Als ich heute in den Friedhof Eichbühl (im Zürcher Stadtteil
Altstetten) einbog, sah ich schon von weitem die Friedhofgärtner in
ihren leuchtend grünen Westen, wie sie einem Seitenfeld Farbe
verpassten. Es wurden gerade „Dänkeli“ gesetzt. So nennen wir die
Stiefmütterchen, die auch Pensées heissen. Näher am Gräberfeld
entdeckte ich Tulpenspitzen und an Rosenstöcken rote Knospen. Dann
dachte es in mir: Der Friedhof ist auch ein Ort des Lebens. Letzte Woche
lag hier nämlich noch Schnee. Nun ist der Winterschlaf beendet. Vieles
regt sich. Das Moos in den Wiesen leuchtet frisch. Es herrscht
Aufbruchstimmung. Wohl zeigen die Bäume immer noch nur ihr Skelett,
trotzdem sehen sie prächtig aus. Es sind Eichen, Eschen, Kirschbäume und
Linden.
Hier fühle ich mich ausgesprochen wohl. Die Grosszügigkeit der
Anlage gefällt mir. Das Zusammenspiel von Naturkulisse, Geometrie und
Beton ist so ausgewogen, dass man von einer Symbiose sprechen kann. Hier
ist jede Jahreszeit schön, und wer keine Toten zu beklagen hat, kann
den Ort geniessen. Ich denke aber, dass auch die Leidtragenden hier
aufgerichtet werden. Der Ort ist offen und befreiend. Angelehnt an den
Uetliberg sind die Grabfelder in den Hangfuss eingeschnitten und liegen
einige Stufen tiefer als die prächtige Baumallee. Von Mauern umgeben
finden sich hier Räume für die persönliche Andacht am Grab, während der
Hang sich optisch über die Grabkammern hinweg fortsetzt. So beschreibt „Grün Stadt Zürich“ diese Besonderheit.
Ich befand mich heute auf einem Seitenpfad über diesen tiefer
liegenden Grabräumen, schaute sie also von oben herab an. Grabsteine,
Stelen und Kreuze wirkten aus dieser Sicht wie verwoben, als etwas
Gesamtes, als Ort menschlicher Gemeinschaft auch im Tod. Neu für mich.
Meist gehe ich, vom Salzweg herkommend, abseits der Anlage auf
jenem Pfad unmittelbar dem Waldrand entlang, der auf die Kuppe führt, wo
auch die Abdankungshalle steht. Von diesem höchsten Punkt aus ist der
Blick frei auf die Stadt und das Limmattal. Von hier aus kann ich
Zürich-Wipkingen grüssen, wo unsere Tochter Letizia wohnt, und ich kann sehen, wie der Primetower neben Primos Werkstatt
rasant in die Höhe wächst. Es sind überhaupt extrem viele Baukräne
auszumachen, besonders gut sichtbar auf dem Hönggerberg. Zürich erneuert
sich an vielen Orten von Grund auf.
Das Wegnetz dieses Friedhofs sei orthogonal aufgebaut, habe ich
gelesen. Mir ist dieser Begriff nicht geläufig, aber die Wege, die sich
hier anbieten, gehe ich gern. Gern auch, weil mich die natürliche
Hügellandschaft anspricht. Ohne sie wäre die rechnerische Gestaltung
vermutlich ausgesprochen nüchtern.
1968 wurde dieser Friedhof eingeweiht. Von der sparsamen
Betonarchitektur war die Bevölkerung anfänglich nicht begeistert. „Erst
40 Jahre später ist der Friedhof Eichbühl als Hauptwerk des Zürcher
Landschaftsarchitekten Fred Eicher eine Ikone der 60er-Jahre und ein
vielbeachtetes Gartendenkmal“, heisst es im Informationsblatt über
diesen Ort.
Auf dem Rückweg verweile ich noch beim überdachten Treffpunkt,
einer Art offener Kapelle, wo Farben Zuversicht vermitteln. Auf den
Dachstützen schwingen sich schlichte blaue, weisse und grüne Flächen
empor. Das erdfarbige Graubraun bleibt unten. Und Glas in der Dachmitte
sorgt ebenfalls für Sicht und Durchsicht nach oben.
Das war meine Pause. Auslaufen, durchatmen, Augen vom Bildschirm
auf die Landschaft und den Himmel richten. Und auf dem Rückweg am
Brunnen nochmals Quellwasser trinken.
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