Am 14. Januar 2005 ist mein erster Beitrag im Textatelier Hess von Biberstein veröffentlicht worden. Ich erinnere mich gut. Es waren Tage voller Freude. Es hatte sich für mich ein grosses Tor geöffnet. Bis dahin schrieb ich vor allem Geschichten in persönliche Briefe verpackt.
Walter Hess war begeistert, wie sich sein Textatelier, das wir später Blogatelier nannten, entwickelte. Als ehemaliger Chefredaktor der Zeitschrift Natürlich lud er nach seiner Pensionierung ehemalige Mitarbeitende ein, am Textatelier mitzuschreiben. Auch ich wurde eingeladen.
Jetzt habe ich mich vom damaligen ersten Blog inspirieren lassen und erzähle, wie ich mein heutiges Umfeld erlebe. Ich wohne nicht mehr am selben Ort. Ich lebe in Zürich-Altstetten am Abhang von Schlierenberg. Hier ist es stiller und ich begegne weniger Menschen. Aber die Kinder, die in diesem Umfeld zur Schule gehen, versprühen viel Energie.
Hatte ich damals einen Rundgang schon vor Sonnenaufgang beschrieben, gehe ich heute später und zweimal aus dem Haus. Ich möchte noch Lebensmittel einkaufen, bevor ich in die Stadt fahre. Beabsichtigt ist auch, dass ich heute das Velo aus dem Winterschlaf hole. Der Schnee ist geschmolzen, Velofahren ist wieder möglich und meine Freude entsprechend gross. Ich treffe niemanden an. Auch im Schulhof nebenan ist es still.
Zu Hause, im Treppenhaus, begegne ich dem Hausbesitzer. Er kam gerade von einem Spaziergang mit dem Hund wieder heim. Wir bleiben einen Augenblick stehen und erzählen, was gerade ansteht. 1 Stunde später verlasse ich das Haus, überquere unsere Strasse und schon bin ich auf dem alten Weg, der mich beinahe schnurgerade zur Bus- und Tramstation Farbhof führt. Er trägt den Namen Schlierenberg. Er ist schmal, sehr alt und auf eine altmodische Art sehr schön. Er gehört nur den Fussgängern. Ich liebe ihn, fühle mich wohl bei ihm. Auch die Enkelinnen gehen diesen Weg gern. Wenn sie zu Besuch kommen, wollen sie dort jeweils die Zwerge grüssen.
Interessant ist der Name dieses Fussweges. In ihm sind Weg und Ziel vereint: Schlierenberg. Er heisst nicht Schlierenberg-Weg.
Ich gehe markant abwärts. Eine Gruppe begleiteter Kinder kommt mir entgegen. Ich stehe still, weil diese den Raum beinahe ausfüllen. Sie ziehen an mir vorbei. Die bunten Farben ihrer Jacken malen ein fröhliches Bild. Auch für sie hat der Tag erst jetzt richtig begonnen.
Im Tal angekommen, wähle ich für die Fahrt in die Innenstadt den Bus. Ich muss nicht lange auf ihn warten. Die kurze Wartezeit reicht noch, dass ich einer jungen Frau, die mit ihrem Kind im Kinderwagen unterwegs ist, Münzen wechseln kann. Der Automat akzeptiert keine 5-Räppler.
Der Bus trifft ein. Genügend Sitzplätze sind vorhanden. Er führt uns durch die Hohlstrasse. Ich schaue aus dem Fenster, nehme immer wieder Veränderungen wahr. Seitdem ich diesen Ort im Blog Augenblicke wie in den Ferien am 28. August2012 beschrieben habe, bin ich interessiert, die Wandlungen an dieser wichtigen Strasse mitzuverfolgen. Wie damals erahnt, mussten alle kleinen Gebäude und Schuppen den Neubauten weichen. Zum Leidwesen vieler Handwerker und Kunstgewerbler. An ihrer Stelle sind schon einige gigantisch hohe und langgezogene Bauten entstanden, die dem Namen Hohlstrasse immer noch entsprechen. Die Art eines Couloirs, wie es dem Fussweg Schlierenberg eigen ist, gilt auch für die Hohlstrasse. Nur x-fach grösser. Zur Hohlstrasse gehören Kastanienbäume. Auf der Strecke von über 1 Km lebt und steht hier immer noch eine prächtige Allee.
Diese Buslinie ist beliebt und begehrt. Auch von Menschen aus fernen Ländern. Auf der langen Fahrt ins Stadtinnere beobachte ich interessiert den ewigen Wechsel von Kommen und Gehen. Und ich bewundere oft junge Frauen, wie sie den Kinderwagen in den Bus hieven. Und auch wie selbstsicher sie Platz beanspruchen.
Am Löwenplatz angekommen, wird mir bewusst, dass sich die Zeit für die Mittagspause nähert. Es sind viele Menschen zu Fuss unterwegs. Bei der Durchfahrt erhasche ich einen Blick in die Bahnhofstrasse. Der immer noch grau verhangene Himmel lässt keine Farbspiele zu. Alle Menschen scheinen in grauen, dunkelblauen oder schwarzen Jacken und Mänteln daher zu kommen. Weiterfahrt über die Bahnhofbrücke.
Der Bus kann nicht zufahren, bleibt eine Weile stehen. Da sehe ich eine weisse Sonne mit hellblauer Aura am Himmel. Ein Zeichen, dass sich der Nebel bald auflösen wird. Gleich danach erhasche ich das Bild eines Mövenschwarms, der vielleicht vom Wind zerzaust worden ist. Die zusammengehörende Gruppe wird mehrmals auseinander gerissen und rauft sich dann wieder zusammen. Es dauert jeweils eine Weile, bis sich die Vögel erneut zusammenfinden und gemeinsam in ihrem Verbund weiterfliegen.
Ob wirklich nur der Wind einen Schwarm auseinander reissen kann? Muss die Führung auch Opposition ertragen? – Ich weiss es nicht.
Am Central verlasse ich den Bus. Als persönliche Einstimmung zum Treffen mit Mitschülerinnen schaue ich kurz zum Hirschengraben hinauf. Dort erlebten wir damals unsere gemeinsame Sekundarschulzeit.
Im Gasthaus dann ist die Stimmung unter uns Freundinnen immer noch dieselbe wie einst. Unsere Eigenarten sind bekannt.
Mehr und mehr zeigen sie sich stärker. Wir haben viel Gemeinsames erlebt, auf das wir nicht mehr zurückkommen müssen. Unsere Wege gingen in verschiedenste Richtungen. Und jetzt bringen wir unsere eigene Welt, unsere Erfahrungen und ganz speziell auch die persönliche Eigenart mit. Viele Einflüsse von den damaligen Lehrpersonen haben sich schon längst aufgelöst. Ebenso der Schwarm — unsere Klasse — an sich. Für zwei, drei Stunden an diesem Tag bewegen wir uns jetzt zwischen Vergangenheit und Gegenwart und werden für diese Zeitspanne wieder zu einem kleinen Schwarm.
Ich war schon früh angekommen, wurde vom Kellner an den reservierten Platz begleitet, konnte mitverfolgen, wie die Mitschülerinnen eintrafen, aber auch wie sich das Gasthaus mehr und mehr füllte. Und wir, die wir nach und nach mit den neuesten Geschichten aus unseren Familien beschäftigt waren, die Umwelt gar nicht mehr wahrnahmen.
Auf einmal bemerke ich, wie viele der Gäste schon weggegangen sind. Scheinbar lautlos. Gerne wüsste ich, wie ein solcher Raum isoliert ist. Alle Geräusche hatte er geschluckt. Oder waren wir vielleicht so intensiv am Erzählen, dass uns nichts und niemand übertönen konnte…?
Auch das weiss ich nicht.
Aber, dass ich soeben den 400. Blog geschrieben habe. Das ist sicher.
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