
Dahin luden wir unsere beiden Töchter und Mena,
unsere Enkelin, zu einem Spaziergang ein. Einen Berg zu besteigen, ist
immer spannend. Er muss nicht hoch sein. Aber wenn er uns Übersicht
schenkt, dann ist es ein richtiger Berg. Beim Herrenbergli handelt es
sich um einen Moränenhügel. Sein Name endet mit der Verkleinerungsform –li. Es muss sich also um einen kleinen Berg handeln. Was es mit den Herren zu tun hat, ist unbeantwortet. Ich denke an Arbeitgeber von einst. Die Herren waren Besitzer, ihnen untertan die Arbeiter und Vorarbeiter. Vielleicht gehörte der Hügel einmal einem Fabrikanten.
Das Herrenbergli ist heute allen zugänglich. Es sind mir 3 Wege
bekannt. Einer mit einer direkten Treppe am Ende des Blinddarms der
Dachslernstrasse. Wir benützten den Pfad durch die Wiese, der vom Alters- und Pflegezentrum Herrenbergli nach oben führt.
Oben auf der Krete laden 2 Sitzbänke zum Verweilen ein. Mit Blick
über die Stadt, zum Hönggerberg und unten ins Tal, zum Briefzentrum
Mülligen. Eine Gelegenheit, der 11-jährigen Enkelin diese Drehscheibe
unserer Korrespondenz zu zeigen. Mena hat mir schon manche Karten und
Briefe geschrieben, die dieses wichtige Zentrum passieren mussten. Es
ist das einzige, das in der Schweiz die internationale Briefpost
verarbeitet. Auf einer Grundfläche von ungefähr 70 000 m2 arbeiten etwa
1200 Postangestellte.
Die Distanz zu unserem Zuhause ist gering. Ich stelle mir immer
vor, dass am Abend, wenn der gelbe Briefkasten an unserer Strasse
geleert wird, die eingeworfene Post ohne viele Umwege nach Mülligen
komme und anschliessend z. B. nach Paris weitergeleitet werde. Ob es
stimmt, dass sich meine Briefe dann im obersten Sack befinden und darum
zuerst verarbeitet werden, ist wahrscheinlich eine Illusion. Und doch:
Meine Briefe werden zuverlässig eingesammelt und rasch auf die Reise
geschickt.
Dann erinnerten sich die Töchter daran, dass ich mir schon
gewünscht habe, selber als kleines Paket oder Brief zu reisen, damit ich
erfahren könnte, wie sich eine Reise von A nach B anfühlt. Und sie
sprachen aus, wie das wäre, wenn ich als Sendung auf dem Fliessband
daher käme.
Du willst sicher sofort wissen, wer neben dir liegt. Und dich
fragen: Wer hat mich geschrieben? Bin ich eine Rechnung oder ein
Liebesbrief? Wohin reise ich? Und schnell bemerken, dass mich ein
schöner Briefumschlag umgibt. Feines Papier und Briefmarken aus der
Philatelie. Nebenan ein voluminöser A-Postbrief, von dem ich erwarte,
dass er von Hand sortiert werden muss, weil er die Schleuse der 2 cm
Dicke vielleicht nicht passieren kann. Gewiss wirst du auch neben dir
reisende Sendungen ansprechen. Nach dem Woher und Wohin fragen und über
die Namen der Orte staunen. Und falls du als kleines Paket unterwegs
bist, fällst du vielleicht irgendwo hinunter, verursachst Lärm. So Primos Vorstellung. Und er spielte uns entsprechende Geräusche vor.
Es wurde auch darüber gesprochen, dass ich die einzelnen Postsäcke,
in denen ich spediert worden war, beschreiben würde. Vielleicht so: Es
müffelte, war modrig, ein kleines Loch spendete etwas Licht. Schlafen
konnten wir nicht. Einige Sendungen stöhnten. Über uns allen lag eine
schwere Last. Und die Bahnwagen schepperten, machten Lärm. Nach langer
Fahrt dann die Ankunft in Paris. Heiteres, weisses Licht. Fremde
Stimmen, eine fremde Sprache. Und ähnliche Manöver wie in Mülligen,
jetzt in umgekehrter Reihenfolge. Wurde in Zürich Post aus den gelben
Kästen eingesammelt, müssen sie hier in die Briefkästen der Wohnhäuser
verteilt werden. Darum ist die korrekte Anschrift so wichtig.
Und ich stellte mir dann ganz still und ohne es auszusprechen vor,
wie ich in Zürich-Altstetten ankomme. Ich bin da noch ein von Mena
geschriebener Brief. Aber sobald sich der Briefkasten im Hauseingang
öffnet, auch wieder die normale Grossmutter, die ihm Post aus Paris
entnimmt. Da wurde es dann hell für den Brief, und auch für mich.
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