Heute, auf meinem Spaziergang auf Schlierenberg, zog ich mein Foulard vom Hals weg und band es um den Kopf. Es wehte ein giftiger Wind.
Ich war allein unterwegs. Gedanken kamen und gingen und liessen ein
Kopftucherlebnis aufsteigen. Ich „hörte“ Mena, damals 6-jährig,
vorwurfsvoll rufen: Groosiii! (Grossmutter) Warum trägst Du ein Kopftuch?
Obwohl noch nicht lange auf der Welt, hatte sie schon mitbekommen, dass
es Streit auslösen kann. Eine Frau in der Schulküche trug ein solches
und wurde deswegen kritisiert. Ich trug es damals, weil wir uns in den
Bergen und zudem noch in einer Nebelwolke befanden. Ich konnte ihr dann
erklären, dass mich das Kopftuch beschütze, Erkältungen vermeide. Sie
schaute mich gross an und registrierte meine Antwort.
Es sind ein paar Jahre vergangen, und noch immer werden sogenannte
„Kopftuchdebatten“ geführt. In letzter Zeit fragte ich mich auch schon:
Kommt es noch soweit, dass auch farbige Seidentücher kritisiert werden?
Also, ich werde es immer dann tragen, wenn es meine Gesundheit und mein
Wohlbefinden unterstützt.

Wenn Frauen von Männern und ihrer Kultur gezwungen werden, ihre
Haare unter einem Stoff zu verbergen, ist das auch in meinen Augen
verwerflich. Ich sehe aber auch ein, dass es Gründe gibt, das Kopftuch
gern zu tragen.
Für Frauen, die ihre Heimat aus politischen Gründen verlassen
mussten, ist es gewiss eine Zeitlang noch die greifbare Verbindung zur
Herkunft. Eine Gewohnheit, die selbstverständlich ist. Und diese sollte
ihnen nicht einfach wegbefohlen werden. Gut Ding will Weile haben,
lautet ein altes Sprichwort. Ein neues Selbstverständnis kann nicht auf
Knopfdruck erreicht werden. Wachstum geschieht langsam und behutsam.
Das gilt auch fürs Heimischwerden in der Fremde.
Ich kann mir vorstellen, dass eingewanderte Frauen die hiesigen
bewundern, vielleicht sogar beneiden, weil diese die Schönheit ihres
Haars offen zeigen dürfen. Und dass daraus der Wunsch entsteht, es ihnen
gleich zu tun. Dass dann eines Tages das Kopftuch abgelegt wird, ist
der Schlusspunkt einer Entwicklung. Es durfte ein neues
Selbstbewusstsein entstehen.
Wir müssen uns nicht wundern, dass die Bekleidungsvorschriften und
vor allem das Kopftuch in vielen muslimischen Familien immer noch als
moralischer Schutz herhalten müssen. Die freizügigen Sitten in Europa
haben die Zugewanderten erschreckt.