Montag, 29. November 2010

Heute Alltägliches war einmal unbekannt, sogar luxuriös

Die Banane kann heute überall gekauft werden. Man könnte meinen, sie stamme aus hiesigen Gärten, und sie kommt doch von weit her. Meine Mutter, als sie noch ein Kind war, soll den Namen dieser Frucht nicht gekannt haben. Sie nannte sie „die Gelbe“ und habe gebettelt, dass man ihr einmal eine kaufe.
 
Nach wenigen Jahrzehnten konnte offensichtlich niemand mehr auf sie verzichten. Sie wurde schon den Säuglingen verabreicht. Mir wurde sie von der Mütterberatung empfohlen. Sie eignete sich gut für den Übergang vom Stillen oder von der Flaschenmilch zum Brei.
 
Auch die Orange gehörte zu den nicht alltäglichen Früchten. In meinem Elternhaus gab es Äpfel und Birnen sowie eingemachte Früchte wie Zwetschgen, Aprikosen und Mirabellen. Als aber meine Schwester Renate einmal schwer krank war, kaufte Mutter Orangen und verabreichte sie ihr als ergänzende Medizin.
 
Am Sihlquai in der Stadt Zürich, hinter dem Schulhaus „Kornhausbrücke“, wo ich zur Schule ging, kamen die Orangen aus dem Süden in den Güterzügen in Zürich an. Hier wurden sie von den Südfrüchtehändlern für den Engrosmarkt erwartet. Arbeiter, die mit dem Verladen der Früchte beschäftigt waren, schenkten uns augenzwinkernd die noch guten Teile von Orangen, nachdem sie die angefaulten Teile abgeschnitten hatten. Manchmal fielen auch gesunde Orangen aus den Bahnwagen zu Boden. Welch ein Glück, wenn wir sie fanden!
 
Den Krautstiel kannte ich auch lange nicht. Erst 1964, 2 Tage nach der Geburt von unserer Tochter Felicitas, wurde mir dieses Gemüse in der Klinik serviert. Ich fand schon damals, das sei eine Köstlichkeit. Der Krautstiel ist es noch immer, hat seinen Platz in meiner Küche behalten. Ich dämpfe ihn leicht, gebe ihm einige Butterflöckli dazu, würze mit Streusalz und parfümiere ihn mit geriebenem Parmesan.
 
Vom Fenchel kannte ich nur die Samen, die zu einem beruhigenden Tee aufgebrüht werden können und den Säuglingen ebenfalls zuträglich sind. Primo machte mich dann mit dem Fenchelknollen bekannt. In seiner zur Hälfte italienischen Familie wurde der rohe Fenchel als Vorspeise serviert. Die gewaschene Knolle wird gewaschen, abgetrocknet und in etwa 1 cm dicke Scheiben geschnitten. Diese werden beidseitig mit Olivenöl eingerieben und mit wenig Salz bestreut. Die grünen Haare des Knollens werden fein geschnitten und über die Scheiben gestreut. Dazu passen Salami oder Trockenfleisch. Mit diesem rohen Fenchel als Apéro habe ich immer Erfolg.
 
Und Rina, meine Lehrmeisterin, vermittelte mir nicht nur die Praxis der doppelten Buchhaltung. Als sie nach Florenz auswanderte und ich sie dort später besuchte, lehrte sie mich, den Sugo aus frischen Tomaten herzustellen. Ich war begeistert. Nun, nach bald 50 Jahren, habe ich hin und wieder Lust, die Spaghetti nach alter Manier aufzutischen. So, wie es meine Mutter machte. Sie benützte das Parma Doro-Tomatenpüree aus Italien, verdünnte es mit wenig heissem Wasser, presste mindestens 2 Knoblauchzehen dazu, verfeinerte diese Sauce mit Olivenöl und schwenkte die frisch gekochten Teigwaren darin.
 
Neu habe ich einen emotionalen Zugang zum Carnaroli-Reis. Ich habe im Herbst in der südlichen Toskana die grossen Reisfelder bewundert und in der Autobahnraststätte Carnaroli-Reis aus der Region kaufen können. Und wie immer, wenn ich aus den Ferien etwas heim- und dann auf den Tisch bringe, wird meine Liebe zu einer Region oder zu einem Volk gefestigt. Und die schönen Erlebnisse bleiben auf diese Weise lange erhalten.
 
Ich lasse mich immer noch gern von der Güte der italienischen Esskultur beeinflussen. Die Gastarbeiter brachten sie zu uns. Wir wurden aufmerksam auf sie. Es war gerade die Zeit, als ich ziemlich unvorbereitet für meine Familie zu kochen begann.
 
Wer jetzt erwachsen wird und jetzt zu kochen anfängt, wird noch vielfältigere Einflüsse spüren. Produkte aus fernen Ländern sind hier erhältlich und die Grossverteiler sorgen dafür, dass auch entsprechende Rezepte vorhanden sind. Und wer diese nach eigenem Gutdünken an unsere Verhältnisse anpasst, ist kreativ und bringt Welten zusammen.
 
Am meisten staune ich aber über die Fülle von ausgesuchten, hochwertigen Lebensmitteln, die wir in unserem Land kaufen können. Jetzt gerade speziell im Hinblick auf die Feiertage am Jahresende. Es ist eine Art Schlaraffenland entstanden. Für junge Leute etwas ganz Selbstverständliches. Was werden sie in 50 Jahren rückblickend erzählen können?

Freitag, 19. November 2010

Spiegelmeisen im Anflug: Suche nach dem Winterquartier

In der Wiese vor unserem Küchenfenster steht ein zierlicher Baum, eine Schönheit. Sein Name ist Cornus Kousa: Japanischer Blüten-Hartriegel.

Im Frühling bezaubert er uns mit seinen weissen Blüten, im Herbst mit den leuchtend roten Blättern. Jetzt ist er entlaubt und strahlt immer noch Schönheit aus. Er ist gesund, Stamm und Äste lassen an einen Tänzer denken.

Neuerdings tummelt eine Sippe Spiegelmeisen auf ihm herum. Die Vögel scheinen vergnügt zu sein. Als wir hier einzogen, waren die Rabenkrähen und Elstern die Platzhirsche. Die Amsel hörten wir singen. Andere Vögel nahmen wir nicht wahr.

Als ein Maschenzaun die Landbesitzverhältnisse zwischen den Wohnhäusern sichtbar machen musste, verschwanden die Vögel. Vordem stand ihnen ein weiter Landeplatz zur Verfügung. Vielleicht wurde es diesen grossen Vögeln hier dann zu eng. Nun sind also die kleinen da. Und sie suchen Nistplätze.

Seit 2 Wochen pocht der Anführer dieses Clans täglich an mein Küchenfenster. Er will den Zugang zum Rollladenkasten-Innenraum erobern. Und wir stellen uns quer. Hier hätten sie kein ruhiges Zuhause; denn die Fenster einer Küche werden immer wieder gekippt oder geöffnet und je nach Wetter die Rollladen heruntergelassen oder hochgezogen. Wir hatten diesen Vogel Tage vorher schon auf dem Balkon beobachtet. Hier forschte er nach einem Schlupfloch im Bereich des Sonnenstorens. Sofort erinnerte ich mich an den Blog vom 9.9.2010 „Von tachistisch veranlagten Spatzen und vom Bauschaum“ von Walter Hess, der diesbezügliche Folgen beschrieben hat.

Wir deckten dann alle für ihn möglichen Stolleneingänge mit Klebeband ab. Er aber blieb beharrlich, suchte einfach weiter. Wie ich jetzt gehört habe, werden alle Bewohner in unserem Haus von der Ostseite her attackiert. Überall hämmert dieser freche Wicht auf den Beton ein, und wenn sich nichts bewegt, klopft er an die Fensterscheiben. Obwohl ich ihm schon oft sagte, hier sei er am falschen Ort, die Bedingungen ungeeignet, kommt er doch täglich wieder. Es gibt Menschen, von denen gesagt wird, sie könnten mit den Vögeln sprechen. Ich gehöre definitiv nicht dazu, werde nicht verstanden.

Anfänglich hatte er bereits Federn für ein Nest mitgebracht und diese auf dem Fenstersims deponiert. Es beeindruckt mich, wie kämpferisch und mutig dieses Wesen ist.

Eine weitere Erfahrung: Vor ein paar Tagen machte ich nach dem Frühstück das Fenster erneut dicht. Den Sonnenaufgang zu beobachten, hatte ich mir noch gegönnt. Dann nahm ich die Düsternis in Kauf und zog den Rollladen herunter. Zwangsläufig brauchte ich dann elektrisches Licht. Als ich den Stecker kippte, leuchtete die Lampe kurz auf, und mit leisem Zischen gab sie sogleich den Geist auf. Die reinste Kabarett-Nummer!

Jetzt lasse ich einfach allem den Lauf, warte darauf, dass meine konsequente Haltung hier einen Nestbau verhindern kann. Die Rollladen-Einstiegstellen sind zugeklebt. Wer gewinnt? Bringt es der Vogel fertig, das klebrige Band wegzuzerren und sich dahinter einzurichten? Dann lasse ich ihn vielleicht gewähren. Oder bewirken unsere Barrieren, dass die Vögel merken, dass dieser Ort für sie ungünstig ist? Zu nahe bei den Menschen, die ihnen aber grundsätzlich gut gesinnt sind.

Im Augenblick ist noch nichts entschieden.

Donnerstag, 11. November 2010

Blätter an den Bäumen, am Boden und aus der Druckerei

Es regnet. Letzte Blätter fallen von den Bäumen. Gestern noch raschelte es, als wir durch den Wald liefen. Wie bald wird sich das Laub am Boden in Matsch verwandeln und nach und nach zu neuer Erde werden.
 
Vorbei ist die Lust meiner 4- bis 6-jährigen Nachbarskinder, die sich in der vergangenen Woche in den Laubhaufen zweier Bäume fallen liessen, dazu jauchzten und sangen. Einen Tag später dann sassen sie, bis zum Oberkörper bedeckt, in ihm. Erstaunlich still. Das Wort „daheim“ könnte nicht schöner dargestellt werden. Auch darum, weil die Blätter nicht weggeführt, sondern den beiden Stämmen als Schutz und Nahrung zu Füssen gelassen werden. In meinen Augen sind diese Bäume ein Liebes- oder Elternpaar. Ein weit ausholender Ast der grösser gewachsenen Esche beschützt die gedrungene Hagebuche gut sichtbar. Und sie wiederum neigt sich ihm zu.
Ganzjährig raschelt es im Papierblätterwald. Aber auch da fallen täglich Blätter ab: Die Zeitungen und Zeitschriften, sogenannte Leibblätter, Wochen- und Monatsblätter inklusive Reklameblätter, liegen in der Stube oder im Büro auf oder herum. Sie zu durchforsten ist der Lust, in die Laubhaufen zu springen, sehr ähnlich. Ohne Papiere, ohne Buchstaben, Worte und Geschichten zu leben, kann ich mir gar nicht vorstellen. Der Computer ist nur die Ergänzung dazu. Das raschelnde Papier und vor allem Texte, die in Händen gehalten werden können, das ist für mich die wirkliche Lektüre. Erfassen, begreifen, diese Worte gehören dazu.
 
Die Tageszeitung kommt uns da entgegen. Ihre Mitteilungen sind in Bünde gefasst. Primo und ich können sie individuell lesen. Er beginnt meist hinten und ich vorn. In der Mitte angelangt, werden sie mit allerlei Hinweisen ausgetauscht. Lustiges und Kurioses wird aber sofort vorgelesen. So beginnt unser Frühstück, unser Tag.
 
Oft nehme ich mir vor, Berichte, die wertvolle Informationen enthalten oder in einer wohlklingenden Sprache geschrieben sind, aufzubewahren. Da ich sie meinem Ehemann nicht vorenthalten will, nehme ich solche Blätter nicht sofort an mich. Und vergesse sie. Und wenn ich mich an sie erinnere, ist es oft zu spät. Sie wurden schon weggetragen. Denn einmal in der Woche werden auch sie zu einem grossen Haufen zusammengeschichtet und alle 2 Wochen der Wiederverwertung abgeliefert.
 
Und die Buchstaben, was geschieht mit ihnen? Zu Zeiten des Handsatzes wurden sie wiederverwendet. Jede einzelne Letter an ihren angestammten Ort in den Setzkasten zurückgelegt. Und später, zu Zeiten des Bleisatzes, wurden die Zeilen zur Wiederverwendung eingeschmolzen.
 
Wie ist das eigentlich mit den Buchstaben und Texten aus dem Computer? Wo werden sie wiederverwertet? Die Delete-Taste wird kaum alles löschen können, was dem Stromgehirn schon anvertraut worden ist. Ergeht es ihnen wie unseren Gedanken, von denen wir ebenfalls nicht wissen können, wo sie aufgefangen, verwendet und ob vielleicht Teile von ihnen vor dem totalen Zerfall gerettet werden.