Basel Bahnhof SBB, kurz vor 23 Uhr. Unsere Zeit war knapp bemessen.
Wir entwerteten unsere Bahnkarten und stiegen in den erstbesten Wagen
ein, obwohl dies ein Erstklasswagen war. Also begann die Fahrt mit einer
kleinen Wanderung Richtung Zürich. Rasch landeten wir im Speisewagen,
dessen Lichter gelöscht, der Betrieb eingestellt, die Sitzmöglichkeiten
an kleinen Tischen aber einladend war. Hier richteten wir uns ein. Auch
anderen Reisenden gefiel die ungewöhnliche Atmosphäre. Solange wir uns
noch im Einflussbereich städtischer Reklamen befanden, erhellten diese
unseren Raum, bald aber waren wir vom Dunkel umfangen und nahmen
einander nur noch schemenhaft wahr.
Das habe ich mir schon manchmal gewünscht, dass ich ohne
Beleuchtung reisen könne. Immer dann, wenn sich die Sonne langsam
verabschiedet und die Lichtspiele am schönsten zu erleben wären, muss
elektrisches Licht den Tag verlängern. Und das heisst dann, dass die
Farben am Himmel verschwinden und die später erscheinenden Sterne gar
nicht sichtbar werden.
In dieser Nacht nahm ich die Dörfer anders wahr. Leuchtend wie Sterne. Und einmal sagte ich zu Primo: "Ich fühle mich im Orient-Express."
Und war dann selbst erstaunt, was ich da sagte. So muss es sein, wenn
die nächtliche Reise durch unbewohnte Gebiete führt und plötzlich Orte
erscheinen, wo vorher grenzenlose Einsamkeit war.
Wir gewöhnten uns rasch an die Dunkelheit im Raum und nahmen
Mitreisende wahr. Mir schräg gegenüber ein junges Paar. Der Mann war
eingeschlafen. Er hatte den Kopf auf die überkreuzten Arme auf den Tisch
gelegt und seine Liebste hielt ihre Hand auf seinen Rücken.
Da kam ein Mann durch den Mittelgang geschlurft, blieb hie und da
stehen. Er schaute um sich, schaute auch uns prüfend an. Ging weiter.
Ein Afrikaner, vermutete ich.
Plötzlich ging der Zugsbegleiter raschen Schrittes an uns vorbei.
Das Natel am Ohr. Wir wunderten uns, dass unsere Fahrkarten nicht
überprüft wurden, wussten auch nicht, ob wir die Sitzplätze hier im
fahrenden Gasthaus überhaupt benützen durften.
Im Umfeld von Lenzburg wurde das Licht angezündet. „Oh wie schade!“
hiess es unisono. Ich war also nicht die einzige, der es hier im
Dunkeln gefiel. 2 gutgelaunte, freundliche Zugsbegleiterinnen
kontrollierten unsere Billette. Der beschauliche Teil der Reise war
abgeschlossen. Das Licht wurde nicht mehr gelöscht.
In Lenzburg wurde der Afrikaner von Polizisten erwartet. Primo
konnte die Männer von seinem Sitzplatz aus sehen. Ohne die Umstände
näher zu kennen, berührte uns dieser Empfang. Es umgab ihn eine grosse
Ruhe. Die Fragen, die gestellt wurden, konnten wir nicht hören. Der
offensichtlich total Erschöpfte wurde begleitet. Wohin? Und mit welchen
Konsequenzen? Welches Schicksal war da aufgeblitzt? Noch sehe ich ihn,
sich mühsam vorwärts schleppen, links und rechts von einem Polizisten
und von uns in Gedanken begleitet.
Dass die Eisenbahn nicht nur der Beförderung von Personen und ihrem
Gepäck dient, erfahre ich immer wieder neu. Hier treffen die
Lebensreisen und Schicksale aufeinander. Kontakte, auch wenn sie kurz
sind und nur einem Flügelschlag gleichen, gehen mir meist noch lange
nach. Und sie erweitern meinen Horizont.
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