
Die Fahrt auf der in Fels gehauenen Gardesana Occidentale, der legendären Uferstrasse am Gardasee, ist ein besonderes Ereignis. Sie trägt ehrenvolle Titel. Man spricht von Ingenieurkunst, von einem Meisterwerk der Strassenkunst und bezeichnet sie als eine der Traumstrassen Europas. Sie führt am Westufer des Gardasees von Salò nach Riva.
Bauzeit: 1927 bis 1932. Auf dieser in Felsen gehauenen Uferstrasse mit angeblich 74 Tunnels begann unsere Rundreise um den Gardasee.
Die Tunnels habe ich nicht gezählt, aber bewundert. Es war eine
Balkonfahrt. Eindrücklich und anspruchsvoll für den Car-Chauffeur.
Erstaunlich, dass Busse auf dieser schmalen Strasse zugelassen werden.
Traum auch für Motorradfahrer und Radrennfahrer. Man spricht von
romantischer Ursprünglichkeit.
Mich begeisterten auch überraschende Ausblicke aus den
Tunnelfenstern. Nur kurze Sicht auf den See. Immer wieder aus anderem
Blickwinkel heraus. Manchmal etwas länger. Rechtzeitig vom Fahrer
informiert, konnten wir den Ort sehen, wo sich Surfer und Segler
tummeln. Es gebe bestimmte Orte und Winde, die für sie ideal seien. Das
aufblitzende Bild zeigte dann, wie sich die Sportler dem Wind und Wasser
hingeben. Ekstatisch ihr Spiel. Von oben herab nahm ich diese Menschen
wie kleine, silberne Delphine wahr.
Bergseitig schenkten wir vornehmen Villen und prachtvollen Gärten
bewundernde Blicke. Hier glänzten Büsche und Bäume, wie wenn ihre
Blätter lackiert worden wären. Jeden Tag bezauberte uns das Licht dieser
Region, die allem ihren Glanz aufträgt.
Kaffeehalt in Riva, am Ende der urtümlichen Strasse. Ohne
Kaffee. Der Ort schlief noch, als wir am Sonntagmorgen vor 10 Uhr hier
eintrafen. Gasthäuser waren noch geschlossen. Wenige Menschen unterwegs.
Spaziergang am See, im Park. Das Geländer, das den See hier abgrenzt,
kam mir seltsam bekannt vor. Sein Bild weckte in mir Hinweise auf den
Gardasee, als Reisen erst möglich wurde. Es ist lange her. Sehr lange.
Und doch wusste ich sofort, dass ich dieses Bild kenne. Es waren die
steinernen Balustraden, an die ich mich erinnerte.
Dann Weiterreise dem Ostufer entlang. Hier begrenzen keine Felsen den
Blick auf den See. Manche Partie verglich ich mit dem Zugersee in der
Schweiz. Längerer Halt dann in Lazise. Gastfreundlich empfingen uns Stadttor, Marktplatz, Gasthäuser und Kirchen. Hier gingen alle Reisenden ihre eigenen Wege. Primo entdeckte eine Bäckerei, hätte dort gerne eingekauft. Geschlossen. Leider schon Siestazeit.
Diese überrascht Touristen in Italien immer wieder. Läden, Museen,
Kirchen sind mindestens von 12 bis 14 Uhr geschlossen. Auch im Sommer?
Ich weiss es nicht. Primo entdeckte in der gleichen Gasse eine
imposante, detailreiche Seekarte. So gross wie ein halbes Leintuch. Auf
ihr fanden wir später alle Informationen, die wir uns wünschten. Der
Ladenbesitzer bediente uns noch, dann schloss auch er subito sein Geschäft.
Auf dem Marktplatz zeigte ein Künstler seine moderne Ikonenmalerei.
Ein Buchhändler präsentierte edle Bücher aus seinem Antiquariat. Ein
Kleidergeschäft bot Strickwaren an. Mich zog es zur baufälligen Kirche
Sankt Nikolaus. Ich las ihre Geschichte. Sie wurde im Jahr 1100 direkt
am Hafen von der Genossenschaft der ursprünglichen Einwohner errichtet.
(Corporazione degli Originari). Was für eine schöne, eben originale
Bezeichnung. Von Menschen, die mit dem Fischfang, dem Seehandel und der
Seefahrt beschäftigt waren. Trotz Altersbeschwerden, an denen dieses
Bauwerk leidet, strahlen im Innern die liebevoll gereinigten Fresken
immer noch aus.
Die renovierte Zollstation direkt am Hafen, Dogana Venata di Lazise,
ist heute ein vornehmes Haus für Kongresse, verschiedene Anlässe und
Feste. Die Türen standen offen. Wir hörten Gesänge. Es wurde eine Feier
eröffnet. Eine Weile waren wir dabei.
Mittagessen in einer Trattoria, neben einer italienischen
Grossfamilie. Bestimmende Autorität war der Grossvater. Der Enkel,
vielleicht 6-jährig, sass nahe bei ihm, schaute zu ihm auf, eiferte ihm
nach. Das muss klassische italienische Erziehung sein.
Auf dem Rückweg wurden wir am grössten italienischen Vergnügungspark Gardaland entlang geführt. Er war noch nicht aus dem Winterschlaf erwacht. Kein Problem für uns. Nicht unsere Wellenlänge.
Am frühen Abend ins Hotel zurückgekehrt, schwärmte ich mit Primo
nochmals aus. Wir stiegen den Hügel empor, landeten in einem gepflegten,
traditionellen Dorf. Wir fühlten uns ins schweizerische Tessin
versetzt. Die Häuser allerdings grosszügiger proportioniert. In Italien
ist eigentlich immer alles grösser. Vor einer Scheune standen 2 ältere
Frauen miteinander im Gespräch. Als sie uns entdeckten, winkten sie uns
herbei. Wir folgten der Einladung. Mit wenigen italienischen Worten
vertraut, ergab sich ein herzliches Gespräch. Wir erfuhren, dass sie
hier im Altersheim leben. Wir erzählten, woher wir kamen. Es war eine
Begegnung, wie wenn wir Verwandte besucht hätten. Die Frauen bedauerten,
dass sie uns ihre Kirche nicht zeigen konnten. Auch hier werden Kirchen
geplündert, müssen darum geschlossen bleiben. Sie werden nur noch für
Gottesdienste geöffnet.
Am freien Tag, der dann folgte, wanderten Primo und ich von Porto Portese nach Salò,
besuchten die sympathische Stadt am schräg gegenüberliegenden Ufer. Das
Wetter freundlich, der See leicht träumerisch. Die Luft mit Nebel
getränkt. Die Sicht unklar. Sofern wir im richtigen Winkel daher kamen,
sahen wir den Monte Baldo (höchster Punkt: 2218 Meter über Meer) wie
eine Himmelserscheinung. Er trug noch Schnee wie der japanische
Fujiyama. Der Reiseführer wies immer auf ihn hin, wenn er sichtbar
wurde. Wie ein Geheimnis. Ein überirdischer Berg, der scheinbar ohne
Bodenhaftung am Himmel hing.
Auf dieser Wanderung kamen wir am Friedhof unseres Ferienortes
vorbei. Ein monumentales Gelände. Aus weissem Marmor an den Hügel
gebaut. Mit hunderten oder vielleicht tausend Gräbern. Alle Verstorbenen
werden hier mit einer Foto verewigt. Zypressen stehen am Ufer Spalier.
Einen halben Kilometer lang. Sie markieren den Ort der Toten. Sind von
weit her sichtbar und auf ihre Art auch Wegweiser.
In Salò entdeckten wir als erstes eine reife Frucht an einem
Orangenbaum. In einer eher dunklen Gasse fanden wir blühende Kamelien.
In vielen Töpfen standen auch sie Spalier. 2 abgefallene Blüten nahm ich
mit nach Hause.
Als wir ins Schaufenster schauten, wurde unser Interesse an echten
Lederartikeln bemerkt. Die Geschäftsführerin sprach uns an, freute sich
mit mir deutsch zu sprechen und verstanden zu werden. Sie habe sich
diese Sprache selber beigebracht. Zur selben Zeit ersetzte Primo im
Laden sein lädiertes Portemonnaie. Zu einem passenden Zeitpunkt. Am Tag
danach begann für ihn ein neues Lebensjahr.
Zur Mittagszeit betraten wir ein kleines Restaurant. Aus der Küche rief der Chef: Wollt ihr nicht im Freien essen?
Wir hatten die Tische auf der andern Strassenseite noch nicht gesehen.
Es war ein gutes Angebot, im Freien zu speisen und sich vom Leben um uns
unterhalten zu lassen.
Später ergänzte noch ein Spaziergang an der Seepromenade das Feriengefühl. Vor dem heutigen Rathaus, dem Palazzo della Podestà
blieb ich lange stehen. Dieser Palast aus dem 14. Jahrhundert wurde
nach meinem Empfinden nicht mit schnurgerader Front gebaut, sondern dem
Seeufer leicht nach innen gebogen angepasst. Sie wirkte lieblich. Die
hohen Palmen vor den Arkaden mögen die Hauptdarsteller ihres Charmes
sein. Es verwundert mich, dass dieses Gebäude in Reiseführern keine
herausragende Rolle spielt.
Wir rechneten für die Rückkehr auch wieder mit einer langen
Wanderung. Da kamen 2 Personen auf uns zu, die zur Reisegruppe gehörten.
Sie waren ebenfalls hierher marschiert. Sie wussten bereits, dass
demnächst ein Schiff eintreffe, das den See überquere und in Porto Portese anlege. Wir fuhren mit. Glück gehabt!
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