Jeder Frühling zeigt sich anders. Letztes Jahr (2010) erkannte ich
ihn an einer einzigen Krokusblüte in einem noch tief schlafenden Garten.
Diesmal muss er gelacht haben, als ich eines Morgens die mit unzähligen
Primeln übersäte Wiese rund um unser Zuhause endlich entdeckte. Es war
ein freudiges Erschrecken.
Über Mittag können wir bereits auf dem Balkon etwas Sonne tanken.
Seitdem die Bise abflaute, ist es angenehm mild. Und das Béret benütze
ich nur noch am frühen Morgen für die Ausfahrt auf dem Velo.
Als ich am Freitag, 25.03.2011, in die Innenstadt fuhr, begegnete
mir am Hauptbahnhof eine japanische Frau. Sie zog einen Rollkoffer
hinter sich her, war vermutlich gerade vom Flughafen ins Zentrum
gereist. Sie trug eine weisse Atemschutzmaske und ging zielstrebig ihren
Weg. Eine Vorsorge, falls auch hier die Atmosphäre schon radioaktiv
verseucht sei? Ihr Anblick stimmte traurig. Später erfuhr ich aus dem
Tagebucheintrag von Thomas Peter aus Yokohama, dass zu dieser Zeit
Tausende von Japanern von Heuschnupfen geplagt seien, ausgelöst durch
Zedernpollen. Er berichtet jeweils im Tages-Anzeiger aus dem
gegenwärtigen Alltag in Japan. Die erwähnte Frau wollte sich vielleicht
„nur“ vor den europäischen Pollen schützen. Wer weiss? Ja, die
Pollenallergie gehört auch zum Frühling und lässt viele Mitmenschen
leiden.
Vom Kinderarzt, der seinerzeit unsere Töchter betreute, weiss ich,
dass die Märzsonne für Patienten schädlich sein kann. Das Frühlingslicht
beschwingt den gesunden Menschen, den kranken kann es angreifen. Wir
sollen uns diesem wieder erwachten Licht behutsam aussetzen, riet er uns
vor vielen Jahren.
Mich macht das Frühlingslicht jeweils quirlig. Und es blendet mich.
Und diesmal brachte es zum Thema passende Erinnerungen wieder an die
Oberfläche. Vor meinen inneren Augen lief kürzlich jene Filmsequenz aus
der Ausstellung in Erstfeld ab, als die beiden Strahler ihre im
Planggenstock gefundenen Riesenkristalle ins Freie führten. Sehr
behutsam, sehr besorgt, dass sie vom Sonnenlicht nicht erschreckt
wurden. Sie waren Jahrmillionen im Dunkeln, vom Gestein gehalten. Sie
ohne Risse ins Tageslicht zu führen, gelang nur, weil die Männer
vorsichtig und der Energie im Stein gegenüber respektvoll vorgingen.
(Siehe auch Blog vom 4.10.2007: Flüelen UR: Begegnung mit kräftigenden Riesenkristallen).
Für mich ist diese Kristallgeschichte eine Metapher für das Leben
von uns allen. Aus dem Dunkel der Gebärmutter finden wir den Weg ins
Licht. Manche schaffen es mit der Mutter allein, andere werden ins Leben
geholt. Die Augen aber bleiben in beiden Fällen vorerst geschlossen.
Das ist ihr natürlicher Schutz. Auf das Neugeborene soll kein grelles
Licht fallen.
Dass wir den Frühling jedes Jahr erleben, gehört zu den lehrreichen
Lebenserfahrungen. Wir sprechen ja allgemein gern über das Wetter und
seine Stimmungen. Und daraus höre ich immer auch die Freude anderer
Menschen an der wieder erwachten Natur. Es ist, als ob sie uns von einer
unausgesprochene Angst befreite, eines Tages einfach zu streiken. Wir
wissen wohl, was wir ihr alles zumuten. Was sie ob unserer Eingriffe
alles ertragen muss.
Heute Morgen im Wald, als die spröde Sonne den Raum
ausleuchtete, die Brauntöne der noch unbelaubten Bäume anschien und ich
den Waldboden mit seiner Fülle an Buschwindröschen und Schlüsselblumen
bewunderte, musste ich einfach gut hörbar aussprechen: Danke, dass ihr
immer noch mitmacht, eure Bestimmung immer noch lebt.
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