Ich fühle mich auch erleichtert, dass sich die Magen-/Darmgrippe
nach und nach zurückzieht, auch wenn ich nicht weiss, welche Wesen dafür
verantwortlich sind. Ich konnte keine Darmfliegen wahrnehmen, die mich
gewarnt hätten.
Es war ein Überfall und der Schrecken gross. Die Sturzbäche der
grüngelben leimigen Masse nicht aufzuhalten. Diese Sauerei. Wie gut ich
mich auch immer eingepackt hatte, um die Sturzbäche aufzufangen, sie
fanden ihren Weg gleichwohl an den Rändern der Textilien vorbei, weil
sie flüssig waren und unter Hochdruck standen.
Diese mehrtägige Tortur ist gewiss ein Eingriff meiner
Selbstheiligungskräfte und einer Hochdruckreinigung in den Rohren
unserer Abwässer vergleichbar. Erschüttert war ich gleichwohl, denn eine
Magen-Darm-Grippe nimmt schnell alle Energie! „Viel trinken, gell.
Und dann Reis-Schleim, Hühnerboullion, und später geraffelte Äpfel mit
zerdrückter Banane! – Jetzt lachst Du sicher!!!" schrieb mir Felicitas,
denn das war immer die aufbauende Nahrung nach Durchfall oder
Erbrechen, als die Kinder/Töchter noch bei uns zu Hause lebten. Ähnlich
tönte es von der jüngeren Tochter. Ich freute mich über diese
unerwarteten Rückmeldungen und die Gewissheit, dass alle Erfahrungen zum
Lebensreichtum gehören. Das waren auch Lichtblicke, die meinen diffusen
Zustand etwas erhellten.
In den Träumen tauchten alte Geschichten auf, Fragen, Worte,
klebrige Antworten. Aber nur als Fetzen und Teile eines Ganzen. Es war,
wie wenn sie bei der Reinigung aus ihrem Zusammenhang gerissen worden
wären und nun versuchten, noch einige Worte davon in die Welt hinaus zu
schreien. Wird das auch so sein, wenn uns der Tod aus dem Leben holt?
Döste ich leicht und erwachte von Zeit zu Zeit, standen oft Dialektworte rund um diesen Schissdräck
(Kot) vor mir. Ich fühlte, dass ich mich in einem sehr menschlichen
Zustand befinde und dass alle Mitmenschen diesen gut kennen müssen. Denn
alte, und vor allem vulgäre Worte, um die es sich hier handelt, reden
von zutiefst menschlichen Erfahrungen, denen wir von Zeit zu Zeit
ausgeliefert sind. Als dann die Kräfte etwas zurückkamen, holte ich das
vom Verlag Neue Zürcher Zeitung herausgegebene „Zürichdeutsches Wörterbuch“ hervor und suchte nach dem Begriff Schiiss (Exkrement, Kot) und fand allerlei mir gut bekannte Begriffe, die mich an den schleimigen Kot erinnerten. Schiisser = Feigling, Schiissfras = schlechtes Essen, Schiisswar, schlechte Ware, Schiiszüg = schlechte Sache usw. Und immer wurde ich an die grüngelbliche klebrige Masse erinnert, besonders auch im Wort schiissfrüntli = übertrieben freundlich. Von ganz unfolgsamen, nicht lenkbaren Kindern sagte man zu meiner Zeit „Die Chind folged en Schiissdräck“. Und diese Redewendung befindet sich auch im Wörterbuch.
Der Klang der erwähnten Worte führen mich denn auch an meinen
Herkunftsort, ins Zürcher Oberland. In die Familie, zu den Verwandten,
die kaum Schriftdeutsch sprechen konnten. Ich höre sie gern, auch wenn
sie nicht salonfähig sind. Sie führen mich an meine Wurzeln zurück.
Zu den Erfahrungen in der Familie gehört aber auch das Gegenstück.
Die Ordnung und Sauberkeit, damit ein Patient gesunden kann. Die Hilfe,
dass die Lebenskräfte zurückkehren können. Langsam, behutsam. Und diese
fängt bei einem sauberen Bett an. Daran erinnere ich mich besonders
gern. Waren wir krank, wurden wir am Morgen in die Stube geschickt.
Mutter erfrischte das Bett, schüttelte Leintücher und Decken unter dem
Fenster aus, richtete alles neu. Sie lüftete den Raum. Und dann durften
wir zurückkehren. Das war ein Hochgenuss für mich. Auch heute noch.
Steige ich ins frisch bezogene Bett und ziehe den frischen Duft der
sauberen Leintücher in mich ein, immer ist meine schon viele Jahre
verstorbene Mutter auch dabei.
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