Primo und ich erlebten die Kindheit im Industriequartier in Zürich 5, heute unter dem Namen Zürich-West
bekannt. Viele Bezüge zur Natur konnte uns dieser Stadtteil nicht
vermitteln. Darum schätzen wir heute unser Zuhause in Zürich-Altstetten
auch darum, weil es am Stadtrand liegt und wir Schlierenberg und seinen
Wald innert einer halben Stunde erreichen.
Ich habe schon manches Erlebnis aus diesem Gebiet beschrieben, und immer wieder gibt es neue und einmalige.
An einem der bisher sonnigsten Tage spazierten wir nach dem Nachtessen noch nach Schlierenberg. Dorthin, wo der Himmel offen und die weite Sicht ins Limmattal garantiert sind.
Es war die letzte Stunde vor dem Sonnenuntergang und wir hofften,
von seinem Abschiedslicht noch etwas zu erhaschen. Als wir auf dem
grossen Rastplatz eintrafen, sahen wir vor allem Wolken. Einem
Gebirgszug ähnlich. Wie eine echte Felswand stand dieser vor der Sonne.
Die dicken Wolken liessen kein Licht durch. Und vor allem bewegten sie
sich nicht. Das Licht aber fand seinen Weg den rückseitigen Wänden hoch
und strahlte deren Silhouetten an. Ihrer Kontur nach entstanden
Lichterketten, wie wir sie von Festzelten kennen. Aber tausendmal
schöner, eindrücklicher und berührender. Mit einem Zauber, den nur das
natürliche Licht spenden kann.
Nach und nach färbte sich der Himmel tief rot. Immer stärker. Wir
wunderten uns, dass es am Fuss des Wolkengebirgszugs ein Seitental
simulierte, und wir scherzten, dass die untergehende Sonne bald am Fuss
dieser Wolkenwand hervortreten werde. Und dann staunten wir, dass dies
geschah.
Glutrot und von einem goldenen Schein umgeben, kam sie für den
Abschied hervor und versank in wenigen Minuten hinter der Erde. Ihre
Strahlkraft war enorm, beinahe beängstigend. Die Augen meldeten
jedenfalls, wir sollten sie schonen.
Dann war das Schauspiel zu Ende, und wir waren uns einig, ein solches noch nie erlebt zu haben.
Und jetzt, beim Schreiben, erinnerte ich mich plötzlich an einen Text von Johannes Itten (1888‒1967), den Schweizer Maler, Kunsttheoretiker und Kunstpädagogen. Seine Aussage vom uranfänglichen Licht begleitet mich bis heute:
Farben sind Ur-Ideen, Kinder des uranfänglichen farblosen Lichtes und seines Gegenpartes, der farblosen Dunkelheit.
Das Licht, dieses Ur-Phänomen der Welt, offenbart uns in den Farben den Geist und die lebendige Seele dieser Welt.
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