"Wenigstens einmal täglich sollten wir unsere Aufmerksamkeit nach innen richten." Dieses Dalai-Lama-Wort stand am 26.07.2011 auf meinem Kalenderblatt.
Als ich an jenem Tag im VBZ-Bus in die Innenstadt fuhr, waren wohl
die meisten Fahrgäste drinnen, bei sich selbst. Zuhörend und in den
Schwingungen eines Vogelgesangs schaukelnd. Und erfüllten, ohne es zu
wissen, die buddhistische Vorgabe vom Abreisskalender.
Kaum war der Bus losgefahren, hörten wir Vögel singen. Ich fragte
mich, wer diese hier so gut nachahmen könne. Beim Einsteigen war mir ein
wackerer Mann aufgefallen, dem ich diese Kunst zutraute. Ein
Weltreisender vielleicht. Mit Rucksack und Sombrero.
Möglichst unauffällig schaute ich nach hinten und beobachtete ihn.
Er sass aber ganz ruhig da. Mehr noch, er schien in sich versunken. Er
hörte zu. Nichts bewegte sich in seinem Gesicht. Sofort schied er als
Imitator aus.
Der Gesang wiederholte sich. Kurz vor einer Haltestelle setzte er
aus. Fuhr der Bus wieder los, ertönten auch die Vogelstimmen wieder.
Niemand fragte, woher sie kämen. Wir hörten einfach zu. Sie hoben uns
ab. Gedanken, die mich bis dahin umtrieben, verflüchtigten sich. So mag
es auch anderen Fahrgästen ergangen sein. Es entstand eine friedliche
Stimmung. Eine Art Andacht. Es wurde nicht gesprochen. Niemand stellte
eine Frage. Den singenden Vögeln galt unsere ganze Aufmerksamkeit.
Ich fühlte mich in den Bergen. Dort werden Reisen im Postauto oft mit diskreter Musik begleitet.
Ich dachte auch an „unsere“ Amsel, die vor dem Eindunkeln ihr
Abendlied singt. Dafür fliegt sie, ungefähr eine Stunde vor
Sonnenuntergang, auf den First des Nachbarhauses, setzt sich dort an die
Front, richtet sich ein, schaut aus, wartet auf den richtigen
Augenblick und beginnt dann zu singen. Wir können sie vom Balkon aus
beobachten und hören. Manchmal warten wir auf sie, manchmal ist sie es,
die uns ruft. Immer ist das ein schöner Abschied vom Tag. Wir fragen
uns, ob es ein Loblied sei. Eines für die anbrechende Nacht oder einen
Dank an den vergangenen Tag?
Jetzt, bei bedecktem Himmel und Regenwetter, ist sie nicht
erschienen. Ist das ihre Antwort an uns, sie singe nur für den
Sonnenuntergang?
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