leicht ziehen und leicht ausschütteln. Zu viel Reinigung ist schädlich, regt nur übertriebene Schmalzproduktion an.
 
Mehr Informationen bei www.pro-audito.ch

Mittwoch, 20. September 2006

Pariser Hinterhöfe: „Geteilte Gärten“ und exotische Bäume

Die Frühstücks-Lektüre von heute führte mich – schwupps – nach Paris. Der „Tages-Anzeiger“ berichtete heute von den „Geteilten Gärten“, die in der Seine-Stadt nun zum Kult geworden seien.

Brach liegende Parzellen werden nach diesem Bericht seit 2001 als Gärten genutzt, sind Alternativen zu den bekannten Parkanlagen und beleben Hinterhöfe und ungenutzte, noch nicht zubetonierte Grundstücke. Das System scheint einfach: „Wer einen ‚Geteilten Garten’ will, muss ein Stück Land finden und einen Verein gründen. Die Stadt liefert die Erde, den Zaun und den Wasseranschluss“, heisst es in diesem Aufsatz vom 20.9.2006. Die Bezeichnung „geteilt“ verstehe ich dahin, dass nicht einer allein einen solchen Garten erblühen lassen kann.

Das schöne Bild zur Reportage zeigt einen farbigen, wild romantischen Gartenfleck, umgeben von typischen Pariser Wohnhäusern und am Rand ein Baum, der alles Wachstum zu beschützen scheint. Sein gefiedertes Blattwerk ist mir sofort aufgefallen. Entstammt er vielleicht einer Akazienfamilie?
Dann wäre er mit der Seidenakazie, auch Schlafbaum genannt, verwandt. Diesen habe ich im Juli im Gelände der grossen Klinik Bichat in Paris entdeckt. Da standen eine ganze Reihe dieser Exoten und fächelten mir einen milden Duft zu. Ich staunte, hatte noch nie so grosse und doch so zart gebaute rosafarbene Blütenquasten gesehen. Ich fotografierte sie, aber sie entzogen sich mir lange. Der leiseste Wind bewegte die extrem feinen, seidenen Fäden unaufhörlich. Die Kamera konnte nur eine Art Aquarell abbilden. Einmal, bei kurzer Windstille, gelang es dann doch, dieses Blütenwunder festzuhalten. Die genaue Bezeichnung dieses Baums konnte ich dann beim Botanischen Garten in Zürich erfragen. Es handelt sich um die „Albizia julibrissin“, auch Seidenakazie genannt. Im Internet sind viele Abbildungen von ihr zu finden. Es wurde auch mitgeteilt, dass ein solcher Baum auf dem Gelände des Botanischen Gartens Zürich stehe und in heissen Sommern auch bei uns blühe. Der Baum stamme ursprünglich aus Asien.

Letzte Woche habe ich einige Exemplare auf dem Friedhof Küsnacht Dorf entdeckt. Dort zieren diese schönen Fremdlinge das Gemeinschaftsgrab. Das gefiederte Blattwerk ist Licht durchlässig, nimmt dem Ort die Düsternis und Strenge. Und der Name Schlafbaum passt wohl ausgezeichnet in einen Friedhof.
Auch in Paris werden jetzt aus den Blüten Bohnen gewachsen sein. Dort stehen die Albizia-Julibrissin-Bäume neben der Maternité und begrüssen die Neugeborenen, wenn sie aus der Klinik entlassen werden.

Diese Bäume haben mich damals als wartende Grossmutter angesprochen. Sie kitzelten meine Nase, führten mich beim Fotografieren im Kreis herum. Sie lachten vielleicht über mein Erstaunen. Auf jeden Fall werden sie ewig mit der Geburt von Nora in Verbindung stehen. Und wer weiss, vielleicht wollten sie mir orakeln, dass das Neugeborene ein heiterer Mensch werde, so beweglich wie ihr filigranes Blattwerk und so feinfühlig und stark wie die Seidenfäden der Quaste.

Freitag, 8. September 2006

China-Garten: Im Herbst „Drei Freunde im Winter“ besucht

Ein paar geheimnisvolle Sätze als Einleitung:

„Die Mauer trennt die äussere, profane Welt vom künstlerischen, idealen Mikrokosmos im Garteninnern – bietet aber auch Schutz vor ungebetenen Besuchern.“

„Neun Nagelreihen und die rote Farbe des Tores sind in Z.-Ch... ursprünglich dem Kaiser vorbehalten.“

„Felsformationen sind wie die Knochen im Körper: Sie geben dem Garten erst Halt.“

„Sobald man den Pavillon betritt, verdoppelt der Wasserspiegel die Gebäude und vermittelt so eine neue Sicht des Raumes.“

„Der Sechseckpavillon suggeriert die luftigen Höhen mit dem Schneetreiben im Winter.“

Der Teichrand ist mit Weiden gesäumt, die im Winde wiegend an die Biegsamkeit und Anmut von Tänzerinnen erinnern.“

Diese Beschreibungen entnahm ich dem Prospekt für den „Chinagarten Zürich – Drei Freunde im Winter“. Die Symbolik nennt drei Bäume, die dem Winter trotzen: Die Föhre, der Bambus und die Winterkirsche.

Ein paar Schritte nur durch den kleinen Gang der oben erwähnten Mauer und wir sind in China angekommen. Die Inschriften würden auf die Eigenart und Kultur Yunnans hinweisen, erfahre ich ebenfalls aus dem Faltblatt.

Dann aber lege ich es zur Seite, wie immer, wenn ich mit Gästen von auswärts hier ankomme. Wir sind es nicht gewohnt, diese hohe Kultur über symbolische Worte ganz zu verstehen, wohl aber wirkt sie ganzheitlich auf uns und stimmt uns heiter. Natur und Kultur sind hier vereinigt, zeigen uns ihre schönsten, vornehmsten Seiten und entführen uns in fremde Sphären. Die Blickpunkte, Sichten und Durchsichten sind mannigfaltig und die Farbspiele wirken wie Musik. Es fällt mir immer wieder auf, wie die Besuchenden, von dieser Atmosphäre berührt, stille werden. Niemand muss hier sagen, verweilen sei wichtig. Bäume, Bauten und Wasser tun das auf ihre Art.

Gestern war ich wieder einmal in diesem China, das die Partnerstadt Kunming der Zürcher Bevölkerung vor 13 Jahren als Dank für technische und wissenschaftliche Hilfe beim Ausbau der Kunminger Trinkwasserversorgung und Stadtentwässerung geschenkt hat.

Diese Oase verdient es, dass im Blogatelier auf sie aufmerksam gemacht wird.

Der Chinagarten befindet sich auf der Blatterwiese an der Bellerivestrasse in Zürich und ist von Ende März bis Mitte Oktober täglich von 11 bis 19 Uhr geöffnet und z. B. mit dem Limmatschiff (bis Zürichhorn) angenehm zu erreichen.

Freitag, 1. September 2006

Schlagzeilen, die zum Sinnieren animieren: „Bin ich ICH?“

Bekanntlich bin ich etwas wortsüchtig. Ich fange gerne Schlagzeilen auf und mache mir meine Gedanken dazu. Heute nun, im Tram Nummer 4 in Zürich, erhasche ich die Frage: „Haben Sie einen bestimmten Grund für das Gesicht, das sie gerade machen?“

Was soll das? Vor dem Aussteigen entnehme ich dem dazugehörigen Prospekt-Behälter ein Reklameblatt mit einer weiteren Frage: „Bin ich ICH?“ Spannend. Aber erst zu Hause habe ich dann die nötige Ruhe, um das Gedruckte zu lesen. Es ist nichts anderes als der Spielplan des Zürcher Schauspielhauses mit einzelnen Zusammenfassungen von Gastspielen, die im „Schiffbau“ oder „Pfauen“ zu erleben sind. Aber keine direkten Bezüge zu den Fragen, die mich angesprochen haben.

Gut gemacht, Werber. Mich habt ihr im Sack.

Die Fragen muss ich also selber beantworten. Und der Spiegel, der mir zeigen würde, wie ich gerade aussehe, fehlte auch. Ich sähe meine Regungen auch im Theater nicht, wenn ich den verlockenden Aufführungen folgen würde. Aber Anregungen zum Sinnieren sind sie schon. Wie schaue ich aus? Wie nimmt mich das Gegenüber wahr? Es können immer nur kurze Sequenzen sein, die etwas ausdrücken, was mich gerade beschäftigt. Bekanntlich purzeln Gedanken hin und her. Bedenkenswert auch, dass wir gar nicht immer gleich aussehen können.

Im Theater wird mit dem Leben abgerechnet. Es wirft schonungslos Fragen auf, wühlt uns auf, um uns und unser Verhalten besser zu erkennen. „Bin ich ICH?“ ist eine Frage nach der Lebensaufgabe. Bin ich die, die ich sein soll oder eifere ich Wunschbildern nach?

Wenn ich mich sein kann, wird sich das in meinem Gesicht ausdrücken. Nicht als Momentaufnahme, sondern als eine innere, wohltätige Ruhe.

Ob diese allen gefällt, sei dahingestellt. Für die, die den Kampf lieben, ist sie wohl zu langweilig.

Mittwoch, 9. August 2006

Leben wie Gott in Frankreich bzw. Paris – bei dieser Luft!

Schon zweimal habe ich den sympathischen Samstags-Markt für Gemüse, Fische und Fleisch unter den Bäumen des Boulevard des Batignolles in Paris besucht und dort reelle, biologische Produkte kaufen können. Dieser Ort hat Charme und ist ein geeigneter Platz für die Präsentation wertvoller Produkte.

Hier kann ich frei atmen. Ganz anders 5 Minuten davon entfernt, rund um Place Clichy, wo ich immer meine, den ganzen Staub und Schmutz der Stadt Paris auf meiner Brust herumzutragen. Ich bedaure alle, die hier leben müssen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Luftverschmutzung über Jahre hinweg ohne gesundheitliche Folgen bleibt.

Zum Glück gibt es für Mena den Hort, den wir Sommerhort nennen, die Betreuung der Kinder, die während der Sommerferien weder ans Meer noch in die Berge fahren können. Oft werden sie im Autobus an geeignete Spielplätze oder in Wälder ausserhalb von Paris gefahren, damit sie dort unbeschwert und in frischer Luft mit Gleichaltrigen spielen und sich austoben können.

Ich erinnere mich gut – es mag etwa vor 30 Jahren gewesen sein − als ich an einem Morgen in Chur (Schweiz) auf dem Bahnsteig auf den Bernina-Express-Zug wartete. Da traf der Nachtzug aus Paris ein. Ihm entstiegen viele bleichgesichtige Kinder. Jedes trug ein Namensschild an einem Bändel um den Hals. Es waren Kinder, die zu einem Erholungsurlaub in die Schweizer Bergwelt eingeladen worden waren.

Und jetzt habe ich 2 Enkelkinder, und diese wachsen gerade in Paris auf. Keine Wunschdestination der Grossmutter. Damit muss ich mich abfinden. Auch ich schätze natürlich die pulsierende Weltstadt mit ihrem Völkergemisch, mit all ihren kulturellen Angeboten, „dem Leben wie Gott in Frankreich“, mit der Förderung der Intelligenz und ihrer Strahlkraft als Weltstadt. Leben heisst aber atmen. Es erkranken oder ersticken einmal nicht nur Menschen an verschmutzer Luft. Der ganze Planet Erde ist in Gefahr. Alle Probleme müssten sich der Luftreinhaltung unterordnen. Das ist immer noch meine Ansicht.

Es tönte wie kleiner Trost und für mich persönlich geschrieben, was ich im „Magazine d’information de la Marie de Paris“ aus der Feder des Stadtpräsidenten, Monsieur Bertrand Delanoë, lesen konnte. Er erklärte, die gravierenden Probleme rund um die Lebensqualität, die Volksgesundheit und den öffentlichen Verkehr seien erkannt und erforderten einen entschiedenen Einsatz.

Nun eilt es aber, das Erkannte umzusetzen. Hoffentlich kommen alle Bemühungen, die jetzt auch in andern Ländern zu beobachten sind, nicht zu spät. Ein Wettbewerb unter den Weltstädten könnte uns allen nur nützen.

Donnerstag, 3. August 2006

Herausragende Erlebnisse der vergangenen Pariser Tage

Nummer 1: Am Samstagmorgen, 29. Juli 2006, der Gemüsemarkt bei Barbès: Ein langgezogenes, sehr, sehr grosses Gelände, überdacht von der Metrobrücke, die hier ein Stück weit aus dem Erdreich herauskommt. Der Andrang riesengross. Die Angebote verlockend. Die Fülle einmalig. Die Ausrufer mehrheitlich Nordafrikaner, die mit ihren seltsamen, gehackten Worten die Kauflust wecken. Ungewohnt für mich. Da herrscht Existenzkampf pur. Wer hier überleben will, muss schreien. In mir riefen diese diktatorischen Wortfetzen eher Widerstand hervor. Gekauft habe ich dann frische Minze. Für sie musste niemand rufen. Ihr starkes Aroma wirkte magnetisch.

Nummer 2:
Am folgenden Sonntagmorgen eine Fahrt mit dem Velo von Place Pigalle bis nach der Cité de la Villette. Mit Mena als Vorfahrerin. Erstaunlich: Ein 4-jähriges Kind im Pariser-Verkehr. Selbstverständlich auf Velowegen und gut behütet von seinem Papa. Die Strecke, die dem Kanal entlang führt, ist besonders eindrucksvoll, und auf allen Abschnitten gab es immer wieder Partien mit Alleen, schönen alten und auch jungen Bäumen. Am Rand einer Wiese ein überdimensioniertes Velorad, zu zwei Dritteln im Rasen versenkt. Eine Skulptur und Hommage an das Fahrrad, französisch bicyclette, die mich sofort ansprach.

Nummer 3:
Der Besuch in der Mütterberatung. Die neugeborene Nora musste gezeigt, gemessen und gewogen werden. Mit uns im Warteraum auch afrikanische Mütter und ein Vater. Diese sicheren Gebärden, mit denen sie ihre Säuglinge beruhigen oder beim Trinken unterstützen. Feinfühlig und stark. Eine dieser Frauen kam mit Zwillingen hierher. Nach dem Untersuch und dem Füttern konnte ich mitverfolgen, wie sie ihren Rücken im rechten Winkel beugte, das vor sich auf einem Tisch liegende Kind in dieser Haltung eigenhändig auf ihren Rücken platzierte, dann das vorbereitete Tuch nach hinten schwang und mit ihm das Neugeborene festzurrte. Es war am Schluss gar nicht mehr genau nachvollziehbar, wie sich alles abwickelte. Es geschah offensichtlich aus altem Wissen und mit viel Erfahrung und vor allem schnell. Der Moment, wo das Kind mit dem Bauch auf Mutters Rücken zu liegen kam, war der spannendste. Ich hielt den Atem an. Verhält es sich ruhig? fragte es in mir. Ganz ruhig und die nachfolgenden, nur vom Fühlen begleiteten Einpackbewegungen der Mutter entsprachen der Sicherheit, die das Kind offenbar gut kennt. Als sie sich aufrichtete, hing ihr Säugling sicher und wohl geborgen an ihrem Rücken. Das 2. Kind wurde ganz gewöhnlich in ein Frottetuch eingehüllt, wie wir das in Europa auch machen, und auf den Arm genommen. So ging die Frau dann weg.

Wie meine Erfahrungen zeigen, begegnet man in Frankreich nicht nur den Franzosen. Viele Kulturen haben hier ihre eigenen Plätze und Räume und in ihnen ihre Geschäfte für die eigene Nahrung und Kleidung. Das Zusammenleben gestaltet sich kulturübergreifend, wenn es um die sozialen Dienste geht, wie beispielsweise die Mütterberatung, die Gesundheitsdienste, die Einschulung usw. Und aus diesen Kontakten können Freundschaften und Gemeinsamkeiten erwachsen.