Wenn ich auf die Ferientage zurückschaue, sehe ich vor den inneren
Augen vorbeihuschende und sich überlagernde Bilder, wie sie sich jeweils
am Abend vor dem Einschlafen präsentierten. Wir waren im Bus unterwegs.
Sassen still, liessen die Landschaft auf uns zukommen.
Ab Bludenz (Vorarlberg) sah und erlebte ich Unbekanntes. Das Klostertal. Die Reise über den Arlberg. Der Kaffeehalt auf der Passhöhe. Einzelne Skifahrer auf eisigem Gelände. Weiterfahrt nach Landeck.
Erinnerungen an eine Velofahrt ab St. Moritz nach Innsbruck stiegen
auf. Ich war aber erst richtig angesprochen, als ich die Kirche mit dem
orangeroten Zwiebelturm von Pfunds sah. Da fühlte ich mich damals in sehr alter Zeit, meinte, in einer Sust angekommen zu sein. Aus Primo sprudelten viele Erinnerungen heraus. An diesem Ort lernten wir das Wort Pfanderl kennen. Eine Speise in einer kleinen Bratpfanne serviert. Das Wort ist in unserem Haushalt gut integriert. Heut gibt's ä Pfanderl! heisst es öfters.
Neu nun die weitere Strecke: Reschenpass. Reschensee. Der
vom Stausee umspülte Kirchturm, der mir schon jahrelang auf
Reiseprospekten begegnet ist. An diesem Tag auch von Eis umgeben.
Wahrzeichen des Vinschgaus. Mit hohem Alter. Er stammt aus dem 4.
Jahrhundert und sei mit Beton gefüllt. Hier gehörte ein Fotohalt dazu.
Das Gefährt eine Weile zu verlassen und frische Bergluft zu tanken, ein
Genuss. Wundervolle Fahrt durch das Südtirol. Herbe, liebliche
Landschaft mit Obst- und Weinkulturen. Aprikosen und Äpfel werden hier
in Niederkulturen angebaut.
Das abfallende Gelände ist Teil der Schönheit dieser Landschaft.
Immer wieder schaute ich nach unten aus und wunderte mich, dass der
Talboden noch nicht erreicht war. Die Farben der Landschaft waren in
dieser Woche vom Frühling geprägt. Böden trugen aber auch noch
hellbraune Winterpatina. Menschen, die hier leben, müssen eine grosse
Geborgenheit fühlen und mit einem Schönheitssinn zur Welt kommen.
Ich weiss nicht, wie die Menschen aus dem Vinschgau ihre Landschaft
benennen. Ich nahm sie wie eine übergrosse Tüte wahr, die ihren Schatz
nach unten rieseln lässt. Ich sah eine Ortschaft mit vielen Türmen,
alten Wehrtürmen, Kirchtürmen, die im offenen Raum zwischen 2
auseinander liegenden Gebirgszügen angesiedelt sind. Ich kann sie in
keinem Reiseführer finden, frage mich, ob sie eine Komposition meiner
Emotionen ist. Wahr ist, dass wir auf dieser Reise etliche Kirchen,
Türme und auch die mächtige Benediktinerabtei Marienberg sahen, die alle besondere, herbe Schönheit ausstrahlen.
Im Bildband Südtirol von Adolf Sickert (1986) schreibt Hans Humer über Land und Volk der Heimat Südtirol: Wer
über Südtirol nachdenkt, gelangt an kein Ende. Er mag hinabtauchen oder
sich aufschwingen, den letzten Grund und die letzte Höhe erreicht er
nicht, denn hier lebt noch immer eine Welt des Geistes und der Seele,
des Herzens und des Gemütes, die nicht auszuwandern ist.
So wirkten das Land, seine Topographie und die Menschen auf mich. Auch das Mittagsmahl im Hotel Maria Theresia in Schlanders
bestätigte solche Aussage. Der Hotelprospekt spricht von herzlicher,
familiärer Gemütlichkeit. Diese haben wir erlebt. Und das Essen, von uns
allen individuell gewählt, liess die Rast zum Festessen werden.
Weiterfahrt. Nächster Halt: Kalterersee. (Lago di Caldaro). Ein südlicher Ort. Palmen und blühende Bäume begrüssten uns. Schwimmbad-Stimmung, obwohl es noch zu kühl war, um zu baden. Für Gelati
stand man in der Warteschlange an. Der See ist für Wassersport beliebt.
Es wurde gerade ein Wettkampf vorbereitet. Im Umfeld wird Wein
angebaut. Kalterersee war der Wein, den mein Vater an Festtagen
getrunken hatte. Schön, solche Orte zu finden. Es gibt also diesen See.
In Salurns wurden wir auf die Sprachgrenze aufmerksam gemacht. Ab diesem
Ort zieht sich die deutsche Sprache zurück. Von da an wird Italienisch
gesprochen.
Bozen und Trento wurden nicht berührt. Zügige Fahrt dem Gardasee
entgegen. Die Berge hatten wir verlassen. Den Charme des Vinschgaus
ebenfalls. Erstaunt schaute ich den Vergleich der Höhenmeter an. Vom
Reschenpass bis ins Umfeld von Trento sind wir 1310 m abwärts gefahren.
Der weiteren Reise fehlte das Besondere. Wir reisten auf einer typischen Autobahn. Hie und da zwinkerte mir das Wasser aus der Etsch zu. Dann verschwand es wieder, um später erneut zu grüssen. Italienisch heisst dieser Fluss Fiume Adige. Seine Quelle entspringt nahe dem Reschenpass. Seine Reise endet im adriatischen Meer. Er ist der längste Fluss Italiens.
Kurz bevor wir an Trento vorbeifuhren, stupfte ich Primo,
der etwas gedöst hatte. Ich wollte daran erinnern, dass wir jetzt ins
Umfeld seiner Urgrosseltern gekommen seien. Sie entstammten der Provinz
Trentino.
Vor mir im Bus schlief eine Frau, einige Reihen hinter uns
erzählten sich 2 Männer pausenlos Geschichten. Es gelang mir, nicht
zuzuhören. So blieb ich wach und erwartete den ersten Blick auf den
Gardasee. Und entdeckte unerwartet die Hinweistafel auf den Ort Peschiera.
Mit grosser Freude. Wir fuhren aber nicht ins Zentrum. Ich erschauerte,
was ich hier antraf. Geschäft an Geschäft, Zweigstellen internationaler
Markenfirmen. Dominante Namen an Hausfassaden. Viel Verkehr, Hektik.
Was würde auch Johanna Spyri sagen, wenn sie das Umfeld von Peschiera heute sähe? In ihrem Buch Heimatlos
ist dieser Ort bedeutungsvoll. Ich bewunderte den Chauffeur, wie
sorgfältig er unsern Bus durch das Gewusel von Mensch und Autos
steuerte.
Angekommen in Felice del Benaco im Hotel Casimir.
Zimmerbezug, eines von den 199 zur Verfügung stehenden Zimmern. Vor
unserer Balkontür, die direkt auf eine Wiese und zum Seeufer führt,
wartete ein Entenpaar um uns zu grüssen und zu betteln.
Der vom Hotel offerierte Apéro und das Nachtessen nach eigener
Zusammenstellung verbreiteten gute Stimmung. Es standen Vor-, Haupt- und
Nachspeisen zur Selbstbedienung bereit. Welche Fülle. War ich im
Schlaraffenland angekommen? Auch Genuss für die Augen. Italienische
Kochkunst, Grosszügigkeit und Lebensfreude.
Im Speisesaal waren die Tische für 4 Personen immer übers Eck und
mit Abstand zum nächsten hin platziert. Es sah aus, als wollten diese
Vierbeiner tanzen. Verschiedene Kellner im Livrée überwachten das
Geschehen, halfen, wenn wir Informationen brauchten. Grundsätzlich
bedienten sie nicht, damit der Gast sein Essen selbstbestimmend
zusammenstellen und an seinen Tisch tragen konnte. Mir hat diese Ordnung
gefallen. Ebenso die Persönlichkeiten der Mitarbeitenden. Die
Atmosphäre in diesem grossen Raum liessen mich an die Commedia dell' arte und an Goldoni-Figuren denken. Und dass auch wir, die angereist sind, in diesem Theater auftreten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen