Samstag, 27. Oktober 2018

Der Marthaler Eichenhain

Im Marthaler Eichenhain aufgelesener Querschnitt-Schnipsel mit einem Teil der Jahrringe.
Aussen sieht man die Rinde. Der Radius im Kreisausschnitt lässt die Dicke des Baumes erahnen.
Wir waren in Ossingen angekommen. Das Postauto nach Andelfingen stand bereit, wie wenn es auf uns persönlich gewartet hätte.

Vorgesehen war eine Wanderung, doch als Primo das Postauto-Ziel entdeckte, wollte er sofort in diese Richtung reisen. Erstens sagte er dazu, der Name Marthalen erinnere an seine Mutter Martha und an diesem Ort hätten wir doch vor ungefähr 40 Jahren einen aussergewöhnlichen Eichenwald besucht. Den möchte er nochmals finden. Ja, ich konnte mich sofort daran erinnern und ging gerne mit.

Die Postautofahrt von Ossingen Richtung Andelfingen führte uns dann durch eine liebliche Landschaft, vorbei an gepflegten Orten. Eine Augenweide für unsereins aus der Stadt.

Marthalen empfing uns dann auf seiner modern verschobenen Bahnstation. Auf unserer Eichenwald-Suche kamen wir schlussendlich noch am alten Bahnhof vorbei. Ein Schuppen nur und ein altes Gebäude stehen verlassen da. Auch das Mehl-Silo gehörte zu vagen Erinnerungen. Beide Gebäude mögen dann mitgeholfen haben, dass wir plötzlich den gesuchten Waldeingang fanden.

Wenn Bäume mit uns sprechen könnten, hätten sie uns jetzt vielleicht angesprochen, denn damals vor vier Jahrzehnten war der Besuch in diesem Wald für Primo und mich eine Initiation, eine Zulassung zu den Baum-Mysterien. Ich sehe mich noch in jenem Waldteil, wie wir nach ihnen ausschauten und ihre gesunden, schnurgeraden Stämme bewunderten. Schon damals strebten sie nur himmelwärts.
Die Eiche aus Guggenbühls Werk «Unsere einheimischen Nutzhölzer»
Ein Bericht über dieses aussergewöhnliche Waldstück lockte uns damals dorthin. Es war Primos Gewerbelehrer, der in der Schweizerischen Schreinerzeitung im Bereich «Kunst und Handwerk» darüber schrieb. Paul Guggenbühl habe es verstanden, nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern auch auf viele Details aufmerksam zu machen, an denen viele von uns achtlos vorbeigehen. So schrieb die Schreinerzeitung im Nachruf nach seinem Tod.

Primos Wesen trägt viel von diesem vermittelten Wissen weiter. Immer noch entdeckt er besondere Schönheiten aus der Innenwelt der Bäume. Er lebt mit ihnen. Sie faszinieren ihn. Denn keine sind sich gleich. Auch Querschnitte von kranken Bäumen können fantastische Bilder hervorbringen.

Den Wald betraten wir still, umschauend und nach Erinnerung prüfend und entdeckten dann als erstes am Wegrand liegende Eichenstämme. Da einer, dort einer, und so weiter. Alle gesund, stark, gross gewachsen, unversehrt ihre Rinden. Sie müssen mit viel Achtsamkeit gefällt worden sein. Da wo sie herkamen, entdeckten wir ihre Plätze, weil die Bäume offensichtlich so gefällt wurden, dass ein kurzes Stück Stamm im Erdreich zurückblieb und sich uns als eine Art Hocker präsentierte. Und dank diesen Reststücken konnten wir uns zurechtfinden. Da wussten wir plötzlich, dass wir im Marthaler Eichenhain angekommen waren.
  Ein Zweig Eichen-Herbstblätter Jahrgang 2018 aus diesem Wald 
Unsere Stimmung ist schwer zu beschreiben. Wir fühlten das Leben und auch den Tod. Aber ohne Trauer. Die daliegenden Stämme zeigten sich uns vollendet. Und bereit für eine neue Aufgabe. Primo sinnierte, sprach über die Aufgabe solcher Bäume, die für sich einen grossen Raum beanspruchen und dabei bewirken, dass um sie herum lichtdurchflutete Räume entstehen, in denen sich andere Gewächse auch wohlfühlen. Und auch Menschen, möchte ich dazu sagen, denn wir erlebten hier eine friedliche Atmosphäre, die uns von unserem Alltag und allen Sorgen abhob.

Berührt schlenderten wir weiter durch diesen Wald und trafen am Waldrand noch auf die älteste Eiche in diesem Hain. Ihr wurde eine Informations-Tafel umgehängt.
Höhe 34 Meter, Umfang 5,6 Meter, Inhalt ca. 30 m³, Alter ca. 360 Jahre
Dazu die Unterschrift Marthaler Eichen-Wald.

Das Schreinerherz meldete sich auf dem Heimweg dann auch noch. Primo dachte nach, welch grossartige Tischplatte entstehen könnte, wenn die älteste Eiche dazu verarbeitet würde. Er nannte gleich Zahlen: 1 Tischplatte 20 Meter lang und 1,5 Meter breit. Grossartig!

Und ich orientierte mich nach der Heimkehr noch an den Themen «Mensch und Baum» in Guggenbühls Werk «Unsere einheimischen Nutzhölzer». Dort schrieb er:

Die knorrige Eiche ist ein Sinnbild der Kraft und Unbeugsamkeit. Bei den Griechen und Römern galt sie als heiliger Baum, der Zeus oder Jupiter, dem höchsten Gotte, geweiht war. Die Germanen errichteten unter der Eiche oder in Eichen-Hainen die Opferstätten für Donar, den Donnergott. Kein Sterblicher durfte die Axt an diesen Baum legen.

Aus der Mystik der Menschheits-Geschichten seien alle Vorfahren durch die Jahrtausende staunend und verehrend mit solchen Eichenbäumen umgegangen, sagt Primo.

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