Sonntag, 12. Februar 2006

Die Emanzipation der Frau führt aus Zwängen heraus


Ich habe das Buch „Der Weiblichkeitswahn“ von Betty Friedan nicht gelesen und mich dennoch emanzipiert!

Ich betrachte die Emanzipation der Frau als eine natürliche Folge der Französischen Revolution, von der wir immer noch profitieren. Es war nicht Betty Friedan, die die Emanzipationswelle ausgelöst hat. Es war Zeit für diesen Kampf, der auch mit einer Revolution verglichen werden kann. Sie hatte die Gabe, die Ungerechtigkeiten in einem Buch zu beschreiben. Viele der Frauen erkannten sich darin wieder. Darum wurde das Buch ein Erfolg. Nicht umgekehrt. Ein Buch allein hätte kaum eine solche Revolution auslösen können, wenn der Boden für den Befreiungskampf nicht vorbereitet gewesen wäre. Ich erachte das auch nicht als etwas typisch Amerikanisches. Ganz und gar nicht.

Im „Lexikon der 1000 Frauen“ aus dem Verlag J. H. W. Dietz finde ich 57 Frauenrechtlerinnen mit Geburts-Jahrgängen von 1808 bis 1894.

Jeder Revolution geht grosses Unrecht voraus. Es sind unhaltbare Zustände, die vernichtet werden sollen. Darum ist eine Revolution nie etwas Schönes. Sie bewegt sich in den Niederungen menschlichen Daseins und kämpft mit skrupellosen Mitteln. Darum haben mir auch die Artikel von Frauenrechtlerinnen nie gefallen. Alice Schwarzer erreichte mich auch nicht. Ihre Anklagen waren mir fremd. Ich konnte in einer Ehe leben und doch ein freier Mensch sein. Ich fand die Schilderungen jeweils abscheulich. Aber nach und nach spürte ich die wahre Absicht hinter dieser Bewegung, und es dünkte mich, ich hätte nicht das Recht, diese kämpfenden Frauen zu verabscheuen, die ganz andere Erfahrungen gemacht hatten als ich. Schilderte ich meine Einsichten über die Männer-Macht jeweils am Familientisch, sagte ich aber dazu immer noch schnell: Anwesende ausgeschlossen! Ich tastete mich langsam und ohne kriegerische Ansätze in dieses Thema vor. Und heute merke ich, dass Primo, mein Ehemann, manchmal viel sensibler auf dieses Thema reagiert als ich. Zugunsten der Frauen.

Etwas später habe ich – ohne mein Zutun – männliche Dominanz in der Sprache gefunden. Etwas Schönes war herrlich. Ein anderes Wort, Herrschaft, wirkt ebenfalls abstossend auf mich. Zwar nicht inhaltsgetreu, aber dem Klang nach schafft der Herr. So Herrschaften! sagte manchmal Primo ganz arglos, wenn er zu uns heimkam. Dann reagierten die Töchter unmissverständlich: Hier schaffen Frauen.

Es gab eine Zeit, da sprangen mir solche Worte zu, auf dass ich endlich begreife, was vor sich gehe. Und so bin ich heute allen Kämpferinnen dankbar, denn ich profitiere auch davon, dass ich heute mehr als Mensch denn als untergeordnete Frau wahrgenommen werde und mir viele Türen offen sind.

Ja, gueti Frau! war auch so eine Antwort, wenn man eine Frage stellte und ein Mann meinte, die ihm gegenüberstehende Frau könne die Antwort sowieso nicht begreifen. Oft erlebte ich, wenn ich einen Handwerker für eine Reparatur im Haus rufen musste, dass dieser ein Stichwort sagte und dazu anfügte: Ihre Maa chunnt dänn scho druus (Ihr Mann wird sich schon zurechtfinden).

Ich erlebte noch in den 60er-Jahren nur zu oft, wie in Gesellschaft nur die Männer redeten. Brachten es die Frauen fertig, sich einzumischen, wandten sich die Männer ab. Einer ist mir besonders in Erinnerung, der die Pfeife stopfte und auf den Balkon umzog, weil ihm das Thema zu frauen- oder familienfreundlich war.

Im Januar/Februar 1996 besuchte ich Ringvorlesungen an der Zürcher Volkshochschule, die der Geschichte der Zürcher Bahnhofstrasse gewidmet war. Ein Abend war den Frauen (von einst) an der Bahnhofstrasse gewidmet. Da berichteten Historikerinnen von den Arbeitsmöglichkeiten dieser Frauen, wenn ich mich recht erinnere zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Es ging da um einen Bericht von ersten Möglichkeiten, ausserhalb des Hauses arbeiten zu können. Das Telegrafenamt stellte Frauen als Telefonistinnen ein. Die Frauen aus dem Bericht gaben zu Protokoll: Jeder Mann an diesem Ort war unser Chef, selbst der Lehrling. Dies ist für mich das Paradebeispiel für die Zustände in der Schweiz.

Und in der katholischen Kirche ist es heute noch so. Es ist das männliche Element, das die letzten Fragen beantworten will und Frauen aus den höchsten Ämtern ausschliesst.

Mir kommen auch Frauen in den Sinn, die schriftstellerisch tätig sein wollten und sich ein männliches Pseudonym anlegen mussten, um akzeptiert zu werden.

Für mich ist Emanzipation Entwicklung, die aus Zwängen herausführt. Sie ist eine Metamorphose zum mündigen Menschen hin, die nicht männliche oder weibliche Herrschaft (schon wieder dieses Wort) zum Ziel hat. Männer und Frauen – gleichberechtigt. Gleichberechtigt in Bezug auf Schulbildung und Talent-Förderung. Gleich viel wert, ob Mann oder Frau.

Es geht nicht darum, dass die Emanzipation die Familie zertrümmern soll. Es geht nicht darum, dass die Mütter ihre Kinder nicht mehr begleiten sollen und dass Familienfrauen belächelt werden. Viele Familienfrauen sind echte Organisationstalente und engagieren sich dann, wenn die Kinder flügge sind, anderswo auch wieder. Es geht einzig und allein darum, dass Frauen sich aus dem Machtdenken der Männer befreien dürfen. Männer und Frauen sollen das Leben gemeinsam gestalten. Mann und Frau in der Ehe sollten, so paradox das klingen mag, gleichwohl freie Menschen sein.

Ich will aber nicht in Abrede stellen, dass es dann die negativen Begleiterscheinungen gegeben hat und immer noch gibt. Für mich sind das aber Auswüchse von Verantwortungslosigkeit.

Wir haben es mittlerweile erlebt, dass Frauen in ehemaligen Männerdomänen ganz gut zurechtkommen und ihren Beitrag an Entwicklungen und Forschungen leisten.

Primo arbeitet jetzt in einer Frauen-Schreinerei und hat keine Mühe zu sagen: Das ist meine Chefin, die dann jeweils liebenswürdig schmunzelt. Mich dünkt, die Emanzipation sei nur noch in unserer Generation ein Thema, das furios machen kann.

Ich bin übrigens gar nicht der Meinung, dass die Welt besser wäre, wenn die Frauen die alleinige Macht übernähmen. Unser Leben kann doch nur sinnvoll sein, wenn das männliche und das weibliche Element entwickelt werden.

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