Nora hatte alles ganz liebenswürdig arrangiert. Auf ihrem
Hochsitz stand ein illustriertes Liederbuch, und auf dem Tisch lag ihr
Abspielgerät, aus dem Lieder und Gedichte ertönten, die Primo und
ich vor einiger Zeit für sie aufgenommen hatten. Verschmitzt sah sie
mich an und freute sich, dass ich meine Stimme erkannte. Dann suchte sie
im Liederbuch entsprechende Bilder, die zu unserem Gesang oder den
Versen passten. Für solche Momente gibt es eigentlich keine Worte. Da
gibt es nur das übereinstimmende, glückliche Gefühl. Und dieses machte
den Abschied nachher schwer.
Wir waren gekommen, um Mena abzuholen, nicht um mit Nora zu
spielen. Als sie bemerkte, dass sie bei der Mama bleiben musste, wurde
sie wütend und traurig. Ich konnte sie gut verstehen, musste aber auch
einsehen, dass wir einer 5-Jährigen die bereits beschriebene Tour mit
Mena als Reiseleiterin nicht hätten zumuten können.
In solchen und ähnlichen Situationen rettete der Schwiegersohn die
Situation. Nora durfte dann mit ihm ausfahren. Da war sie die Königin.
Mit Velohelm, Ellbogenpolster und Knieschoner, gut gesichert im
Kindersitz. Da strahlte sie. Sie war sich bewusst, dass diese Fahrten
auf seinem Fahrrad nur ihr zustanden. Alle anderen mussten sich aus
eigener Kraft fortbewegen.
Velofahren in Paris ist populär geworden. Im Internet sind alle Angaben unter Fahrrad-Verleih Paris abzurufen. Dort ist auch zu erfahren, dass in dieser Grossstadt zur Zeit beinahe 400 km Radwege zur Verfügung stehen.
Wenn wir alle zusammen als Familie ausfuhren, blieben Fussgänger
manchmal stehen. Vom Schwiegersohn angeführt, schlängelten wir uns als
geschlossener Konvoi über Velowege und Verkehrsachsen aus dem
Stadtverkehr hinaus. Beispielsweise zum Park de la Villette. Felicitas auf dem Trottinett, Nora auf ihrem kleinen Zweirad, das wie ein Anhänger am Velo von Bappa fest montiert war.
Der Park de la Villette ist eine riesige Anlage auf dem ehemaligen
Schlachthof von Paris. Wo früher Tiere getötet wurden, wird heute das
Leben gefeiert. Auf den riesigen Grünflächen, in der Konzerthalle, dem
Museum und Bibliothek. Mit ständig wechselnden Veranstaltungen. Dieser
Ort kann übrigens auch mit dem Ausflugsschiff aus der Innenstadt über
den Canal Saint Martin erreicht werden.
Hier hielten wir uns lange auf einem asphaltierten Platz auf, wo
die Kinder mit Mama zusammen ihre Schleifen zogen. Nora hatte erst
kürzlich gelernt, ohne Stützräder Velo zu fahren. Jetzt war sie im
Element, fühlte sich der grossen Schwester ebenbürtig. Sie pfeilte los
und lag in die Kurven. An diesem Ort war es ruhig. Der Platz gehörte uns
lange allein.
Ganz anders im Bereich, wo sich die Kinder mit sportlichen Spielgeräten
austoben können. Herausragend das neuartige, übergrosse Trampolinfeld.
Hergestellt aus schlauchartigen Gummituch-Matratzen. Noch nie so
gesehen. Der Lieblingsort aller gerade anwesender Kinder. Begehrt aber
auch ein Tretrad, eine Schwungseilbahn, das Mäuselaufrad für Kinder,
eine Ballspielanlage, ein Feld mit verschieden hohen Poldern (Hocker)
zum darüber Hüpfen usw. Die Installationen sind verschiedenen
Altersgruppen zugeordnet und entsprechend bezeichnet.
Der Andrang war gross. Die Kinder mussten in Warteschlangen
anstehen, sich in Geduld üben. Am Tag unseres Besuchs geschah das
vorbildlich. Und dann, wenn sie am Ziel ihrer Wahl angekommen waren,
warfen sie sich ins Spiel, lachten und schrien. Was für eine fröhliche
Ausgelassenheit! Das Gekreische der vielen Kinder in Ekstase.
Ich weiss nicht, ist die geschaute, überschäumende Fröhlichkeit
darauf zurückzuführen, dass Kinder in Grossstädten in ihrem natürlichen
Bewegungsdrang zurückgebunden sind und solchen Ausgleich brauchen. Hier
gibt es keine kindergerechten Schulwege, keine Möglichkeiten,
Entdeckungen ganz allein zu machen. Hier muss man aufpassen und spuren.
Das trifft die Kleinen am meisten. Hier werden Kinder lange begleitet.
Oder öffnen uns die exaltierten Kinder hier ein Fenster in die
Zukunft und zeigen uns eine hoch gespannte Menschheit, wie sie immer
neue technische Erfindungen dazu benützt, um sich in rauschhaften
Zuständen zu erholen?
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