Ich liebe die silbernen Papiere, die das Farbspektrum hervorbringen,
wenn Licht auf sie fällt. Verkauft werden sie als „holographische
Folien“. Sie sind so bearbeitet, dass sie prismatische Pixel
hervorbringen.
Erstmals ist mir ein solches „Papier“ als Deckel eines Notizblocks
aufgefallen und hat mich sofort in seinen Bann gezogen. Zweckentfremdet
hängt es seither über einer Bücherreihe und fungiert als
Farbwetter-Darsteller. Heute z. B., bei Regen, zeigt es von oben nach
unten gedämpftes Gelb in ebenso verhaltenes Türkis und Blau übergehend.
Ganz anders im Sommer. Da werden die Farben dann satt leuchtend und
dominant.
In Wechselrahmen gesteckt, beleben diese Folien einige meiner Räume.
Gehe ich an ihnen vorüber, blinzeln mir die Farben zu. Sie blitzen auf
und verschwinden, je nachdem, wo ich stehe und wie schnell ich gehe.
Dies geschieht auch, wenn ich mich setze. Wem ich diese lebendigen
Bilder auch zeige, den frage ich immer: „Welche Farbe siehst Du?“ Je nach Standort und Körpergrösse fallen die Antworten verschieden aus.
Dass wir nicht alle das Gleiche sehen und wahrnehmen können, wusste
ich. Dass aber die Körpergrösse mitspielt, welche Farben wir sehen und
gewiss auch unbewusst auffangen, das lehrten mich erst die
holographischen Papiere.
Geschichten von Rita Lorenzetti-Hess aus Zürich-Altstetten und
Archiv sämtlicher Blog-Beiträge aus der Zeit beim Textatelier Hess von Biberstein
Donnerstag, 31. März 2005
Mittwoch, 16. März 2005
„Heilige Momente“: Berührungen im Innersten
In der gegenwärtig im Landesmuseum in Zürich laufenden Ausstellung L’HISTOIRE C’EST MOI („Die Geschichte, das bin ich“),
erzählen Zeitzeugen aus der Schweiz, wie der Zweite Weltkrieg ihr Leben
beeinflusst und verändert hat. Es gibt nicht die einlinige historische
Vergangenheit, sondern Tausende von Erfahrungen einzelner Menschen, die
sich zur Geschichte und zum Schicksal eines Volkes zusammenfügen.
Stimmen aus der Romandie, dem Tessin und der Deutschschweiz beweisen es.
555 Videoaufzeichnungen stehen zur Auswahl. Die Ausstellung ist so konzipiert, dass die Besuchenden durch Knopfdruck mitbestimmen können, welche Rubrik geöffnet werden soll. Die Mehrheit entscheidet.
Die Zeit schien stille zu stehen. Erst später stellte ich fest, dass ich beinahe 2 Stunden zugehört hatte. Und es war auch sehr still in diesem Raum. Die Bereitschaft, zuzuhören, war offensichtlich gross.
Und trotzdem ging ich später unzufrieden heim. Da hatten wir in verschiedenen Sequenzen von einem bewegenden Schicksal erfahren. Ein Deutschschweizer befand sich mit seiner finnischen Freundin Helmi auf der Überfahrt von Europa nach Übersee. Zusammen wollten sie nach Brasilien auswandern. Die Deutschen holten diesen Mann aus undurchsichtigen Gründen vom Schiff und entführten ihn im U-Boot an die norwegische Küste. Er sagte: “Ich habe Helmi nie mehr gesehen.“ Als er das ausgesprochen hatte, wurde gelacht. Entsetzt sagte ich zu meiner Nachbarin für alle Anwesenden gut hörbar: „Das ist nun wirklich nicht zum Lachen.“
Eigentlich ist dies für mich eine bekannte Erfahrung. Wenn in Lesungen, Vorträgen oder auch im Film das Innerste in uns angesprochen wird, lassen es viele nicht zu und blocken die Berührung mit Lachen ab. Immer wieder frage ich mich, ob wir dem Verständnis füreinander und auch dem Frieden näher wären, wenn alle Berührungen zuliessen? Ich nenne solche Erfahrungen „heilige Momente“, die uns Einsichten, Mitgefühl und Ehrfurcht schenken.
Warum lassen diese viele meiner Mitmenschen einfach nicht zu? Vermutlich müssten sie einige ihrer Einstellungen ändern.
555 Videoaufzeichnungen stehen zur Auswahl. Die Ausstellung ist so konzipiert, dass die Besuchenden durch Knopfdruck mitbestimmen können, welche Rubrik geöffnet werden soll. Die Mehrheit entscheidet.
Die Zeit schien stille zu stehen. Erst später stellte ich fest, dass ich beinahe 2 Stunden zugehört hatte. Und es war auch sehr still in diesem Raum. Die Bereitschaft, zuzuhören, war offensichtlich gross.
Und trotzdem ging ich später unzufrieden heim. Da hatten wir in verschiedenen Sequenzen von einem bewegenden Schicksal erfahren. Ein Deutschschweizer befand sich mit seiner finnischen Freundin Helmi auf der Überfahrt von Europa nach Übersee. Zusammen wollten sie nach Brasilien auswandern. Die Deutschen holten diesen Mann aus undurchsichtigen Gründen vom Schiff und entführten ihn im U-Boot an die norwegische Küste. Er sagte: “Ich habe Helmi nie mehr gesehen.“ Als er das ausgesprochen hatte, wurde gelacht. Entsetzt sagte ich zu meiner Nachbarin für alle Anwesenden gut hörbar: „Das ist nun wirklich nicht zum Lachen.“
Eigentlich ist dies für mich eine bekannte Erfahrung. Wenn in Lesungen, Vorträgen oder auch im Film das Innerste in uns angesprochen wird, lassen es viele nicht zu und blocken die Berührung mit Lachen ab. Immer wieder frage ich mich, ob wir dem Verständnis füreinander und auch dem Frieden näher wären, wenn alle Berührungen zuliessen? Ich nenne solche Erfahrungen „heilige Momente“, die uns Einsichten, Mitgefühl und Ehrfurcht schenken.
Warum lassen diese viele meiner Mitmenschen einfach nicht zu? Vermutlich müssten sie einige ihrer Einstellungen ändern.
Donnerstag, 10. März 2005
Dank Hans Bernoulli: Häuser, Gärten und Freiräume
Die kleine Noa aus dem Nachbarhaus bezaubert mich. Knapp 3-jährig,
ist sie schon eine Persönlichkeit. Ich kann ihr von meinem Küchenfenster
her zuschauen, wie sie die Welt entdeckt. Sie lebt mit 3 Geschwistern, 2
Kaninchen und einem Hund. In ihrem Garten tummeln sich auch Katzen aus
der Nachbarschaft. Noa ist auf eine Weise eine geheimnisvolle kleine
Frau. Sie ist offen für alles, was um sie herum geschieht. Sie schaut
einen unergründlich an, spricht nicht viel. Aber sie ruft meinen Namen
und winkt mir immer, wenn sie mich sieht.
Oft beobachte ich, wie sie in ihrem Garten herumgeht, ihre Puppe ausführt, neben dem Hund herläuft und ihm die Hand auf den Rücken legt. So sind die Grössenverhältnisse. Ähnlich wie ein Hüterbub, der seine Kuh begleitet. Sie schaut in den Himmel, auf die Erde, auf Pflanzen, Käfer, Vögel und bemerkt immer, wenn sich in ihrer Nähe etwas bewegt.
Und das in Zürich. Auswärtige wundern sich, wenn sie hierher kommen, dass dieser Boden mit so viel Grün, so vielen Bäumen und Sträuchern, noch zur Stadt gehört.
Diese Idylle verdanken wir dem Sozialarchitekten Hans Bernoulli, der in den 20er-Jahren innerhalb von 2 Tramstationen 98 Reihenhäuser baute. Jedes Jahr ziehen zahlreiche Gruppen von Architekturstudenten durch unsere Gartenwege, um diese berühmte und immer noch wohnliche Siedlung, die „Bernoulli-Häuser“, kennen zu lernen.
Bernoulli entwarf kleine Häuser, die sich auch der kleine Mann leisten konnte. In einem Aufsatz für die Zeitschrift „Das Werk“ schrieb er 1924: „Ich habe immer wieder die norddeutsche Ecke aufgesucht, in die sich vor der Springflut der Miethäuser das mittelalterliche Kleinhaus zurückgezogen hatte. Ich habe mich in Belgien herumgetrieben, in den beschaulichen französischen Provinzstädtchen; in Holland habe ich mir die sauberen Puppenhäuser besehen, und vier-, fünfmal bin ich auch nach England hinübergefahren, jedesmal von neuem erstaunt, dass das grossmächtige London aus den allerwinzigsten Häuschen besteht.“
Von diesen Reisen und Eindrücken profitieren wir hier alle. Bernoulli hat uns eine Siedlung mit menschlichen Massen geschaffen, mit Freiräumen für Kinder und Erwachsene. Wir Bewohner und Bewohnerinnen sind uns nahe, haben aber doch unsere eigene Haustür, unseren eigenen kleinen Garten. Und diese Gärten drücken unsere Individualität aus.
Hier finden Kinder, wenn sie laufen gelernt haben, ihren geschützten Raum. Zuerst ist es das verriegelte Gartentor, das ihn begrenzt. Später wird er geöffnet. Das Kind kann weiter auslaufen, zu Nachbarskindern hinüberhuschen und lernt nach und nach, wo die Gefahren sind.
Ganz anders der Lebensraum des Vogels aus Shanghai, den ich nicht vergessen kann. Im Frühjahr 2003 sah ich im hiesigen Völkerkundemuseum in der Ausstellung „In den Strassen von Shanghai, Alltagskultur der Chinesen 1910−1930“ eine Fotografie eines alten Mannes, der seinen Vogel im Käfig ins Freie trägt, um ihm frische Luft zu gönnen.
Das Bild verlor keinen Gedanken an die harte Domestizierung. Kein Gedanke, was ein Gitter ist. Das Bild will ausdrücken, wie gut es der Herr mit ihm meint. Der Vogel ist sein Gefährte und muss ihn unterhalten. Vielleicht lebt der Mann allein. Er wird ihm Zuwendung schenken, aber keine Freiheit, ein Vogel zu sein.
Dieses Bild ist ein Gegenstück zum Bernoullihaus. Es trifft aber auf viele Situationen zu, die auch wir Menschen so erleben. Das Gitter unserer Kultur, in der wir aufwachsen, das Gitter von Schule und Arbeitsplatz, für etliche Menschen auch das Gitter der Verwandtschaft, Familie, Ehe und auch der Religion.
Auch ich bejahe Ordnungen und Grenzen. Aber sie müssen Wachstum ermöglichen, also flexibel sein. Sie sollen eine Zeit lang Schutz bieten, wie ihn Noa erfährt. An diesen Grenzen müssen aber Tore zu finden sein, die den Durchgang ermöglichen. Zur rechten Zeit.
Oft beobachte ich, wie sie in ihrem Garten herumgeht, ihre Puppe ausführt, neben dem Hund herläuft und ihm die Hand auf den Rücken legt. So sind die Grössenverhältnisse. Ähnlich wie ein Hüterbub, der seine Kuh begleitet. Sie schaut in den Himmel, auf die Erde, auf Pflanzen, Käfer, Vögel und bemerkt immer, wenn sich in ihrer Nähe etwas bewegt.
Und das in Zürich. Auswärtige wundern sich, wenn sie hierher kommen, dass dieser Boden mit so viel Grün, so vielen Bäumen und Sträuchern, noch zur Stadt gehört.
Diese Idylle verdanken wir dem Sozialarchitekten Hans Bernoulli, der in den 20er-Jahren innerhalb von 2 Tramstationen 98 Reihenhäuser baute. Jedes Jahr ziehen zahlreiche Gruppen von Architekturstudenten durch unsere Gartenwege, um diese berühmte und immer noch wohnliche Siedlung, die „Bernoulli-Häuser“, kennen zu lernen.
Bernoulli entwarf kleine Häuser, die sich auch der kleine Mann leisten konnte. In einem Aufsatz für die Zeitschrift „Das Werk“ schrieb er 1924: „Ich habe immer wieder die norddeutsche Ecke aufgesucht, in die sich vor der Springflut der Miethäuser das mittelalterliche Kleinhaus zurückgezogen hatte. Ich habe mich in Belgien herumgetrieben, in den beschaulichen französischen Provinzstädtchen; in Holland habe ich mir die sauberen Puppenhäuser besehen, und vier-, fünfmal bin ich auch nach England hinübergefahren, jedesmal von neuem erstaunt, dass das grossmächtige London aus den allerwinzigsten Häuschen besteht.“
Von diesen Reisen und Eindrücken profitieren wir hier alle. Bernoulli hat uns eine Siedlung mit menschlichen Massen geschaffen, mit Freiräumen für Kinder und Erwachsene. Wir Bewohner und Bewohnerinnen sind uns nahe, haben aber doch unsere eigene Haustür, unseren eigenen kleinen Garten. Und diese Gärten drücken unsere Individualität aus.
Hier finden Kinder, wenn sie laufen gelernt haben, ihren geschützten Raum. Zuerst ist es das verriegelte Gartentor, das ihn begrenzt. Später wird er geöffnet. Das Kind kann weiter auslaufen, zu Nachbarskindern hinüberhuschen und lernt nach und nach, wo die Gefahren sind.
Ganz anders der Lebensraum des Vogels aus Shanghai, den ich nicht vergessen kann. Im Frühjahr 2003 sah ich im hiesigen Völkerkundemuseum in der Ausstellung „In den Strassen von Shanghai, Alltagskultur der Chinesen 1910−1930“ eine Fotografie eines alten Mannes, der seinen Vogel im Käfig ins Freie trägt, um ihm frische Luft zu gönnen.
Das Bild verlor keinen Gedanken an die harte Domestizierung. Kein Gedanke, was ein Gitter ist. Das Bild will ausdrücken, wie gut es der Herr mit ihm meint. Der Vogel ist sein Gefährte und muss ihn unterhalten. Vielleicht lebt der Mann allein. Er wird ihm Zuwendung schenken, aber keine Freiheit, ein Vogel zu sein.
Dieses Bild ist ein Gegenstück zum Bernoullihaus. Es trifft aber auf viele Situationen zu, die auch wir Menschen so erleben. Das Gitter unserer Kultur, in der wir aufwachsen, das Gitter von Schule und Arbeitsplatz, für etliche Menschen auch das Gitter der Verwandtschaft, Familie, Ehe und auch der Religion.
Auch ich bejahe Ordnungen und Grenzen. Aber sie müssen Wachstum ermöglichen, also flexibel sein. Sie sollen eine Zeit lang Schutz bieten, wie ihn Noa erfährt. An diesen Grenzen müssen aber Tore zu finden sein, die den Durchgang ermöglichen. Zur rechten Zeit.
Samstag, 5. März 2005
Ganz im Sinne der Post-Kampagne für den Brief
Die Karten, die mir meine Tochter am letzten Samstag zukommen liess,
waren als Heilmittel gegen Abschiedsschmerz gedacht. Nun liegen sie
schon eine Woche auf meinem Schreibtisch und haben tatsächlich wehmütige
Gedanken verscheuchen können.
Auf meiner Samstags-Posttour fand ich viermal innerhalb der vorsortierten Sendungen an meinen Namen gerichtete Karten und einen Brief von ihr. Immer wieder an eine andere Strasse und an eine andere Hausnummer adressiert. Humoristisch gestaltet. Mit Fantasiefiguren und ausgewählten Briefmarken dekoriert. Es fehlt auch nicht der Hinweis auf die gegenwärtige Kampagne der Post: GROSSES BEGINNT MIT EINEM BRIEF. In meinem Fall wurde er erweitert: ODER MIT DIESER POSTKARTE!
Ja, so ist es. Gross sind Letizias Humor und Kreativität. Sie hat mir den Abschied leicht gemacht. Die Post braucht mich nicht mehr. Die Stellen für uns Samstagszusteller wurden aufgehoben. Es war meine letzte Posttour.
Auf meiner Samstags-Posttour fand ich viermal innerhalb der vorsortierten Sendungen an meinen Namen gerichtete Karten und einen Brief von ihr. Immer wieder an eine andere Strasse und an eine andere Hausnummer adressiert. Humoristisch gestaltet. Mit Fantasiefiguren und ausgewählten Briefmarken dekoriert. Es fehlt auch nicht der Hinweis auf die gegenwärtige Kampagne der Post: GROSSES BEGINNT MIT EINEM BRIEF. In meinem Fall wurde er erweitert: ODER MIT DIESER POSTKARTE!
Ja, so ist es. Gross sind Letizias Humor und Kreativität. Sie hat mir den Abschied leicht gemacht. Die Post braucht mich nicht mehr. Die Stellen für uns Samstagszusteller wurden aufgehoben. Es war meine letzte Posttour.
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