Die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr habe ich gern. Sie sind
mit dem Atemholen vergleichbar. Das Fest ist verklungen. Die Enkelkinder
sind abgereist. Nach und nach findet unsere Wohnung zur alten Form
zurück. Das Massenlager ist aufgehoben. Die Energie erlebnishungriger
Kinder ist verflogen. Es ist still. Still auch ganz besonders, weil es
jetzt wieder schneit.
Jetzt können sich die Erlebnisse in mir niederlassen, ihren Platz
finden und mich dann in Ruhe lassen. Je älter ich werde, desto langsamer
verlaufen die entsprechenden Prozesse. Erst danach fallen alle
Anspannungen von mir ab.
Betrete ich aber unsere Stube, ist die Stimmung mit den Kindern
wieder da. Hier steht doch noch unser prächtiger Christbaum, und um ihn
tanzen die Erlebnisse des Heiligen Abends. Der Baum scheint die Freude
immer noch auszustrahlen, dass er hier sein kann. Seine Nadeln und sein
Harz duften. Er ist eben ein ganz besonderes Exemplar. Eines mit einem
Vorleben.
Primo entdeckte ihn kurz vor Weihnachten in einer grossen
Abfallmulde im Umfeld seiner Werkstatt und der benachbarten
Event-Hallen. 5 Meter hoch, aufrecht gewachsen, stark, etliche Jahre
alt. Gesund und schön. Und doch weggeworfen, rücksichtslos entsorgt.
Dass er für weihnachtliche Stimmung einer Geschäftsfeier dienen musste,
bezeugen die Beigaben im Containergrab. Ein paar rote und silberne
Kugeln, grosse Schneesterne aus Karton und meterweise wattierter weisser
Stoff.
Primo hat in seinem Berufsleben viele Parkbäume, die hätten
geschreddert werden müssen, gerettet und aus ihrem Holz Raritäten
hergestellt. Verständlich, dass ihn das Schicksal dieser Tanne im
Abfallcontainer berührt hat. Er rettete auch sie und brachte sie heim.
Vordem schnitt er sie auf die Masse unserer Stube zu und brachte auch
die abgeschnittenen Äste heim. Diese schichtete er am Boden um den Stamm
herum auf. Nichts ging verloren, was zum Baum gehört hatte. Entstanden
ist eine ausstrahlende, dem Fest würdige Persönlichkeit.
Es gab viele Jubelrufe – „Oh wie schön! Oh wie schön!“ – als
wir die Stube betraten und die Kinder im Glauben liessen, das
Christkind hätte den Baum gebracht. Da gab es keine Zweifel, auch für
die Erwachsenen nicht. Wohl können wir einen Baum in die Stube stellen,
doch der Glanz, den ihm die flackernden Lichter bescheren, der kommt von
anderswo her. Die Enkelkinder erlebten erstmals lebendiges Kerzenlicht
und sie staunten.
Und vor diesem Baum sangen Mena und Nora Weihnachtslieder, deutsch und französisch. Sie hielten sich an den Händen. Ihre Freude, hier singen zu können, war gross.
Gerne wüsste ich, welche Momente in ihren Herzen einen ewigen Platz
gefunden haben, von denen sie als Erwachsene dann erzählen. Für jetzt
aber muss mir der Glanz, den ich in ihren Augen gesehen habe, genügen.
Nora hatte irgendwo den Ausdruck „Du meine Güte!“
aufgefangen. Schnell begriff sie, dass wir es lustig fanden, wenn sie
ihn an mehr oder weniger passenden Stellen anbrachte. Sie verwendete ihn
nicht in Momenten, die erschreckten. Für sie ist diese Güte Ausdruck
einer heiteren Überraschung. Und doch habe ich ihn am Weihnachtsfest
nicht gehört. Für ein solches Fest kannte sie noch keine Worte.
Auch das neue Jahr kennen wir noch nicht. Ich benütze die
Gelegenheit, Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, zum Übergang ins Jahr
2011 von Herzen alles Gute zu wünschen.
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