2 Namen für dasselbe Spiel. 2 Inhalte, die sich ergänzen. Eile mit Weile
kenne ich seit meiner Kindheit. War es anfänglich nur ein spannendes
Würfelspiel, habe ich irgendwann seinen Namen hinterfragt. Und dann
begriffen, dass es ein wertvolles Lebensmotto ist. Eilen ja, aber auch
verweilen ist wichtig. Und jetzt noch der gute Rat: Mensch ärgere dich nicht.
Mena wollte mit uns Grosseltern und ihrer kleinen Schwester Mensch ärgere dich nicht spielen. In digitaler Form. Neu für uns.
Die Regeln schienen anfänglich dieselben wie beim Brettspiel aus Karton, auf dem die hölzernen Spielfiguren unterwegs waren.
Als Mutter galt für mich immer auch eine persönliche innere
Regelung: Wenn Kinder mit grossem Altersunterschied am gleichen Spiel
beteiligt sind, das kleinste hie und da zu schonen, um es nicht zu
entmutigen. Vorausgesetzt, dass ich Wahlmöglichkeit habe. Dass sich
mehrere meiner Figuren ausser Haus befinden. Da ich in der Familie die
einzige war, die sich so verhielt, gab es für die Jüngste immer noch
genügend Widersacher, die sie herausforderten.
Jetzt, im digitalen Spiel, eckte ich an. Es meldete „Fehler“. Es liess meine moralische Richtlinie nicht zu. Als ich die kleine Nora
nicht überholt und sie nicht heimgeschickt hatte, weil ich sie aus den
beschriebenen Gründen schützen wollte, befahl mir das Gerät, mit allen
Figuren heimzugehen. Kein Problem für mich. Ich kann verlieren. Aber es
wurmte mich schon, dass eine Automatenautorität meine vermeintliche
Wahlfreiheit ignorieren musste. Ich hatte auch schnell begriffen, dass
das System Blockaden auf der Bank nicht zulässt. Und das war doch immer
ein spannendes Detail, das uns kribbelig machte und echte Spielfreude
aufkommen liess. Kurz: Ich empfand diese Spielform fad. Es konnten keine
Wagnisse eingegangen werden. Hier musste nur ein Programm abgewickelt
werden. Mein persönlicher Gestaltungswille meldete Opposition.
Felicitas beobachtete mich und sah schnell, was in mir
vorging. Sie kennt meine Abneigung, wenn es darum geht, einem Automaten
Macht abzutreten. Hier also die automatische Steuerung nach einem mir
nicht genehmen Muster. Selbstverständlich spielte ich mit, und die
Kinder freuten sich. Und das war ja das Wichtigste. Und kein Unglück für
sie, dass sie nicht gewonnen hatten. Das neutrale Gerät – ich nenne es
hier Computer – hatte entschieden. Er ist kein Mensch und darum keine
Bedrohung für sie.
Später suchte Felicitas das Gespräch mit uns. Sie habe meine
Skepsis von meinem Gesicht ablesen können und möchte uns noch die
Hintergrundgeschichte erzählen. Mit dieser digitalen, starren Form und
dem Resultat, das das Gerät melde, könne Mena gut leben. Bis anhin sei
sie eine schlechte Verliererin gewesen, habe ihre Fassung verloren,
konnte kaum beruhigt werden.
Wir erfuhren auch, dass dieses Spiel später noch anspruchsvoller
programmiert werden könne. Als Heilmittel für ehrgeizige Kinder, die
nicht verlieren können, wirke es auf der erlebten Grundstufe aber
phänomenal.
Wunderbar. Eine Belehrung, die ich gern annehme. Der Titel stimmt: Mensch ärgere dich nicht!
Dieses Erlebnis führte dann noch zu einer anderen Anschauung. Wir
könnten den Computer in diesem Spiel im übertragenen Sinn als jene
Schicksalsmacht ausserhalb von uns deuten, von der wir abhängig sind,
sie aber nicht beeinflussen können. Ob alle Entscheidungen auf unserem
Lebensweg auch wirklich gelingen, hängt nicht nur von uns selbst ab.
Und jetzt noch der Witz der ganzen Geschichte: Ich hatte das Spiel gewonnen.
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